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Der 5. Februar

Der 5. Februar 2020 wird als ein schwarzer Tag in die Geschichte der zweiten deutschen Demokratie eingehen. Nicht erst die Wahl eines Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD, CDU und FDP ließ den bundesdeutschen Damm der Demokraten gegen eine in Teilen rechtsextreme Partei brechen, die vom Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft wurde. Dessen Unterspülung begann bereits mit dem von langer Hand eingefädelten Coup, über den mittlerweile die aufschlussreichsten Einzelheiten durchgesickert sind. Danach sollte ein Minderheitskabinett in einem deutschen Bundesland installiert werden, das dann dauerhaft auf die Zustimmung der AfD angewiesen gewesen wäre. Eine Zustimmung, wohlgemerkt, die sich die AfD politisch immer wieder hätte abkaufen lassen.

Die gesamte Aktion zeigt dreierlei: erstens eine beispiellose Geschichtsvergessenheit der handelnden Akteure sowie ihrer Zuschauer und Ratgeber in den Spitzen von CDU und FDP, zweitens deren politisch-strategische Inkompetenz und drittens eine politisch-moralische Bankrotterklärung.

Thüringen ist ein Land, das sich seiner Geschichte bewusst ist. Der Landtag hat vielfältige Initiativen zur Aufarbeitung der Geschichte des Landes gefördert, dazu unter anderem eine eigene Schriftenreihe herausgegeben und eine Erinnerungskultur gepflegt, die vor totalitären Versuchungen ebenso gewarnt wie demokratische Traditionen gepflegt hat. Schon deswegen konnten alle politisch-historisch halbwegs Gebildeten wissen, dass sich im ersten Thüringer Freistaat seit 1924 eine sogenannte Bürgerblock-Regierung mit der Unterstützung völkisch-nationalistischer Parteien im Amt hielt. 1930 kam es dann zu einer förmlichen Koalition aus Landbund, der liberalen DVP und der konservativen DNVP mit der NSDAP. Zum ersten Mal war damit die »Hitler-Bewegung« in einer Landesregierung untergekommen, womit ein immenser Ansehensgewinn der deutschen Faschisten einherging. Die Regierung zerbrach an der fortgesetzten Verachtung, die NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel und NS-Innenminister Wilhelm Frick dem kleineren, liberalen Bündnispartner entgegenbrachten.

Nun muss man die eigene Geschichte nicht kennen, um zu erkennen, wer die politischen Profiteure des Thüringer Coups waren. Angesichts der hämischen und verächtlichen Kommentare aus der AfD nach der Wahl des FDP-Ministerpräsidenten über die »Altparteien«, wurde rasch klar, wer hier wen vorgeführt und als Regierungschef engagiert hatte – mitnichten die bürgerliche Mitte. Die höhnischen Reaktionen verwiesen auf die strategische Inkompetenz der Akteure aus CDU und FDP. Denn was machte diese so sicher, dass ein politisch Unbekannter für das Amt des Ministerpräsidenten persönlich geeignet sei? Was ließ sie glauben, dass ausgerechnet der Vertreter der kleinsten Fraktion eine stabile Regierung aufrechterhalten könnte? Und wie stellten sie sich die Beratung und Verabschiedung eines Landeshaushalts vor, wenn man weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zusammenarbeiten wollte? Kurzum: Was bewegte sie zu glauben, sie könnten aus einer solchen Konstellation politischen Profit schlagen? Diese Fragen sollten gleichwohl nicht dazu führen, den Thüringer Coup als Provinzposse einiger überforderter Landespolitiker zu verharmlosen. Denn hierzu gab es zu viel Beifall von anderer Stelle, zum Beispiel von einem FDP-Vizevorsitzenden, der als stellvertretender Präsident des Deutschen Bundestages amtiert.

Womit wir bei der politisch-moralischen Dimension sind. Mit Fug und Recht darf man CDU und FDP als Gründungsparteien des Freistaates Thüringen bezeichnen. Sie haben die Staats- und Verfassungsbildung nach der demokratischen Revolution entscheidend geprägt. Mit Josef Duchač stellte die CDU den ersten Ministerpräsidenten in einer Koalition mit der FDP. 30 Jahre später dementierte der Thüringer Coup die eigene Aufbauleistung. Und er verriet nebenher die Ideale der demokratischen Revolution, die auf westlichen Grundwerten gegründet waren. Doch die Folgen reichen weiter.

Die Unterstützungsadressen der »Werteunion« an den Kurzzeit-Ministerpräsidenten, die Glückwünsche des früheren Bundesverfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen, der sich als CDU-Mitglied in Thüringen als Ministerpräsidenten-Kandidat angedient hatte und der rasante Autoritätsverlust der Parteiführung offenbaren eine innerparteiliche Zerrüttung der Union, die weit über die Grenzen eines kleinen Bundeslandes hinausreicht. Sie hat mit der Rücktrittserklärung der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer bedrohlich an Fahrt aufgenommen.

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