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Bildung gegen autoritäre Einstellungen kann gelingen Demokratie lernen

Über das Ergebnis der im April veröffentlichten Studie »Jugend in Deutschland 2024« wurde viel diskutiert: Neben einer generellen Unzufriedenheit lässt sich bei jungen Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren auch ein zuneh­mender Rechtsruck beobachten. Zwar mahnt die bekanntere, kürzlich erschienene »Shell-Jugendstudie« durch ihre Ergebnisse zur Differenzierung – eine problematische Entwicklung lasse sich nur für ein bestimmtes Segment der 12- bis 25-Jährigen ausmachen, der Großteil der Jugend aber habe wie die Gesamtgesellschaft Vertrauen in den Staat und die Politik und stehe für Werte wie Toleranz. Insgesamt zeigt aber auch sie, dass mehr junge Menschen als noch vor fünf Jahren autokratisch-autoritären Positionen zustimmen. Die Untersuchungen des Wahlverhaltens junger Menschen bei den zurückliegenden Europa- und Landtagswahlen unterstreichen diesen Trend. Eine Auseinandersetzung mit den Gründen antidemokratischer und autoritärer Einstellungen und Verhaltensweisen bei jungen Menschen ist daher ebenso geboten wie die Beantwortung der Frage, wie man diesen entgegensteuern kann.

Politische Lippenbekenntnisse

Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der 19. Shell-Jugendstudie äußerte sich die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus, anlässlich der Zunahme autoritärer und antidemokratischer Positionen wie folgt: »Das ist ein klarer Auftrag an die Politik, dass wir die politische Bildung stärken sollten. Demokratie ist nicht einfach da, sondern muss von jeder und jedem neu erlernt und vor allem erlebt und mit Leben gefüllt werden.« Zudem forderte sie, den Bedürfnissen junger Menschen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie stärker zu beteiligen.

Statements wie diese liest und hört man parteiübergreifend schon lange. Trotz dieser zahlreichen Lippenbekenntnisse hat sich im Bildungsbereich seit Jahren kaum etwas grundlegend geändert. Nimmt man konkret die politische Bildung in den Blick, dann gewinnt man schnell den Eindruck, dass ihre Stärkung wie ein Feuerlöscher immer nur dann ins Spiel gebracht wird, wenn es brennt. Einerseits kommt darin ein verkürztes Verständnis von politischer Bildung zum Ausdruck, das dieser ausschließlich die Extremismusprävention und -bekämpfung zuschreibt. Und die Frage nach der Verbesserung ihrer strukturellen Gelingensbedingungen bleibt auch oftmals ausgeklammert. Zum anderen muss die politische Bildung entgegen der politischen Lippenbekenntnisse von der Zivilgesellschaft und von Akteur/innen der politischen Bildung immer wieder verteidigt werden, wenn es beispielsweise um die Streichung von Fördermitteln geht oder – wie zuletzt in Berlin – um ihre Unabhängigkeit; so wollte die CDU-geführte Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie dort die Unabhängigkeit der Landeszentrale für politische Bildung tatsächlich rechtlich beschneiden.

Doch unterstellt man Lisa Paus einfach mal einen veränderungswilligen Impetus: Wie ließe sich der schulische Alltag dann konkret ändern? Wie also können Schulen so ausgestaltet werden, dass diese demokratische Einstellungen und Verhaltensweisen fördern und autoritären und demokratiefeindlichen präventiv entgegenwirken? Um darauf Antworten zu finden, könnte, was durchaus seine Berechtigung hätte, das Schul- und Bildungssystem utopisch neu gedacht und am Reißbrett skizziert werden. Wer aber mehrere Jahre im Bildungsbereich und insbesondere an Schulen tätig war, freut sich bereits über kleine, dafür aber wirkungsvolle Änderungen.

Demokratische Schulkultur statt selektive Leistungskultur

In einem Text über das Verhältnis von Philosophie und Pädagogik schrieb der Philosoph Axel Honneth: »Eine gute Erziehung und eine republikanische Staatsordnung sind komplementär aufeinander angewiesen. Erst der öffentliche Unterricht bringt im Individuum die kulturellen und moralischen Befähigungen hervor, mit deren Hilfe das republikanische Staatswesen gedeihen kann – und zwar so, dass die Bürgerschaft auch an der Emanzipation des niederen Volkes noch Anteil nimmt.« Dass sich Schule und Demokratie wechselseitig bedingen, mag in Schulgesetzen und in Rahmenlehrplänen stehen; wer ein Schulgebäude betritt, denkt aber wohl kaum zuvorderst an einen demokratischen Lebensraum, aus dem die kulturellen und moralischen Befähigungen zur Mitwirkung in der demokratischen Gesellschaft erwachsen können.

»Schule wird immer noch in erster Linie als Ort der Leistungserbringung beziehungsweise der Selektion verstanden.«

Dabei ist, mit Oskar Negt gesprochen, die Demokratie »die einzige Staatsform, die gelernt werden muss«. Zu oft stehen jedoch gerade nicht die Entwicklung einer Urteilskraft, der Austausch von Argumenten auf Augenhöhe und Partizipation im Fokus, durch die Schüler/innen Selbstwirksamkeitserfahrungen machen sowie Ambiguitätstoleranz erwerben könnten. Stattdessen wird Schule in erster Linie noch immer als Ort der Leistungserbringung beziehungsweise der Selektion durch Leistungsüberprüfung und -bewertung verstanden. Wie sinnvoll Noten tatsächlich sind, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Stattdessen soll darauf eingegangen werden, wie gefährlich das Gefühl von Ohnmacht mit Blick auf demokratie- und menschenfeindliche Einstellungen ist. Je weniger Menschen mitbestimmen dürfen, desto größer ist das Gefühl von Ohnmacht bei diesen und desto größer ist auch die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen und Parteien, die sehr erfolgreich genau an diesem Gefühl ansetzen. Dass ein Großteil des Schulalltags aus Schüler/innensicht aus Unterordnung und Abhängigkeitsverhältnissen besteht, ist demokratietheoretisch – analog zu fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz – ein großes Problem.

»Rechtliche Rahmenbedingungen müssen so geändert werden, dass sie Schulleitungen und Lehrkräften mehr Zeit und Raum für die Etablierung einer demokratischen Schulkultur einräumen.«

Engagierte Schulleitungen und Lehrkräfte, denen die Bedeutung von Demokratiebildung, politischer Bildung und einer wertschätzenden demokratischen Kommunikationskultur bewusst ist, können aus eigener Kraft einiges bewirken, stoßen aber schnell an Grenzen. Möchte man eine demokratische Schulkultur an Schulen vorfinden, die einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Öffentlichkeit leistet und in der politische Bildung als Prinzip im Schulalltag realisiert wird, in der Entscheidungen nach dem zwanglosen Zwang des besseren Argumentes und unter Beteiligung mindestens aller Betroffenen getroffen werden? In der im Sinne der Kritikfähigkeit und Persönlichkeit Philosophieren als Kulturtechnik verstanden wird und in der dem Schlüsselbegriff der Emanzipation folgend Raum und Zeit für partizipative und demokratische Projekte – auch gegen Hass und Hetze – gegeben ist? Dann müssen rechtliche Rahmenbedingungen so geändert werden, dass sie diesen Schulleitungen und Lehrkräften mehr Zeit und Raum für die Etablierung einer demokratischen Schulkultur einräumen.

Demokratie im Schulalltag verstetigen

Dies würde nur möglich, indem man den Druck, der sich besonders durch das manische Erbringen, Überprüfen und Bewerten von Leistungen im System befindet, herausnimmt. Lehrkräfte müssten durch multiprofessionelle Teams, kleinere Klassen und durch die langfristige Behebung des Lehrkräftemangels entlastet werden. Demokratiebildung und politische Bildung müssen zudem feste Bestandteile von Fortbildungen und in der universitären Lehrkräftebildung sein. Mehr Zeit und weniger Druck für Lehrkräfte und auch allgemein an Schulen würden den Beruf überdies nicht nur attraktiver machen, sondern können auch die Lehrer/innen-Schüler/innenbeziehung verbessern und zu nachhaltigeren und demokratischen Lernprozessen beitragen.

Der US-amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey schrieb einst: »Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.« Um autoritären und demokratiefeindlichen Einstellungen entgegenwirken zu können, müsste Schule also nicht nur über, sondern auch durch und für die Demokratie bilden. Ein Schüler/innenhaushalt oder die Wahl der Schüler/innensprecher wie eine Bundestagswahl mit Wahlprogrammen, Diskussionsveran­staltungen und anderen Wahlkampfelementen durchzuführen, wie dies beispielsweise am Humboldt-Gymnasium Eichwalde im Jahr 2023 auf Wunsch der damaligen Schulsprecher/innen, durch die Schulleitung unterstützt und von den Politiklehrkräften begleitet, erfolgte, könnten Ansatzpunkte sein. Demokratie im Schulalltag muss aber strukturell verstetigt werden.

Lehrkräfte müssen Haltung zeigen

Wirft man schließlich noch einen Blick auf den konkreten Unterricht, dann darf man der AfD zunächst einmal nicht auf den Leim gehen. Man darf vor allem nicht ihrer Fehlinterpretation des Beutelsbacher Konsenses – politische Bildung muss sich nach diesem an den drei didaktischen Leitgedanken der Schüler/innenorientierung, des Überwältigungsverbotes und des Kontroversitätsgebotes orientieren – folgen. Danach dürften sich Lehrkräfte aus Neutralitätsgründen (das Kontroversitätsgebot wird hier falsch ausgelegt!) nicht kritisch mit der AfD (und ihren rechtsextremen Positionen) auseinandersetzen. Lehrkräfte müssen aber gerade überall dort Haltung zeigen, wo demokratie- und menschenfeindliche Aussagen vorkommen.

»Auf ein Moralisieren sollte verzichtet werden, um stabile Anerkennungsverhältnisse zu ermöglichen.«

Möchte man sich mit Rechtsextremismus im Unterricht auseinandersetzen, dann sollten vor allem soziologisierend die Ursachen in den Blick genommen werden. Soziologisierend meint hier insbesondere, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verständlich zu machen und sich – wie es auch die Politikdidaktikerin Sabine Achour fordert – darauf zu fokussieren, was rechtsextremer Politik Plausibilität verleiht. Auf ein Moralisieren sollte verzichtet werden, um die Abwertung und die sich damit verstärkende Ohnmachtserfahrung und Abgrenzung rechter Schüler/innen (in der Praxis oft junge Männer) zu vermeiden und um stabile Anerkennungsverhältnisse zu ermöglichen.

Aber selbst, wenn man sich an diesen Prinzipien orientiert, wird man nicht aus jedem rechtsextremen Schüler einen demokratischen machen können. Inhaltlich muss darüber hinaus der Umgang mit (digitalen) Medien und das Erkennen von Fake News stärker in den Fokus rücken. Funktionierende Technik und Internetverbindungen an Schulen wären dafür wünschenswert.

Möchte man Schulen also so ausgestalten, dass diese demokratische Einstellungen und Verhaltensweisen fördern, dann bedarf es Schulen, in denen alle Mitglieder der Schulgemeinschaft einen demokratischen Lebensraum sehen und Schulen, in denen politische Bildung, Mitbestimmung und eine demokratisch-wertschätzende Gesprächskultur Ohnmachtserfahrungen und das Gefühl von Schwäche und Angst als Grundlage rechtsextremer Einstellungen und Verhaltensweisen verhindern.

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