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Demokratische Republik Kongo: Ein System wird abgewählt?

Auch durch unfreie Wahlen entsteht eine Handlungsdynamik, welche das Potenzial für eine weitere politische Öffnung birgt und Legitimität für einen demokratischen politischen Wandel schafft. Am 30. Dezember 2018 fanden in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) Wahlen statt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes trat der amtierende Präsident, Joseph Kabila, nicht mehr an und sein Kandidat Emmanuel Shadary verlor – faktisch wurde damit das System Kabila abgewählt. Was aussehen mag wie ein Schritt in Richtung Demokratie führte jedoch zu harschen internationalen Reaktionen, denn die Wahlen waren weder demokratisch, noch frei oder fair. Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass der im Januar 2019 vereidigte neue Präsident, Félix Tshisekedi, Vorsitzender der Union für Demokratie und sozialen Fortschrift (UDPS), die Wahlen wirklich gewonnen hat. Es stellt sich hier die Frage, ob Wahlen letztlich nur eine Fassade sind und der Pseudo-Legitimation von Herrschaft dienen oder ob sie tatsächlich einen Beitrag zu einer demokratischen politischen Entwicklung leisten.

Das offizielle Ergebnis laut Wahlkommission machte Tshisekedi mit 38,6 % der Stimmen zum Gewinner der Präsidentschaftswahl, gefolgt von den Oppositionskandidaten Martin Fayulu (Bündnis Lamuka) mit 34,8 % und Emmanuel Shadary (unabhängig, unterstützt von Präsident Kabila) mit 23,8 %. Die kirchlich getragene zivilgesellschaftliche Wahlbeobachtung CENCO kam jedoch zu einem anderen Ergebnis. Darüber hinaus wurden abweichende Daten aus der Wahlkommission geleakt. Diese Zahlen sprechen mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Oppositionskandidat Martin Fayulu mit knapp 60 % der Stimmen deutlich vorn lag.

Nichtsdestotrotz bestätigte das Verfassungsgericht den Wahlausgang. Sukzessive wurde Félix Tshisekedi nicht nur von der Afrikanischen Union sondern auch von anderen Regierungen anerkannt. Die USA, Frankreich und zuletzt auch Belgien haben die Zusammenarbeit mit dem neuen Regierungschef aufgenommen. Es geht jedoch nicht allein um das Wahlergebnis, sondern auch um die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der politischen Verhältnisse. Unter der bisherigen Regierungspartei PPRD gab es in den vergangenen Jahren bis zum Wahlkampf massive Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Mit Moise Katumbi und Jean-Pierre Bemba wurden zwei aussichtsreiche Kandidaten gar nicht erst zur Wahl zugelassen.

Aufgrund von Unruhen und Repression gab es seit 2016 Hunderte Todesopfer und bis heute eine ständige Angst vor politischer Gewalt. Deshalb könnte selbst bei einem »korrekten Wahlergebnis« nicht von einer freien und fairen Wahl gesprochen werden – es bliebe ein Legitimationsdefizit.

Welche Funktion und Qualität können Wahlen in einem Staat wie der DRK überhaupt haben – angesichts kontinuierlicher politischer und kriegerischer Gewalt, mangelnder Rechtssicherheit der Bevölkerung, einer schlechten Bildungssituation und einer durch Klientelismus geprägten Rentenökonomie? Trotz eines dysfunktionalen Staatswesens gibt es eine lange Tradition politischer Parteien und ein Verlangen nach demokratischer politischer Beteiligung. Durch die mangelnde wirtschaftliche und soziale Modernisierung des Landes bleibt eine soziale Differenzierung aus, die sich in einem programmatisch differenzierten Parteiensystem niederschlagen würde. Stattdessen ist das Wahlverhalten von Regionalismus und Klientelismus bestimmt und von einem hohen Maß an politischer Gewalt. Ein Wahlergebnis, dass dem Land Stabilität sichern und zugleich der jungen Bevölkerung gegenüber Legitimation schaffen würde, ist jedoch nicht in Aussicht. In dem Maße, wie die junge Bevölkerung, gerade im urbanen Raum, unter dem klientelistischen Verteilungssystem vernachlässigt wird, bietet sich die Chance, dass sich, aus einer Enttäuschung gegenüber den traditionellen Parteien, soziale Trägergruppen herausbilden, die bereit sind, im Rahmen von Wahlen einem Präsidenten abseits des Establishments demokratische Legitimität zu verleihen.

Über mehrere Jahre hinweg wurde in der Demokratischen Republik Kongo zwischen Präsident Kabila und der Opposition über einen politischen Übergang verhandelt. Zentral war dabei, dass die kongolesische Verfassung die Durchführung von Wahlen spätestens Ende 2016 vorgesehen hatte, da dies das Ende Kabilas zweiter Amtsperiode war und die Verfassung eine dritte Amtszeit nicht erlaubt.

In den Verhandlungen zum politischen Übergang in der DRK wurde die Forderung nach freien Wahlen als Forderung für einen möglichen Machtwechsel und nach demokratischer politischer Legitimation zu einem Referenzpunkt für die politischen Akteure. Jede Forderung nach Wahlen verdeutlichte das Legitimationsdefizit Kabilas. Durch intensive Vermittlung der Kirche konnte man sich schließlich im sogenannten Silvesterabkommen auf einen Wahltermin einigen. Hätte sich Präsident Kabila weiterhin über die verfassungsgemäße Durchführung von Wahlen hinweggesetzt, wäre er dem Risiko ausgesetzt gewesen, einen massiven Imageverlust hinzunehmen und innenpolitisch einer stärker werdenden Oppositionsallianz gegenüberzustehen. Zudem wurde der Ausbruch politischer Gewalt als ein realistisches Szenario betrachtet. Die Durchführung von Wahlen kann also als Teil einer politischen Verhandlungsdynamik gelesen werden. Anstelle von politischer Gewalt war der demokratische Prozess aus Sicht des damaligen Präsidenten Kabila das geringere Übel, um politischem Druck entgegenzuwirken und seine Macht zu sichern.

Schließlich hat die Erwartung an demokratische Wahlen die politischen Strategien der Akteure maßgeblich beeinflusst. Trotzdem blieben letztere, auch in Bezug auf politische Bündnisse, kontinuierlich Teil vager Verhandlungen: Die möglichen Kandidaten hielten sich stets mehrere Optionen offen. Allein die Gerüchte, dass sowohl Kabila als auch Oppositionskräfte jeweils mehreren Kandidaten den Wahlkampf (mit-)finanziert hätten, deuten mehr auf ein politisches Investment, bei dem man versucht, auf der Seite der Gewinner zu sein oder zumindest auf mehrere Lager Einfluss zu haben. Wenn Politik aber als Investment gesehen wird, werden politische Strategien der Akteure willkürlich und es entwickelt sich ein Wechsel politischer Allianzen, der von einem normalen Parteiensystem weit entfernt ist.

Wie erfolgversprechend ist nun das aktuelle, durch die Wahlen entstandene System? Ein System, welches nicht nur durch die Kohabitation, bei der der Staatspräsident aus dem einen politischen Lager, die Parlamentsmehrheit aber aus dem anderen kommt, die Gefahr der Lähmung genuin in sich trägt, und ein System, in dem auch ein ehemaliger Präsident nach wie vor eine politische Rolle spielt. Deutlich ist, dass Kabila mit seinem Lager nach wie vor präsent ist. Strukturell drückt sich das durch die Mehrheit der Sitze im Parlament (42 von 65) und damit auch der Ministerposten für sein Parteienbündnis aus. Darüber hinaus gelang ihm im Rahmen der Koalitionsverhandlungen die Sicherung einiger einflussreicher Ministerien wie das der Verteidigung und der Justiz. Beide sind nicht zuletzt im Hinblick auf eine mögliche Strafverfolgung gegen ihn relevant.

Doch es gibt Anzeichen, die darauf hindeuten, dass Kabila seine Interessen nicht uneingeschränkt ausüben kann: Das lange Ringen zuerst um den Premierminister und dann um die Zusammensetzung der neuen Regierung, in dessen Zuge immer wieder Kandidaten abgelehnt wurden, verdeutlicht, dass weder Kabila noch Tshisekedi uneingeschränkte Entscheidungsgewalt haben. Und auch die Zusammensetzung der neuen Regierung erscheint alles andere als ein allein von Kabila zusammengesetztes Kabinett: 75 % der Minister/innen sind politische Neulinge. Hier lässt sich also durchaus ein sanfter frischer Wind verspüren und der Ansatz eines Aufbruches identifizieren, mit denen sich Tshisekedi scheinbar durchsetzen konnte.

Diese Anzeichen spiegeln sich auch in den ersten Amtshandlungen Tshisekedis wider. Der Gedanke seines Vaters, Étienne Tshisekedi, »le peuple d'abord«, also einer an der Bevölkerung ausgerichteten Politik, die sich für Frieden und nachhaltige Entwicklung einsetzt, schlug sich bereits in seinem kurz nach Amtsantritt vorgestellten 100-Tage-Programm nieder, welches unter anderem die Bekämpfung von Korruption und den Ausbau der Infrastruktur im Land in den Mittelpunkt stellte. Des Weiteren wurden politische Gefangene des alten Regimes freigelassen und erste Verbesserungen im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit sind deutlich erkennbar.

Die zentrale Frage ist und wird es auch im Verlauf der Legislaturperiode bleiben, inwiefern es Tshisekedi gelingt, sich aus den Zwängen des ehemaligen Präsidenten befreien zu können. Durch seine Machtübernahme werden jedenfalls neue politische Allianzen in der DRK und eine Emanzipation vom System Kabila ermöglicht. Ein relevanter Faktor ist dabei seine internationale Unterstützung. Das Werben um internationale Kooperationen zählte zu Tshisekedis ersten Amtshandlungen. Auch die Tatsache, dass unter den neu ernannten Minister/innen keiner der 14 von der EU wegen Menschrechtsverletzungen sanktionierten Kandidaten ist, verdeutlicht Tshisekedis Willen, starke Beziehungen unter anderem zu Europa aufzubauen. Zugutekommt ihm hier, dass die internationale Gemeinschaft durchaus ein Interesse an einem Ende der Ära Kabila hat.

Die Tatsache, dass in einem Land, in dem es bis 2018 keinen einzigen friedlichen Machtwechsel gegeben hat und blutige Konflikte auf der Tagesordnung standen, sowohl am Wahltag als auch seitdem keine politischen Unruhen ausgebrochen sind und ein mächtiger Staatspräsident durch kontinuierlichen Druck der Kirche und Zivilgesellschaft daran gehindert wurde, seine Macht weiter auszuweiten, geben Anlass zur Hoffnung. Nicht zuletzt lässt sich zumindest in der Bevölkerung der Hauptstadt Kinshasa eine deutliche politische Aufbruchsstimmung erkennen.

Die DRK ist ein Beispiel für die zunehmende Relevanz von Wahlen für die politische Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent. Wahlen werden als Möglichkeit der politischen Willensäußerung wahrgenommen und sind als solche stark durch das internationale Normensystem geprägt. Zwar sind die realen Grenzen durch mangelnde Rechtssicherheit, drohende politische Gewalt und die Einbettung in ein rentenökonomisch geprägtes politisches System offensichtlich. Doch trotz dieser Grenzen sind Wahlen als ein Bezugspunkt für demokratischen Wandel und Rechenschaft mittlerweile gesetzt.

Internationale Reaktionen sollten also nicht nur ein einmaliges Verdikt über den Demokratiegehalt von Wahlen fällen, sondern ihre Bedeutung für den weiteren politischen Prozess nutzen, um demokratischen politischen Wandel zu fördern. Eine Anerkennung von Präsident Tshisekedi beispielsweise ist dafür der richtige Weg. Doch es kommt auf die Beweggründe an. Wem Wahlen aufgrund der Demokratieentwicklung wichtig sind, der sollte sich engagieren und nicht Stabilität und Geostrategie in den Vordergrund stellen, sondern die Möglichkeiten demokratischen politischen Wandels. Dafür muss man den Wahlgewinner beim Wort nehmen und demokratisches Verhalten seiner Regierung einfordern.

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