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Der Partei gelingt zunehmend eine emotionale Bindung ihrer Anhängerschaft Das »Wir« der AfD

An Wahlabenden hat sich bei den demokratischen Kräften ein selbstberuhigendes Ritual mit Blick auf die AfD etabliert: Unter all den Zahlen und Diagrammen, die in der Berichterstattung präsentiert werden, ist stets auch eine Statistik über das vermeintliche Verhältnis zwischen Protest- und Überzeugungswahl der AfD dabei. Seit jeher haben laut dieser Statistik mehr AfD-Wählende ihre Entscheidung aus Enttäuschung über die anderen Parteien denn aus Überzeugung von der AfD getroffen.

Für Demokratinnen und Demokraten, die von den Wahlergebnissen der AfD in Schockstarre versetzt werden, haben diese Zahlen eine trügerische therapeutische Wirkung. Suggerieren sie doch, dass die AfD-Wählenden zuvorderst ein Problem mit der Performance der demokratischen Parteien haben als dass die Gesellschaft ein Problem mit der Anfälligkeit gegenüber einer in Teilen rechtsextremen Partei hat. Wenn man dieses Placebo schluckt, kann man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die anderen Parteien ihre Positionen einfach etwas anpassen müssten, etwa in der Migrationspolitik, um Wählende von der AfD »zurückzuholen«.

Die Wirklichkeit ist für die demokratischen Kräfte deutlich ungemütlicher: Die AfD verfügt mittlerweile über den höchsten Anteil treuster Wählender. Zwar schließt nicht jeder AfD-Unterstützende grundsätzlich aus, eventuell auch für eine andere Parteien zu stimmen. Aber diese Umstände, anders formuliert die spezifische »Nachfrage« der AfD-Klientel, können die anderen Parteien mit ihrem Angebot nicht bedienen. Denn AfD-Wählende wollen nicht einfach nur eine rechtere Politik, sie wollen eine andere Herrschaftsform. Ihnen missfällt das System der repräsentativen Demokratie. Stattdessen wollen sie ein plebiszitäres System, hauptsächlich umgesetzt durch Referenden.

Das heißt: Für die anderen Parteien sind diese Wählerinnen und Wähler in erster Linie aufgrund ihrer Opposition zur repräsentativen Demokratie nicht erreichbar. Eine Rechtsverschiebung in einzelnen Politikfeldern ändert daran nichts. Für die Diagramme und Statistiken an Wahlabenden bedeutet das: Bei AfD-Wählenden ist der Protest die Überzeugung. Diese beiden Faktoren bei der AfD-Wählerschaft demoskopisch voneinander zu trennen, führt politisch in die Irre. Vielmehr gehört das Anti-Systemische zur Identität der Rechtsaußenpartei und ihrer Anhängerschaft.

Das Politikangebot der AfD ist schon seit ihrer Gründung durch ein Identitätsangebot geprägt. Das binäre Denken in Ingroup (»Wir«) und Outgroups (»die Anderen«), in Freund und Feind, ist konstitutiv für die eigene Weltanschauung. Die systempolitische Abgrenzung zu den Eliten und Institutionen der repräsentativen Demokratien und das Selbstverständnis, nur man selbst verkörpere »die wahren Demokraten«, reicht jedoch allein nicht, um eine stabile Bindung zwischen Partei und Anhängerschaft zu schaffen. Oftmals sind »die Eliten« ohnehin nur Projektionsfläche für Unzufriedenheit und Frust unterschiedlicher Art. Für ein wärmendes Gemeinschaftsgefühl braucht es emotionalere Ein- und Abgrenzungsmerkmale, für eine dauerhafte Mobilisierung zudem eine gemeinsame Perspektive im Sinne eines Heilversprechens.

Welche Bausteine die AfD zur Konstruktion einer kollektiven Identität heranzieht, offenbart sich auf ihrer Facebook-Seite, dem eigenen Massenmedium der Partei. Eine quantitative und qualitative Textanalyse von 1.175 Facebook-Posts der AfD-Bundespartei aus der letzten Legislaturperiode zeigt zunächst das Ausmaß der Identitätspolitik in den Botschaften der Partei: In über 75 Prozent der Posts konstruiert die AfD eine kollektive Identität und versucht damit ein Gemeinschaftsgefühl unter der Anhängerschaft zu erzeugen.

Die AfD setzt auf eine Doppelidentität, sie versteht sich und ihr Umfeld als »Opfer« und »Retter« zugleich. Zentrale Konfliktgegenstände sind dabei jedoch nicht ökonomische, soziale oder eben demokratiepolitische Fragen, sondern in erster Linie kulturelle Themen. Konkreter: ein Lebensstil, den sie zur »kulturtypischen« deutschen, nahezu naturgesetzlich verbrieften Lebensweise erhebt. Der Vorwurf an »die Anderen«: Die Eliten wollen uns das »normale Leben« wegnehmen.

Verquere Vorstellung von »Normalität«

Zwar bewirtschaftet die AfD ihre kulturelle Identität als völkisch-nationalistische Kraft auch über Kategorien wie Ethnie oder Religion, aber auch sie zahlen letztlich mit ein auf ihre Vorstellung von »Normalität«. Diese Normalität macht sie immer wieder an alltäglichen Dingen wie Mobilität, Ernährung, Kleidung oder Freizeitgestaltung fest. Also jene Bereiche des eigenen Lebens, die heute direkt von der Inflation und sozialökologischer Transformation betroffen sind.

Die AfD zieht die Grenze zwischen den Insidern, die einen »typisch deutschen« Lebensstil pflegen und jenen Outsidern, die sich angeblich davon entfremdet hätten, mitten durch die Gesellschaft: Bei der Ernährung wird die Trennlinie zwischen »Fleisch« und »Vegan« gezogen, bei der Mobilität zwischen Diesel und E-Auto, bei der Urlaubsplanung zwischen Billigflug und Nichtflug. Die Outsider gelten als Verräter der eigenen Kultur, dazu zählt sie die etablierten Parteien genauso wie Klimaaktivisten. Schließlich ist der Treibstoff ihrer kulturellen Identität die billige fossile Energie.

Nord Stream 2 war insofern ein nützliches Symbol mit zweifacher Funktion: Erstens sollen mit der Kulturalisierung ökonomischer Sorgen die Verunsicherten nicht nur von Kosten-, sondern auch von Veränderungsdruck entlastet werden – ein Angebot, das auch für viele Westdeutsche attraktiv zu sein scheint. Zweitens kommen Russlandfreunde auf ihre Kosten, die zahlreicher in Ostdeutschland zu vermuten sind. Für beide gilt: Putins Gas ist das Versprechen von Identitätswahrung.

Der Soziologe Andreas Reckwitz schrieb letzten Herbst im Spiegel: »Der Abschied von Automobil, Fernurlaub und fleischlicher Ernährung fällt auch deshalb schwer, weil sie für den Lebensstil der traditionellen Mittelklasse identitätsstiftend wirken.« Das ist der Ansatzpunkt der AfD. Sie deutet die gegenwärtige Wirtschaftskrise zu einer Identitätskrise um, indem sie etwa die Preissteigerungen als politisch geplanten Angriff auf den Lebensstil der normalen Leute deutet. Der Angreifer ist in dieser Erzählung nicht Putin, sondern die Bundesregierung. Mit dem Ukraine-Krieg will man ohnehin nichts zu tun haben. Russland sei, so Björn Höcke, »der natürliche Partner unserer Lebensweise«. Passenderweise hat der Freund im Kreml nicht nur das benötigte Gas, sondern auch die gleichen illiberalen Ansichten zu LGBTQIA+-Rechten oder Pressefreiheit.

Die Bundesregierung wird hingegen zum »internen Outsider« erklärt, als Feind im Inneren markiert, mit ihrer Dekarbonisierungsagenda ist sie in dieser Erzählung der »natürliche Gegner« der eigenen Lebensweise. Hier zeigt sich die Flexibilität der heutigen Identitätspolitik der AfD: In der Migrationspolitik geht die radikal Rechte gegen jeden von außen vor. In der Energiekrise kommt der Freund von außen, der Feind sitzt im Inneren. Die rechtspopulistische Konstruktion von »Feinden im Inneren« kann eine Spaltung und Polarisierung in der Gesellschaft befördern, deshalb gilt es für die demokratischen Kräfte hier besonders aufmerksam zu sein.

Inszenierung als Bollwerk gegen den kulturellen Untergang

Mit dem positiv gewendeten Selbstverständnis von der »Retterin« schafft die AfD hingegen einen emotionalen Heldenmythos. Man erhebt sich zum tatkräftigen Bollwerk gegen den kulturellen Untergang, zur einzigen Kraft für die Überwindung der krisenhaften Gegenwart und letzten Chance auf einen positiven Ausgang der Geschichte.

Diese Zukunftsperspektive skizziert die AfD in erster Linie als soziokulturellen Zustand der Gesellschaft, der durch eine ethnisch homogene Zusammensetzung sowie einen vorherrschenden Lebensstil – siehe oben: Diesel, Fleisch, Billigflug – gekennzeichnet ist. Dieser kulturelle Kampf um das »normale Leben« ist flexibel beziehungsweise willkürlich auf sämtliche Themenfelder anwendbar und macht die Partei auch in dieser Hinsicht unabhängiger von singulären Mobilisierungsthemen.

Eine der wichtigsten Zutaten für das Gemeinschaftsgefühl der AfD sind Emotionen. Auch dazu gibt es interessante Empirie aus der Facebook-Kommunikation der Partei: Im Durchschnitt enthält jede »Wir«-Botschaft mehr als einen emotionalen Trigger. Anders als oftmals angenommen, handelt es sich dabei nicht nur um negative Affekte wie Empörung oder Angst. Positive und negative Emotionen kommen in gleichem Verhältnis vor. Überlegenheit, moralische Aufrichtigkeit, Mut und Machertum sind von der AfD häufig eingesetzte positive Gefühle.

Die Facebook-Seite der AfD ist somit keinesfalls allein eine »Wutmaschine«. Die selbstbewussten und optimistischen Zuschreibungen erzeugen eine Selbstheroisierung, die wiederum der Selbstaufwertung der individuellen AfD-Unterstützenden dient. Ohne dieses positive Gruppengefühl und die hoffnungsvolle Zukunftsperspektive würde der AfD keine nachhaltige Mobilisierung gelingen.

Die düstere Gegenwartsbeschreibung verursacht von inneren und äußeren Feinden mag kurzfristig Affektive und Aufmerksamkeit generieren, eine langfristige Bindung der Wählenden ist jedoch auf eine hoffnungsvolle Botschaft angewiesen, eine Brücke von der Krise im Heute zur Erlösung im Morgen. »Deutschland zuerst« und »Deutschland, aber normal« sind die Verdichtungen dieses Angebots. Normalität wird zur Identität. Auch wenn es sich dabei um eine Schein-Normalität handelt, deren Ansteuerung in der Realität von Krieg und Klima allenthalben krisenverschärfend wirken wird.

Emotionale Bindung über soziale Medien

Bei allen Diskussionen über die Ansprechbarkeit von AfD-Wählenden für andere Parteien muss die emotionale Bindung zwischen AfD und Anhängerschaft bedacht werden. Das intensive identity building der AfD hat wesentlich zu ihrer Etablierung im Parteiensystem beigetragen. Traditionell sind Parteien durch ihre Verbindung zu einem bestimmten sozialen Milieu entstanden: SPD und Arbeiterklasse, CDU und Katholiken, auch den Grünen half das einende Band zur Umweltbewegung.

Die gesellschaftliche Verankerung und somit auch politische Mobilisierungsfähigkeit von Parteien gründete lange Zeit auf einem Gemeinschaftsgefühl zwischen ihnen und bestimmten sozialen Gruppen. Längst aber sind die klassischen sozialen Milieus zerbröselt und insbesondere die einstigen Volksparteien gesellschaftlich verwundbar geworden, weil die Quellen für große Stammwählerschaften versiegten.

Der Aufstieg der AfD ist in Teilen auch damit zu erklären, dass sie auf diese Entwicklung von Beginn an eine zeitgemäße Antwort gefunden hat: Nicht das soziale Milieu, sondern die sozialen Medien sind der Ort der Identitätsbildung. Auch wenn der nächste Winter wieder kalt wird, in der Echokammer ist es immer kuschelig warm.

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