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Über eine kleine radikale Minderheit rechter Alt-68er Den antiliberalen Motiven die Treue gehalten

Als sich Horst Mahler im Mai 2017, mittlerweile 81-jährig, einem angeordneten Haftantritt wegen wiederholter Volksverhetzung und Holocaustleugnung widersetzte und stattdessen nach Ungarn flüchtete, fügte er seiner an Extremen reichen Biografie eine weitere Anekdote hinzu. Viktor Orbán, von Mahler zum »Führer der Ungarischen Nation« ernannt, lehnte dessen Ansinnen auf politisches Asyl ab, Mahler verbüßt seitdem seine Haftstrafe, weitere Verfahren wegen Volksverhetzung sind anhängig – die chancenreiche Aussicht auf Haftverschonung aus gesundheitlichen Gründen war vertan.

Mahlers Weg von der SPD, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) über die Rote Armee Fraktion (RAF) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) bis hin zur NPD und dann rechts an ihr vorbei, ist mit dem Blick auf die politischen Extreme zweifellos einzigartig – und seine Bedeutung für die deutsche 68er-Bewegung als Anwalt und intellektueller Mitstreiter darf nicht unterschätzt werden. Doch Mahler ist nicht allein, mit Bernd Rabehl und Reinhold Oberlercher tauchten zwei weitere Köpfe der 68er-Bewegung in den 90er Jahren im Umfeld der politischen Rechten auf, und auch Günter Maschke und Werner Olles gingen ähnliche Wege. Dennoch: Weder auf der Linken noch auf der Rechten bildeten sie je eine homogene Gruppe, noch waren sie zahlenmäßig mehr als die »kleine radikale Minderheit« der Bewegung. Doch wie lässt sich dieser Wandel von links nach rechts durch die jeweiligen Biografien oder das politische Denken erklären? Wo lässt sich auf diesen beiden Ebenen der Bruch im Vergleich zu 1968 identifizieren, wo aber auch eine Konstante erkennen?

Im Zentrum der öffentlichkeitswirksamen Positionierung von Mahler, Rabehl & Co. auf der Rechten stand deren Behauptung, 1968 sei eine nationalrevolutionäre Bewegung gewesen. Doch ausgerechnet das Berufen auf die Nation – Kernelement rechten Denkens – offenbart den vehementen Bruch mit den 68er-Idealen. Zwar trat man im international-sozialistischen Kontext durchaus für nationale Befreiungsbewegungen anderer Länder ein, am augenscheinlichsten bei der südvietnamesischen »Front National de Libération«. Doch eine Adaption auf die deutsche Situation fand trotz Mauer und Teilung nicht statt. Eine Beschäftigung mit der nationalen Frage in Deutschland galt dem SDS als problematisch und reaktionär, wichtiger war der Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution in den Ländern der »Dritten Welt«, wie das Ergebnis eines gemeinsamen Seminars mit der FDJ im Jahr 1966 lautete – und auch der damaligen Überzeugung Mahlers entsprach. Lediglich Rabehl betonte gemeinsam mit Rudi Dutschke die Bedeutung der nationalen Frage im Laufe der 60er Jahre im Sinne eines dritten Weges fern von Kapitalismus und DDR-Sozialismus – wohlgemerkt unter Pseudonym, der Absage an jeglichen Nationalchauvinismus sowie dem Wissen, dass sie innerhalb der Bewegung keine Rolle spielte. Und so sahen sie in den 70er Jahren gerade im Verzicht auf die nationale Thematik einen Grund des attestierten Scheiterns der Bewegung.

Was für die nationale Frage gilt, gilt erst recht für jegliche völkischen oder rassistischen Anleihen. Wenn Mahler und Oberlercher ab den 90er Jahren von der Volksgemeinschaft schwadronieren, die RAF zum »Waffen-SDS« erklären oder ausländerfeindliche Gewalttaten als notwendigen Rassenkrieg auf dem Weg zur »Entausländerung Deutschlands« glorifizieren, hat dies ebenso wie bereits die Kontaktaufnahme zur Rechten rein gar nichts mit der Tradition von 1968 zu tun – es ist nicht mehr als ein pervertiertes Erbe.

Doch bei all diesen Akteuren lassen sich eben auch Schnittmengen von den 60ern bis in die Gegenwart finden. Alle blieben sie der Provokation als prägendem Stilmittel der antiautoritären Bewegung von 68 treu – bis hin zur Aufforderung, dass die Rechte hier von der Linken lernen müsse. Und allen gemein ist vor allem die anhaltende Gegnerschaft zum »westlichen System«, wenn auch oft unter veränderten Konditionen: Die parlamentarische Demokratie mit ihrem Parteienstaat wird wie 1968 als Unterdrückung der Menschen und Verschleierung deren wahrer Interessen gesehen. Für Rabehl diente und dient der Parlamentarismus der Hege und Entschärfung des Politischen, er ist ihm nicht mehr als das »Kampffeld politischer Eliten gegen die Demokratie- und Freiheitsansprüche des Volkes« – die schon 68 angestrebte Rätedemokratie sieht er heute noch als Lösung. Aus dem Ideal der Klassenherrschaft ist nun jenes der Volksherrschaft geworden – was sich bei Mahler und Oberlercher als generelle Ablehnung der Demokratie, die für sie nicht mehr als »Herrschaft über allerlei Volks« und kultureller Völkermord ist, manifestiert. Zu der Aneignung von Johannes Agnoli, Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno gesellten sich über die Jahre Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Carl Schmitt und völkische Bezüge hinzu.

Als Mittel der Verschleierung der vermeintlich wahren Interessen sieht man damals wie heute eine vorherrschende Konsumideologie und die Manipulation seitens der Presse – aus »Enteignet Springer« wurde die »Lügenpresse«. Der früher attestierte Imperialismus der westlichen Staaten ist dem des Kapitals gewichen und firmiert nun unter dem Schlagwort Globalismus. Eingebunden war und ist dies alles in einen rigorosen Antiamerikanismus, der ebenfalls seine Wurzeln in der 68er-Bewegung hat. Die USA galten und gelten ihnen als Stützpfeiler des zu bekämpfenden Status quo. Neu ist jedoch die bei Mahler und Oberlercher anzutreffende Symbiose zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus: Aus dem vormals zionistischen Handlanger der imperialistischen USA wurde so über die Jahrzehnte der jüdische Strippenzieher des Weltkapitals. Die Feindbilder bleiben gleich, die Begründung änderte sich bis hin zu einer völkisch-nationalsozialistischen Aufladung.

Und so ist die Konstante im Denken vor allem eine negative: Geblieben ist die Gegnerschaft zum Westen bzw. die angestrebte Überwindung des Status quo, geblieben sind die antiliberalen und antikapitalistischen, antiparlamentarischen und antiamerikanischen Grundzüge. Die strukturellen Übereinstimmungen in Kritik und Vorgehensweise waren und sind so weniger Beleg genuin rechten oder linken, denn Ausdruck radikalen bis extremistischen Denkens. Gleichzeitig ermöglicht dies Übergänge und Annäherungen zwischen links und rechts.

Zur Konstante im politischen Denken gehört bei Bernd Rabehl auch das Festhalten am revolutionären Subjekt. Wurde dies zunächst in der Studentenschaft und später in der Arbeiterschaft identifiziert, erblickte Rabehl in den späten 90er Jahren in der Neuen Rechten seinen neuen Hoffnungsträger. Dahinter steht die Wahrnehmung, dass die Linke bzw. seine früheren Weggefährten aus der 68er-Bewegung schon in den 70er Jahren mit den autoritären K-Gruppen die einstigen Ideale verraten hätten, bis sie schließlich über die grüne Bewegung den Weg in das politische und akademische Establishment gegangen seien und dort das parlamentarische System noch stützten, anstatt weiter den revolutionären Umsturz im Sinne radikaldemokratischer Zielsetzungen anzustreben. Rabehl selbst haderte damit, dass ihm die ordentliche Professur an einer Universität im Gegensatz zu anderen Weggefährten zeitlebens versagt blieb. Es ist kein Zufall, dass Mahlers und Rabehls öffentliche Positionierung auf der Rechten zeitlich mit dem Beginn der ersten rot-grünen Koalition zusammenfällt. Am Anfang stand nicht die Hinwendung zur Rechten, sondern die Abwendung von der Linken – und der Umstand, dass Rabehl nie in der Gegenwart der Bundesrepublik ankam. Rabehl hatte nicht ohne Grund die nationale Frage verdeckt schon in den 60er Jahren angesprochen. Als »DDR-Abhauer« war er wie Reinhold Oberlercher auf einer politischen Heimat- und Sinnsuche, die er weder in der DDR noch in der Bundesrepublik fand – stattdessen seien ihnen bei Grenzübertritt zwei Lügen begegnet, die sich zwar nicht grüßten, aber sich gegenseitig bräuchten, wie Oberlercher 1964 schrieb.

Und auch Oberlercher zeigte sich ab den 70er Jahren verbittert über seine eigene Karriere. Er fühlte sich einem doppelten Publikationsboykott von rechts und links ausgesetzt, der ihn schließlich bis in die Arbeitslosigkeit führte – und für die er generell bald den Zuzug von ausländischen Arbeitern verantwortlich machen sollte.

Die Selbstwahrnehmung, an den eigenen Überzeugungen festzuhalten und die daraus resultierende Abwendung von den einstigen Weggefährten auf der Linken und Hinwendung zur Rechten war so gleichermaßen Enttäuschung wie Sinnsuche als auch Bestätigung des eigenen Weges. Die durch die Abwendung entstandene Lücke musste neu gefüllt werden, auch um die eigene Identität zu wahren und Irrtümer und eigenes Scheitern nicht eingestehen zu müssen.

Mahler erklärte das Scheitern der politischen Ziele der 68er-Bewegung und der RAF schon in den späten 70er Jahren mit dem Leiden an der falschen Staatstheorie von Karl Marx. Dessen staats- und damit volksfeindliche Auffassung habe verhindert, dass das Volk als revolutionäres Subjekt mobilisiert werden konnte. Fortan berief sich Mahler wie auch Oberlercher auf Hegel. Ihre ureigene Hegel-Interpretation ermöglichte es ihnen, sowohl das bisherige Ausbleiben der Revolution zu erklären als auch ihre rechtsextreme Anleitung für die Zukunft zu finden. Hegels Dogma, allein das Ganze sei das Wahre, bedinge die Volksgemeinschaft. So konnte sich Mahler problemlos eine politische Legende stricken, die es ihm ermöglichte, sich nie von seiner linken Vergangenheit distanzieren zu müssen, ist doch nach seiner Auffassung die Unterscheidung zwischen links und rechts als zwei Teile eines Ganzen obsolet.

Letztlich darf man bei den Biografien von Mahler, Oberlercher und Rabehl auch die psychologische Komponente nicht vernachlässigen. Dies beinhaltet auch ein allen gemeines Machtstreben, die Hybris der eigenen Bedeutungsüberhöhung und vor allem bei Mahler der schon pathologische Zug, stets zu 120 % die richtige Meinung zu vertreten.

Wenn Mahler sich frei nach Hegel darauf beruft, dass man erst im Widerspruch lebendig sei, dann verweist dies eben auch auf die Biografien der rechten Wanderer von links.

50 Jahre später sollte man die Bedeutung rechter Alt-68er nicht überschätzen: So wie man sie nicht aus der Bewegung ausschließen kann, so können sie auch nicht dafür dienen, diese per e zu diffamieren. Lediglich in den 90er und Nullerjahren haben sie zwischenzeitlich mit ihren Thesen vom nationalrevolutionären Impetus der Bewegung von sich reden gemacht. Heute haben sie weder Einfluss noch Gefolgschaft, sie sind mit ihren retrospektiven Deutungs- und Anknüpfungsversuchen gescheitert.

Und doch sind ihre Biografien für die Analyse gegenwärtiger politischer Erscheinungen und Wahlergebnisse nicht zu unterschätzen, stehen sie doch gleichermaßen für den Bruch mit und Kontinuität zu 1968: Wenn sich neurechte Strömungen wie die Identitäre Bewegung bewusst Aktionsformen der antiautoritären 68er aneignen, dann ist dies ebenso Warnung für unsere wehrhafte Demokratie wie die ideologischen Anknüpfungspunkte von Mahler, Oberlercher oder Rabehl, die es diesen erst ermöglichten, sich eine Kontinuität der eigenen Überzeugungen links wie rechts zu bescheinigen. Die Übergänge zwischen den ideologischen Polen können eben fließender sein als deren Akteure es wahrhaben wollen – gefährlich wird es, wenn sich eigene Unzufriedenheit und vermeintliche Benachteiligung permanent gegen den herrschenden politischen Status quo richten. Die politischen Grenzen verschwimmen, es entstehen unselige Allianzen und ein antidemokratischer Nährboden für Parteien und Bewegungen wie AfD und Pegida.

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