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Homo ludens ante portas? Das Spielerische erobert die Arbeitswelt

»Oh ja, das sollte sie!«, antwortete der Netzphilosoph Luciano Floridi der WirtschaftsWoche auf die Frage, ob uns die künstliche Intelligenz arbeitslos machen wird. Und zeigte sogleich, wie die Frage richtig zu stellen wäre: »Das Problem ist nicht die Arbeitslosigkeit. Das Problem ist der Einkommensverlust.«

Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz, Internet der Dinge oder Industrie 4.0 – es werden immer neue Methoden und Technologien erfunden, die die menschliche Arbeit überflüssig machen können. Doch bisher fehlen Konzepte für die Welt der Zukunft ohne menschlichen Konsum. Ob nun die Nerdonomics die Menschen zu einem Konsumzwang für ihre Erzeugnisse und Dienstleistungen erzieht, bleibt abzuwarten. Es steht aber fest: Schon heute sinkt nach dem Ablauf der Garantie rapide die Leistung von Elektrogeräten, Kleidung zerfällt trotz immer besserer Waschtechnologien und die Akkuleistung der Smartphones ist gegenüber älteren Modellen erstaunlich geschrumpft. Und da es eben nicht ohne Kleidung – und inzwischen auch nicht ohne Smartphone – geht, ist man gezwungen, entweder zu reparieren oder neu zu kaufen, wobei die Hersteller die Option mit der Reparatur erheblich einschränkten, indem sie den physikalischen Zugriff auf das Innere der Geräte fast unmöglich machten.

»Die Ersetzung menschlicher Arbeit durch maschinelle Arbeit, lange Zeit auf den industriellen Sektor begrenzt, erfasst nun auch Arbeiten, die ehedem der geistigen Sphäre vorbehalten waren«, stellen Martin Burckhardt und Dirk Höfer in Alles und Nichts fest. »Was immer als Prozedur und Regelsystem beschreibbar ist (…) lässt sich ersetzen: also das Klassifizieren, Evaluieren und Ablegen von Sachverhalten. In diesem Sinn ist der Arbeitsspeicher eines Computers kein bloß technisches Modul, sondern enthält gesellschaftlich geleistete Arbeit, die, einmal geleistet, nur ein einziges Mal bezahlt worden ist.« Die Menschen profitieren vom technischen Fortschritt nicht, beobachtet Floridi, viel Geld würde in einem »lokalen Minimum« stagnieren, Zirkulation und Verteilung funktionierten nicht. Mit Robotern und Smart Things erweiterte sich der Wirkungsradius zusätzlich. Angesichts der Digitalisierung und Automatisierung sehen Burckhardt und Höfer dann noch eine Möglichkeit: »Wenn alles Repetitive an Maschinen übergeht, kann als Arbeit nur gelten, was noch nicht digitalisiert worden ist oder was über den Horizont des Möglichen hinausgeht.«

Wie die Talentsuche, beispielsweise. Zwar sollten laut Google-Statement Algorithmen die Talentsuche verändern, doch das sieht Floridi nur mit Einschränkungen: »Man kann Algorithmen sinnvoll einsetzen, wenn man 100 Menschen für ein Callcenter sucht.« Sobald es um ein komplexes Jobprofil geht, sei menschliche Hilfe unentbehrlich: »Talent ist ein Konzept wie Intelligenz, Freundschaft oder Weisheit. Ideen, die wir verstehen, aber nicht scharf definieren ergo messen und automatisieren können«, lautet Floridis Einschätzung. Das trifft ebenfalls auf Aktivitäten wie das Ersinnen von Zukunftsvisionen zu. Oder das Spielen. Wenn man über die Widersprüchlichkeit der Killerspiele hinwegkommt und Computerspiele unter dem Aspekt der Ästhetik oder gar als Kunstwerke betrachtet, wie es Daniel Martin Feige in Computerspiele tut, entfaltet sich die wahre Natur des Menschen als die des Homo ludens – des spielenden Wesens. »Wenn wir an das Spielen eines Kindes mit einem Ball denken oder mit Spielzeugautos«, erklärt Feige, »so handelt es sich hier nicht um Tätigkeiten, die anhand von Regeln bestimmt werden«. Treffender sei es deshalb zu sagen, dass »das Kind in diesem Fall kein Spiel spielt, sondern dass es spielt«. Das Reizvolle an Computerspielen sei die Immersion, die eine Passivität hervorruft, »derart gekennzeichnet, dass sie in einer sich selbst reproduzierenden Bewegung besteht, in die der Spielende gerät und die kein Ziel außerhalb ihrer selbst hat«. Diese Passivität ist aber keine, der der Spieler ausgeliefert ist, »es ist vielmehr eine Passivität, die eine besondere Form der Selbstbestimmtheit darstellt«. Die Attraktivität eines Computerspiels manifestiert sich nicht nur durch seine ludologischen oder narrativen Elemente, auch nicht durch die Technologie. Feige sieht darin »Formen ästhetischen Gelingens in einem ästhetischen Medium, das seinen Sinn im Lichte anderer ästhetischer Medien in und durch seine einzelnen Gegenstände neu verhandelt«. Das trifft auf Tomb Raider nicht weniger zu als auf Tetris: »Wir spielen (…) ein intelligentes und dabei zweifelsohne auch ästhetisch aufgrund seiner Klarheit, Einfachheit und Eleganz wegweisendes Spiel.«

Computerspiele sind nicht nur Freizeitbeschäftigung. Das Spielen und das Ludologische erobern im Sturm die Arbeitswelt. »An die Stelle des rationalen Managements tritt das emotionale Management«, beobachtet Byung-Chul Han in Psychopolitik, das sich vom Prinzip des rationalen Handelns verabschiedet. Der heutige Manager »gleicht immer mehr einem Motivationstrainer«: Positive Emotionen sind das Ferment für die Motivationssteigerung. »Um mehr Produktivität zu generieren, eignet sich der Kapitalismus der Emotion auch das Spiel an«, so Han, die Arbeitswelt wird gamifiziert. Das Spiel emotionalisiert, ja dramatisiert die Arbeit und resultiert so in besserer Motivation. Der Homo ludens ist ein besserer Mitarbeiter als der Homo oeconomicus, denn das schnelle Erfolgserlebnis und Belohnungssystem garantieren »mehr Leistung und Ausbeute«. Alles, was formelhaft ist, ist perfekt für Algorithmen und künstliche Intelligenz geeignet. Verbunden mit dem Gratifikationssystem von »Likes« oder »Followers« wird auch die menschliche Kommunikation dem Gamemodus unterworfen.

Es verwundert daher wenig, dass der Schöpfer der Neuromancer-Trilogie, William Gibson, in seinem neuen Science-Fiction-Roman Peripherie die Ausübung von Computerspielen zur Erwerbstätigkeit avancieren lässt. Zu einer der wenigen im Übrigen, mit der sich die Menschen – neben den Haptics, also Soldaten, die noch mit Einsatz des eigenen Körpers an den bewaffneten Konflikten teilnehmen – das Geld für Medikamente (oder Drogen), Essen und sonstige lebensnotwendige Annehmlichkeiten verdienen können. Man spielt, um zu verdienen oder für andere Spieler, die dafür Geld bekommen, oder für andere Spieler, die sich Vertretungsspieler leisten können usw. Doch was die Berufsspieler in nicht allzu ferner Zukunft nicht ahnen, ist, dass, während sie mit einem Quadrocopter herumfliegen und Eindringlinge abwehren, sie in Wirklichkeit den Auftrag eines echten Security-Unternehmens erfüllen. Für tatsächlich lebende Personen in einer real existierenden Welt. Es erinnert schon fast an die Idee eines englischen Unternehmens, das Videoaufnahmen aus den Überwachungskameras ins Netz stellte und Internetnutzer für das Zuschauen (und gegebenenfalls Alarmschlagen) bezahlt hatte. Doch die Auftraggeber in Gibsons neuem Roman kommen aus der Zukunft. Und auch Personen, die sich den Sicherheitsdienst aus der Vergangenheit leisten können, leben in einer weiter fortgeschrittenen, zukünftigen Welt. Bei einem Sicherheitsvorfall gibt es Möglichkeiten, mit der der Auftraggeber seinen Arbeiter aus der Vergangenheit zwecks Aufklärung zu sich holen kann.

»Wir müssen dringend die Science-Fiction-Szenarien vergessen«, mahnt Floridi; »Schließlich haben wir ernsthafte Probleme zu lösen, und zwar schnell.« Hier möchte man nun nicht direkt zustimmen. Denn gerade hat uns William Gibson, ohne dass er gefragt wurde, auf eine Lösung des Problems der Arbeits- und Einkommenslosigkeit gebracht: Zeitreisen! Man sollte eine Art intergalaktischen, zeitübergreifenden Arbeitsmarkt schaffen, in dem jeder eine angemessene – und bezahlte – Beschäftigung für sich findet. Reguliert, gewiss, damit nicht jeder plötzlich in den USA der 80er Jahre leben und arbeiten möchte. Es ist tatsächlich eine verrückte Idee. Und ganz realistisch ist sie auch nicht. Doch wenn man an die wiederkehrenden und ergebnislosen Diskussionen über Grundeinkommen oder Automatisierungsabgaben (die sowieso nicht kommen) oder die wegweisende Rolle der seit Jahren nicht reformierten Gewerkschaften (die die wachsende Armee an Freiberuflern und Klickworkern als eine neue Einkommensquelle entdecken) denkt, so klingt die Idee mit den Zeitreisen nicht weniger absurd.

Einer Sache kann man sich auch sicher sein: Eine solche Idee kann kein Algorithmus und keine künstliche Intelligenz ersinnen. Auf eine solche Idee kommt nur ein Mensch. »Algorithmen sind von Menschen gemacht, sie werden also immer Fehler und Vorbehalte haben«, warnt Floridi. Heißt, sehr verkürzt und zwar gleichermaßen für die Online- und die Offline-Welt: Wo man Müll reinsteckt, kommt Müll raus.

Martin Burckhardt und Dirk Höfer: Alles und Nichts. Das Pandämonium digitaler Weltvernichtung. Matthes & Seitz Berlin, 2015, 123 S., 12 €. – Daniel Martin Feige: Computerspiele. Eine Ästhetik. Suhrkamp Wissenschaft, Berlin 2015, 205 S., 14 €.– Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. S. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2015, 128 S., 9,99 €. – William Gibson: Peripherie. Klett-Cotta, 2. Aufl., Stuttgart 2016, 616 S., 24,95 €.

 

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