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Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!

Wie im politischen Populismus verschieben sich auch in der Popmusik die Grenzen des Sagbaren. »Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.« Musik scheint besonders offen für romantisierende Mythen, die etwa eine umfassende Völkerverständigung (»Musik ist eine Sprache, die alle Grenzen überwindet«), die Beförderung besonderer Fähigkeiten (»Musizieren macht intelligent«) oder eben – wie in der eingangs zitierten Redewendung – das Gute schlechthin für sich in Anspruch nehmen. Doch bei näherer Betrachtung erweisen sich all diese Behauptungen als äußerst zweifelhaft: Die unterstellte Allgemeinverständlichkeit musikalischer Sprache(n) lässt sich angesichts der Unterschiede zwischen abendländischer Musikkultur und indischer, arabischer oder asiatischer leicht widerlegen, und auch die sehr verkürzte Annahme von Transfereffekten wie Intelligenzsteigerung oder Erhöhung der Sozialverträglichkeit durch Musizieren wird in der musikpädagogischen Forschung kritisch diskutiert.

Beim »Faktencheck« zum Eingangszitat fällt die Abweichung des Behaupteten mit dem zu Beobachtenden besonders krass ins Auge: Lässt sich doch gerade Musik, die von allen Kunstgattungen am engsten mit unseren Emotionen verknüpft ist, manipulativ einsetzen, was sich nicht zuletzt die Nazi-Diktatur durch propagandistische Hetz-, aber auch Unterhaltungslieder auf besonders perfide Weise zunutze machte. Jazz oder Swing hingegen galten den Nazis als »entartet« und zersetzend. In der Nachkriegszeit hat sich Pop- und Rockmusik ein Image als kritische Protestkultur aufgebaut, mit der sich Jugend- und Protestbewegungen identifizierten und die den Soundtrack bildete für 68er-Revolte, Hippiekultur, Antikriegsbewegung und viele weitere emanzipatorische Bewegungen.

Der Skandal 2018 um die ECHO-Preisverleihung an die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang, die für ihr antisemitische Texte beinhaltendes Album Jung, brutal und gutaussehend 3 ausgezeichnet wurden, führte nicht nur zur Abschaffung des Preises, sondern bildete den Anfang einer erneuten Diskussion über extremistische Inhalte in der Pop- und Rockmusik. In seinem 2019 erschienenen Buch Pop und Populismus fragt der Berliner Musikjournalist Jens Balzer nach der »Verantwortung in der Musik« und entlarvt die Vorstellung einer per se linken Popkultur als weiteren Mythos. »War Pop nicht immer ein Medium der Schwachen und der Minderheiten, der Emanzipation?«, fragt Balzer und zitiert als Antwort den Kulturkritiker Georg Seeßlen aus dem Jahr 2018: »Die Legende, dass unsere Musik, unsere Filme, unsere Comics automatisch mit dem Progressiven, Sozialen und Liberalen, mit der Verbesserung der Welt verbunden sein müssten, mit dem Geschmack von Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit – diese Legende haben wir schon seit geraumer Zeit begraben.«

Im Gegensatz zu Bands, die sich explizit dem rechtsextremen Spektrum zugehörig fühlen und offen rassistisches und antisemitisches Gedankengut verbreiten, gibt es eine wachsende Tendenz im Mainstream-Hip-Hop, sich der Verantwortung für das Gesagte und das eigene Handeln zu entziehen. Wie auch bei rechtspopulistischen Äußerungen in der Politik ist bei kritischer Nachfrage »alles nicht so gemeint«. »Die wesentliche Pose von Kollegah und Farid Bang ist jene des dominanten und aggressiven Täters«, schreibt Jens Balzer, »aber wenn sie Kritik erfahren, ziehen sie sich sogleich auf die Rolle des ungerechtfertigter Weise diskriminierten Opfers zurück«. Diesen rhetorischen Dreischritt aus Grenzüberschreitung, Relativierung und Selbstviktimisierung könne man jedoch bereits seit Beginn des Jahrhunderts bei diversen Hip-Hop-Künstlern und Rockbands beobachten. »Wenn man so möchte, nimmt der populistische Pop einige Strategien des politischen Populismus vorweg.«

Der Aufschrei bei der ECHO-Preisverleihung und die plötzliche Überraschung der Öffentlichkeit angesichts schwer erträglicher Texte im Hip-Hop erklärt sich wohl vor allem daher, dass weite Teile der Medien – Kritiker und Feuilletons – es nicht für nötig erachten, sich mit dieser Musik und Kultur zu befassen. Sonst wären womöglich bereits 2002 Texte des Rappers Bushido diskutiert worden, zum Beispiel aus seinem Stück Drogen, Sex, Gangbang: »Scheiß auf Beziehung, jede Frau ist eine Hure! / Frauen schreien, wenn ich ihr Arschloch ficke! / Halt dein Maul, sonst gibts gleich ne Schelle! / Mach was ich dir sage und zick mir nicht rum!« Oder ein Jahr zuvor im Stück Berlin: »Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel«. Maskulinismus, Frauenhass und Homophobie als Grundkonstanten des Gangsta-Rap erregen jedoch kaum Widerspruch.

Speziell beim Thema Sexismus arbeitet Balzer deutlich heraus, dass dieser »nicht erst von afroamerikanisch oder migrantisch oder sonst wie minoritär markierten Gruppen in eine vermeintlich emanzipierte Mehrheitsgesellschaft importiert worden« sei, sondern konstanter Teil der Popkultur ist. Nicht zuletzt durch die #metoo-Kampagne gerät wieder in den Fokus, dass auch in linken Milieus gefeierte Stars wie Iggy Pop oder eine Ikone der LGBTQ-Gemeinde wie David Bowie »ein im Detail widerlicher Sexist« war. Im kürzlich erschienenen Sammelband (Dis-)Orienting Sounds – Machtkritische Perspektiven auf populäre Musik legt Katharina Alexi ausführlich dar, wie (Neo-)Sexismus auch in der sich links verortenden Indie- und Punkmusik eine zentrale Rolle einnimmt. Am Beispiel des Songs Dein Lied der Indie-Band Kraftklub lassen sich dieselben Mechanismen von Grenzüberschreitung, Relativierung und Einnehmen der Opferrolle gegenüber Kritikerinnen und Kritikern beobachten wie im Falle rassistischer und antisemitischer Texte der Hip-Hop-Szene. Kraftklub-Sänger Felix Brummer kommentiert Textzeilen wie »Du verdammte Hure, das ist dein Lied« nach Alexis Meinung »geradezu pädagogisch ambitioniert«. So erläutert Brummer, »dass Leute den Unterschied zwischen Realität und Fiktion – und auch gerade junge Leute – lernen müssen und den irgendwie erklären, das ist einfach so, ja. Da gehört so'n Song wie ›Dein Lied‹ sicherlich auch dazu, dass irgendjemand sagt: ›Ey, das ist ne fiktive Geschichte, das heißt nicht, dass du jetzt deine Exfreundin als Hure bezeichnen darfst‹.«

Die Inanspruchnahme von Ironie und Humor für die eigene Position (»alles nicht so gemeint«) macht nahezu immun gegen Kritik. Denn jeder Widerspruch fällt auf den Kritiker oder die Kritikerin zurück und lässt gerade Letztere als humorlose feministische Spaßbremse dastehen. Das »implizit mitklingende Argument, Frauen müssten die Bezeichnung Hure aushalten, weil sie emanzipiert sind«, bezeichnet Katharina Alexi als besonders tückisch. Und anders als Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie ist Sexismus in der Mehrheitsgesellschaft offenbar so tief verankert, dass sexistische Klischees nicht zuletzt durch die Kulturmedien selbst weiter reproduziert werden. »Er hat ›Huuuuuuure‹ gesagt! (…) Was für ein Comeback für die Band aus Karl-Marx-Stadt«, textet begeistert der Journalist für puls Musik – das junge Programm des Bayerischen Rundfunks, während der Moderator im Radiosender DasDing Kraftklub-Sänger Brummer fragt: »Was sag ich denn den Ursulas, die sich jetzt hier melden und sagen ›Ey, das geht gar nicht‹?« »Indie soll (ironisch) alles dürfen, während Punk-Akteure Feminismus für bedeutungslos erklären und Rapper sexistische Videos möglichst exakt nachbauen. Aber warum eigentlich all das, und warum ausgerechnet jetzt? Und warum, erst recht im sogenannten subversiven Musikbetrieb, sollten Frauen und Feminist*innen es noch aushalten müssen, nur als Witz- oder Schmähfiguren vorzukommen (…)?«, fragt Alexi. Und noch schärfer formuliert Theresa Bäuerlein im Magazin Emma im Jahr 2005 mit Blick auf Gangsta-Rap: »Die Konzerthallen von Bushido, Sido und Konsorten sind voll von ganz normalen Jugendlichen, Bravo-Lesern und BWL-Studenten. Sie lieben die Rapper dafür, dass sie sich scheinbar einen Dreck um jene Werte scheren, die Jugendschützer, Eltern und Lehrer hochhalten. (…) Wie passt das zusammen? Eigentlich gar nicht. Doch die Berliner Rapper umgibt jener Glorienschein der Authentizität, der Kids und Musikkritiker gleichermaßen fasziniert und der von den Plattenfirmen sorgfältig gepflegt wird.«

Was ist authentisch, was ist Fake? Wo endet die Ironie, wo beginnt der Ernst? Das Infragestellen bürgerlicher Konventionen und Moralvorstellungen durch Provokation und Grenzüberschreitung war immer wieder Teil von Popkultur. In diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die Akteure der hier angeführten Beispiele. »Bushido und seine Gesinnungs- und Geistesbrüder geben sich gleichzeitig als echte harte Jungs von der Straße, die unter schwierigen Umständen aufgewachsen sind und allerlei Diskriminierungserfahrungen zu erleiden hatten«, schreibt Jens Balzer, »sowie als gewitzte Provokateure, die mit ihren Rollenmodellen spielen und im Zweifel also doch nicht ›sie selber‹ sind, sondern Darsteller von Figuren und Charakteren, die für das Dargestellte nicht zur Verantwortung zu ziehen sind.« Damit jedoch seien sie »nützliche Idioten eines rassistischen Systems« und hätten die breite kulturelle Verschiebung nach rechts mit vorangetrieben: »als stereotype Verkörperung der vom Populismus beschworenen Gefahr eines gescheiterten Multikulturalismus – und als Protagonisten jenes patriarchalen Männlichkeitsbilds, das im innersten Kern des populistischen Weltbilds liegt«.

Ganz anders positionieren sich demgegenüber Künstlerinnen und Künstler eines Genres, von dem man solches womöglich nicht erwartet hätte. In dem von vielen als konservativ angesehenen Bereich des Schlagers gibt es deutliche Stellungnahmen und Anzeichen einer solidarischen Verbindung mit Minderheiten. So hat die von der Hochkultur oft geschmähte Lieblingssängerin der Deutschen Helene Fischer Ende 2018 für ein deutliches Statement gesorgt, als sie gemeinsam mit der Schlagersängerin Kerstin Ott – einer bekennenden Lesbe – das Lied Regenbogenfarben sang, während im Publikum Regenbogenfahnen geschwungen wurden. Damit bildet Helene Fischer einen deutlichen Widerpart zum ebenfalls beliebten Heimatrocker Andreas Gabalier, der durch frauenverachtende Texte und Kommentare von sich reden macht und auf dem Cover seiner Platte Volks-Rock’n’Roller mit verkrampfter Körperhaltung eine Position einnimmt, die unschwer als Hakenkreuz zu erkennen ist.

Um die Ambivalenz von Gesagtem und Gemeintem, von Authentizität und Fake aufrechtzuerhalten und damit auch kommerziell möglichst viele Anknüpfungspunkte für eine möglichst große Fangemeinde zu bieten, lassen sich andererseits weder Heimatrocker wie Gabalier oder Frei.Wild noch Rapper des Mainstream-Hip-Hops vor den Karren irgendeiner politischen Richtung spannen. Auch wenn die Neue Rechte indirekt von der Kultur des Nicht-so-Gemeinten und des »Das wird man doch wohl noch sagen dürfen«-Denkens profitiert, so ist sie doch gleichzeitig eine »Popkultur ohne Popmusik«, wie Balzer es formuliert. Manche Menschen haben eben doch keine Lieder…

Jens Balzer: Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik. Edition Körber, Hamburg 2019, 208 S., 17 €. – Ralf von Appen/Mario Dunkel (Hg.): (Dis-)Orienting Sounds – Machtkritische Perspektiven auf populäre Musik. transcript, Bielefeld 2019, 310 S., 23,99 €.

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