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Wie lässt sich Zuversicht zurückgewinnen? Demokratische Zukünfte

Ist die Gesellschaft tatsächlich gespalten oder scheint es nur so? Haben sich die konservativen Parteien zum Rechtsradikalismus geöffnet oder wurde der Demokratiebegriff vom progressiven Lager derartig mit moralischen Forderungen aufgeladen, dass er breite Mehrheiten überfordert? Erleben wir eine flächendeckende Verrohung oder umgekehrt eher eine endemische Hypersensibilität, die den offenen Austausch von Argumenten erschwert? In all diesen Fragen zeichnet sich kein Konsens ab.

Vermutlich liegt dies schlicht daran, dass die Krise der repräsentativen Demokratie eben nicht eine Wurzel hat, sondern sich Problemlagen wie bei einem Syndrom aufeinanderschichten, ja gegenseitig verschärfen. Die ökonomische Verunsicherung der Mittelschichten, die massive Prekarisierung der unteren Einkommen, eine extreme Vermögensungleichheit, die kulturelle Verunsicherung durch Migration, der Eindruck, der Staat verliere seine Handlungsfähigkeit, die am Horizont drohende Klimakatastrophe – und zu alldem ein Medienwandel, der es Argumenten schwieriger und Empörungen leichter macht. Es geschehen, so kann man vermuten, mehrere Umbrüche zugleich, eskalierend in einer Polykrise, in der die Politik reaktiv von einem Brandherd zum nächsten eilt.

»In vielen Ländern geht es längst nicht mehr nur um Interessenkonflikte, sondern um die Fundamente der Demokratie.«

Die Konsequenzen dieser tektonischen Verschiebungen für den Zustand der Demokratie lassen sich an heftigen Einzelereignissen ablesen, die wie vulkanische Eruptionen die Prozesse in den tieferliegenden Schichten anzeigen. In vielen Ländern geht es längst nicht mehr nur um Interessenkonflikte, um das übliche Hin- und Her der ideologischen Lager, um den heftigen Streit um den besten Weg, sondern um die Spielregeln selbst, um die Fundamente der Demokratie.

In den USA hat sich die konservative Partei einem unberechenbaren Narzissten ausgeliefert; in Brasilien wurde das Parlament gestürmt; in Italien wurde eine Frau Ministerpräsidentin, die Mussolini lobte; in Ungarn hat Orbán eine »illiberale Demokratie« errichtet und versucht dieses Modell zu exportieren; in Israel versucht man, das oberste Gericht auszuschalten, während Minister offen für ethnische Säuberungen plädieren. Die Liste ließe sich verlängern.

Der russische Angriff auf die Ukraine mag kurzzeitig das Gefühl großer Einigkeit »des Westens« hervorgerufen haben, aber eigentlich ist es damit nicht weit her. Man hat das Gefühl, im Auge eines Orkans zu stehen: In Deutschland mag die Lage noch beinahe windstill sein, doch wohin man auch blickt, sieht man Trümmer im Wirbelsturm durch die Luft fliegen.

Jedes einzelne der aufgerufenen Problemfelder und Länderbeispiele hätte eine ausführliche Analyse verdient. Doch kann es hier nur darum gehen, aus dem Knäuel interagierender Problemlagen einen Aspekt herauszunehmen. Im Folgenden soll in diesem Sinne ein Aspekt des besorgniserregenden Zustands der Demokratie näher beleuchtet werden: der Mangel an kollektiver Zuversicht.

Geht der Demokratie die Zukunft aus?

In der Dezember-Ausgabe 2021 der Fachzeitschrift Lancet Planet Health erschien ein Bericht, der erstmals das Thema der climate anxiety in einer großen, internationalen empirischen Studie in den Blick nahm. Die Ergebnisse waren – und sind – erschreckend. Von den 10.000 befragten jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren fürchteten sich 75 Prozent vor der Zukunft. Es war weder die erste, noch wird es die letzte Studie mit dieser These sein.

Angsterkrankungen, Depressionen und Lethargie haben unter jungen Menschen in den USA in den vergangenen Jahren derartig stark zugenommen, dass die Formel von der Mental Health Crisis in Young Adults zu einem feststehenden Begriff geworden ist. Dass es hier nicht nur um die falsche Pathologisierung normaler Adoleszenzkrisen geht, lässt sich vor allem an den wachsenden Zahl suizidgefährdeter Menschen ablesen: Politik tut gut daran, climate anxiety tatsächlich ernst zu nehmen.

Auch in Deutschland zeichnet die empirische Forschung ein recht düsteres Bild. Laut der an der Hertie School entstandenen, von Klaus Hurrelmann und Simon Schnetzer verfassten Studie »Jugend in Deutschland – Trendstudie: Winter 2022/23 - Die Wohlstandsjahre sind vorbei: Psyche, Finanzen, Verzicht« leiden 27 Prozent der Befragten an Depressionen. Der Grund für ihre Sorgen sind wenig überraschend: Neben dem Ukraine-Krieg rangiert der Klimawandel ganz oben auf der Liste der Sorgenquellen.

»Müsste man nicht für viele etablierte Demokratien von einem Mangel an Zuversicht sprechen?«

Vielleicht aber hat die Jugend hier nur die Rolle eines »Kanarienvogels in der Kohlemine«, eines Indikators, der einen breiteren Trend erkennbar werden lässt. Müsste man nicht für viele etablierte Demokratien von einer »Krise der Zukunft«, einem Mangel an Zuversicht sprechen? Der amerikanische Traum scheint für viele in den USA ausgeträumt (erstmals sank dort in den vergangenen Jahren die Lebenserwartung!); in Frankreich hat der kollektive Pessimismus ein eigenes Buchgenre namens »déclinisme« hervorgebracht; in Japan haben immer mehr Menschen kein Interesse an romantischen Beziehungen, an Sex, an einer Ehe oder gar Kindern. Je nach Studie geht man davon aus, dass in Japan rund 25 Prozent der Frauen und beinahe 40 Prozent der Männer zwischen 20 und 30 Jahren noch nie eine romantische Beziehung hatten.

Und in Großbritannien haben wir den Aufstieg einer rückwärtsgewandten Utopie von vergangener Größe erlebt. Derartige rückwärtsgewandte Utopien der Form »Zurück in die Zukunft!« sind sonst eigentlich nur aus autoritären Regimen bekannt, in denen, wie Masha Gessen in Die Zukunft ist Geschichte gezeigt hat, die Zukunft nur noch als Rückkehr in die Vergangenheit denkbar ist: zurück ins Russische oder Osmanische Reich. Man will die vergangene Zukunft zurück, denn mit Karl Valentin lässt sich sagen: »Die Zukunft war früher auch besser.«

Die Privatisierung der Hoffnung

Nun könnte man einwenden, für Optimismus, ja »Hoffnung« sei die Politik nicht zuständig. Allein die Religion (oder ihre jüngere Schwester, die Metaphysik) sei mit der Frage befasst, was wir hoffen dürfen. Aus liberaler Sicht würde man in diesem Sinne den Rückzug der Politik begrüßen und die Produktion von Zuversicht als eine private Angelegenheit betrachten. Ihre Zukünfte, so lautete dann das Argument, müssen sich die Bürgerinnen und Bürger schon selbst gestalten.

Aber nicht nur das Klimaproblem überfordert die Einzelnen in dieser Hinsicht erkennbar. Die Frage der nachhaltigen Entwicklung ist vielleicht nur das deutlichste, das evidenteste Beispiel dafür, dass eine Privatisierung der Zukünfte keine Lösung darstellt, sondern die Probleme eher verschärft. Denn ein mögliches Ergebnis lautet dann, dass die Finanzeliten dieser Welt sich ihre sicheren Villen in Neuseeland kaufen – und weiter kräftig dem Klima schaden. Die ganz persönliche Zukunft ist dann rosig, die Zukunft des Planeten ein Desaster.

Dass demokratische Politik immer auch in der Pflicht steht, plausible Bilder einer erstrebenswerten Zukunft zu entwickeln, scheint daher kein Zufall zu sein. Die Ideale der modernen Demokratie entstanden nicht gleichzeitig mit dem modernen Fortschrittsbegriff. Demokratie legitimiert sich auch damit, dass Zukunft gestaltbar ist – und nicht nur überstanden und ertragen werden muss.

Daher ist es auch nicht überraschend, dass in Demokratien immer wieder der Versuch unternommen wird, Zuversicht systematisch zu produzieren. Dies gilt nicht nur für Barack Obama und seine Kampagne unter dem Titel Hope, sondern auch für Emmanuel Macron, der – En marche! – den Marsch in die Zukunft versprach. Auch Olaf Scholz hatte ja den Begriff Hoffnung ins Zentrum seiner Kampagne gestellt.

In immer kürzeren Konjunkturzyklen kollabieren indes diese Momente des Aufbruchs, mehr noch: Die Enttäuschung ist umso größer, je rhetorisch geschickter und abstrakter das Versprechen formuliert wurde, die Dinge besser zu machen. Entsprechend gering ist dann der Anteil derjenigen, die »der Politik« oder »dem Staat« überhaupt noch die Lösung von Problemen zutrauen. Für Frankreich sind die empirischen Daten diesbezüglich erschreckend.

Wie also gelingt ein Weg aus dem Zirkel von abstrakten Versprechen im Wahlkampf und konkreten Enttäuschungen während der Regierungszeit? Gibt es Kulturtechniken der »Produktion« von Zuversicht, der »Verteilung von Zukünften«? Was wissen wir über die Kunst des demokratischen Optimismus?

Institutionen statt Willensakte

Eine erste Einsicht lautet wohl, dass Politik überhaupt den Mut aufbringen muss, möglichst konkrete Ziele zu benennen. Schröders »Agenda 2010« war hoch umstritten und polarisierte – aber es war immerhin eine klare Agenda. Seitdem hat eine Agenda 2020, 2030, 2040 gefehlt. Der berüchtigte »reaktive Modus« dominierte lange die Politik, nicht nur in Deutschland.

»Wäre es nicht denkbar, die Spitzen der Politik dazu zu zwingen, einmal im Jahr eine konkrete, die Zwischenschritte beinhaltende Vision zu entfalten?«

Wäre es nicht denkbar, die Spitzen der Politik – vielleicht nicht juristisch, aber doch moralisch – dazu zu zwingen, einmal im Jahr eine konkrete, die Zwischenschritte beinhaltende Vision zu entfalten, die sich auf das Ende des kommenden Jahrzehnts bezieht – im Moment also 2040? Wieviel Aufforstung soll bis dahin in Deutschland erfolgt sein? Wie wollen wir unsere Versorgung mit Antibiotika bis dahin sicherstellen? In welchem Zustand wird sich dann die Deutsche Bahn befinden? Auf all diese Fragen bräuchte man konkrete, mit Zahlen unterfütterte und die Zwischenschritte möglichst klar benennende Zukünfte. Auch für den Bau eines Hauses ist ein Bauplan ja hilfreich, das »Fahren auf Sicht« jedoch ein Problem.

Fällt man damit aber nicht in die »Planwirtschaft« zurück? Besteht die Idee des »freien Spiels der freien Kräfte« nicht gerade darin, dass die Politik »planlos« sein muss? Spätestens im Angesicht des Klimawandels erweist sich aber Planlosigkeit nicht als Zutrauen in die Kräfte des Marktes, sondern als verantwortungslose Naivität.

Ein zweiter Aspekt betrifft den institutionellen Charakter entsprechender Mechanismen, die zu Zuversicht Anlass geben. Über die Bausparpläne der 80er Jahren mag man heute lächeln. Fremd scheint uns heute (wo nur noch ein Erbe den Immobilienerwerb ermöglicht) eine Welt, in der Bausparkassen mit dem Spruch werben konnten »Auf diese Steine können sie bauen!«. Ja, das spießige Eigenheim im Speckgürtel ist eine hinterfragbare Utopie – aber es war zumindest eine durch Mechanismen, durch Verfahren der Zuversichtsproduktion unterlegte Zukunft.

Die Kunst der demokratischen Zuversichtsproduktion

Zentral scheint folglich zu sein, dass Zuversicht nicht voluntaristisch, mal so, bald aber auch wieder ganz anders, »produziert« wird. Dass erst der Diesel als Retter des Klimas gefeiert wurde, dann aber – wie aktuell die Gasheizung – als Sackgasse verworfen, verschärft den Eindruck der Planlosigkeit. Viel sinnvoller wirken indes Mechanismen, die Planbarkeit herstellen, inkrementelle Mechanismen, langfristig angelegte Verfahren.

Das Gefühl, die Zukunft nicht gegen sich zu haben, sondern aktiv gestalten zu können.

Man stelle sich vor: Regelungen, die besagen, dass die Benzinsteuer mit jedem Monat um einen Cent steigt. Oder die Steuer auf Mieteinnahmen mit jedem Jahr um zwei Prozent steigt? (Plötzlich wäre bei gleichzeitiger Mietpreisbremse »Vermieter« kein Beruf mehr). Oder eine Regelung, die besagt, dass die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr mit jedem Monat um zwei Euro sinken, gegenfinanziert durch eine Steuer auf fossile Energieträger, die irgendwo anders im selben, langsamen, aber berechenbaren Maße steigt. Dann entstünde womöglich nicht so sehr das Gefühl, die Zukunft gegen sich zu haben, sondern vielmehr, diese Zukunft aktiv gestalten zu können: Time is on my side.

Die gute Nachricht lautet ja: Die postkarbone Welt wird letztlich besser sein. Wir werden weniger Abgase einatmen müssen, weniger Lärm, weniger Stress, weniger »Mobilmachung« ertragen müssen. Höchste Zeit also, die Kunst der demokratischen Zuversichtsproduktion zu entdecken, sie systematisch zu erforschen, sie vergleichend zu analysieren – um sie besser zu praktizieren. Wir schulden es nicht zuletzt der jungen Generation, deren Sorgen nur allzu berechtigt sind.

Kommentare (1)

  • Arno Niesner
    Arno Niesner
    am 09.08.2023
    Um Zukünfte in Demokratien weniger krisenanfällig werden zu lassen, braucht es keine Agenda für das Jahr XY als vielmehr Mitbestimmung durch die Vielen. Den Mangel an Repräsentativität in den Parlamenten und Regierungen hat Emmanuel Macron beispielsweise mit dem Aufstand der Gelbwesten bitter zu spüren bekommen. Nicht zuletzt deshalb gibt es nun einen Ständigen Bürgerrat, zumindest in Paris.

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