Menü

Katharina Pistors Buch Der Code des Kapitals Das Spiel von Recht und Reichtum

Wer reich ist, betont gerne, wie hart er oder sie für das Vermögen gearbeitet hat, oder welche Opfer einst Eltern und Vorfahren dafür gebracht haben. Das mag manchmal stimmen und manchmal auch nicht. Doch Reichtum ist nicht nur eine Frage von persönlichem Einsatz und unternehmerischem Geschick. Ohne die Schützenhilfe des Rechts wäre kein Reichtum von Dauer. Und er würde sich auch nicht so leicht vermehren lassen. So lautet die zentrale These des Buches Der Code des Kapitals. Recht schafft Reichtum und Ungleichheit. Und zwar mittels eines Geflechts von Privatrechten: dem Vertrags-, Eigentums-, Trust-, Gesellschafts- und Konkursrecht. Daraus setzt sich laut Katharina Pistor der »Code des Kapitals« zusammen.

Die Autorin, die in New York an der Columbia-University vergleichende Rechtswissenschaften lehrt, will Nichtjuristen davon überzeugen, dass Kapital aus zwei Komponenten besteht: einem jeweiligen Kapitalgut und einem Rechtscode. Um ihre Argumente zu untermauern, geht Pistor in kurzen Exkursen mitunter weit in die Geschichte zurück. Etwa zu den englischen Landlords. Im 17. Jahrhundert begannen sie damit, Ländereien, die sie sich zuvor mit den Nichtadeligen geteilt hatten, nunmehr mit Hecken und Zäunen einzuhegen und bei den örtlichen Gerichten mithilfe ihrer Anwälte als Eigentum zu reklamieren. »So konnten sie sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Um ihren Besitz jedoch auch vor eventuellen eigenen Gläubigern zu schützen, gründeten sie schließlich eine Körperschaft beziehungsweise einen Trust, also eine juristische Person, die sie zum Eigentümer machten. Damit konnten sie ihr Vermögen auch auf Dauer absichern.«

Heute läuft das nicht viel anders: Wenn Banken Hypothekenschulden in Kreditbriefe umwandeln und weiterverkaufen, beispielsweise. Oder wenn sich Gen-Firmen Abschnitte des menschlichen genetischen Codes patentieren lassen. Auch hier wird ein Allgemeingut bildlich gesprochen »eingehegt« und als Privatbesitz reklamiert.

Die Firma Myriad Genetics hat in den 90er Jahren mit einem Patent auf die Brustkrebsgensequenz BRCA1 einen Gentest für 3.000 Dollar auf den Markt geworfen, der zuvor nur 100 Dollar gekostet hatte. Zwischen 1997 und 2013 verkaufte Myriad Genetics ungefähr eine Million Tests und erzielte damit Gewinne von zwei Milliarden Dollar.

Obwohl der Oberste Gerichtshof der USA das Patent schließlich für ungültig erklärte, erzielte Myriad damit noch bis ins Jahr 2017 Riesenprofite. Denn Myriad verkaufte nicht nur den Test, sondern sammelte zudem detaillierte Daten über jede Patientin: über ihre spezifische Variante des defekten Gens, den Phänotyp der Krebsart, über ihre Familiengeschichte und über den Genpool, zu dem sie gehörte. Mit dieser Datenbank im Rücken konnte die Firma Ärzte und Patienten dazu bewegen, weiterhin ihr genetisches Testverfahren zu verwenden. Nicht mehr das Patent war entscheidend für die sprudelnden Einnahmen, sondern der umfangreiche Datenbestand.

Zwei Rechtsordnungen dominieren die Welt des globalen Kapitals: das englische Common Law und das Recht des Staates New York. Es überrascht nicht, dass sich dort auch die führenden Finanzzentren befinden und in London und New York City die weltweit wichtigsten Anwaltskanzleien sitzen.

Menschen, die von Löhnen, Gehältern oder Pensionen leben, können sich ihren Steuersatz nicht aussuchen. Falls sie überhaupt Ersparnisse haben, könnten sie zwar versuchen, sie auf ausländischen Konten einzuzahlen, machen sich dann aber der Steuerhinterziehung strafbar. Kapitalgesellschaften dagegen können sich für den Steuersatz entscheiden, den sie bereit sind zu zahlen: Dafür müssen sie nur eine Tochtergesellschaft in einer Jurisdiktion mit einem niedrigen Steuersatz gründen und das jeweilige Einkommen auf deren Konto verbuchen.

Unternehmen dürfen und können sich unter vielen Rechtsordnungen diejenige aussuchen, die ihnen am meisten zusagt. Sogar ohne sich selbst, ihr Geschäft, ihre Waren oder Vermögenswerte physisch in diesen Staat zu verlagern. Das nennt sich Vertragsfreiheit.

Etwas sperrig und für Nichtjuristen schwer verständlich unterscheidet Katharina Pistor zwischen Prioritäts-, Beständigkeits-, Konvertierbarkeits- und Universalitätsrechten. Aber so schrecklich kompliziert ist es dann doch nicht:

Mit den sogenannten Prioritätsrechten lassen sich Vermögenswerte vor potenziellen Gläubigern schützen. Beständigkeit verlängert die Lebensdauer von Besitz, indem Vermögen beispielsweise in eine Kapitalgesellschaft überführt wird. Universalität gewährleistet, dass Priorität und Beständigkeit nicht nur für die Parteien gelten, die sich darauf geeinigt haben, sie als verbindlich anzusehen, sondern auch gegenüber allen anderen (erga omnes). Das Prinzip der Konvertierbarkeit garantiert den Vermögensinhabern, ihre Anlagen in Staatsgeld umwandeln zu können, wenn sie keine privaten Abnehmer mehr finden können.

Ausführlich veranschaulicht die Autorin die verschachtelten Rechtskonstruktionen am Beispiel derjenigen Bank, die damit am Ende ausnahmsweise einmal nicht durchgekommen ist: Lehman Brothers, eine Kapitalgesellschaft mit 209 Tochtergesellschaften in 26 Ländern.

Wenn eine Rechtsordnung systematisch Vermögenswerte privilegiert, wächst die Ungleichheit einer Gesellschaft zwangsläufig. Und damit erodieren auch die Grundlagen eines jeden gesellschaftlichen Zusammenhalts, befürchtet die Autorin. Was wäre zu tun? Ein echter Umbau der Rechtssysteme sei wohl nur um den Preis einer neuen massiven Finanzkrise durchzusetzen. Ein erster Schritt aber wäre eine restriktivere Haltung der Regierungen: Spekulative Verträge beziehungsweise Wetten sollten nicht mehr vor Gericht durchsetzbar sein. Auch die freie Wahl des Gründungsorts für Unternehmen könnte eingeschränkt oder gar verboten werden. Steuerliche Vorzugsbehandlungen müssten endlich aufhören. Nicht zuletzt wäre das Ausbildungssystem für Richter und Rechtsanwälte umzukrempeln. Ob die Autorin selbst an ihre Vorschläge glaubt? Hinter ihren optimistischen Ratschlägen schimmert Resignation: »Die Wahrheit ist«, schreibt sie, »dass in einer Welt, in der gut codiertes wanderndes Kapital einer diffusen und unorganisierten Öffentlichkeit gegenübersteht, (…) ein Gesellschaftsvertrag unerreichbar ist, selbst dann, wenn das Kapital selbst ihn um seines eigenen Überlebenswillen gerne hätte«.

Katharina Pistor: Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft. Suhrkamp, Berlin 2020, 440 S., 32 €.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben