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Amos Oz wäre am 4. Mai 80 Jahre alt geworden. Der Beladene, der Starke

Im Herbst 1992 wurde der damals 53-jährige Amos Oz mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Er galt bereits damals als einer der wichtigsten Schriftsteller Israels. Im Jahr zuvor war sein Roman Eine Frau erkennen erschienen, und jetzt meinten Viele, der Autor habe sich – ähnlich wie sein Alter Ego im Buch, der ehemalige Mossad-Agent Joel Raviv – ins Private zurückgezogen. Überhaupt schienen bei ihm jene Empfindungen zu dominieren, die eher auf Resignation, Überdruss und Enttäuschung hindeuteten als auf ein weiter angelegtes, zielgerichtetes politisches Engagement.

Stimmungsschwankungen hatten wiederholt an diesem streitbaren Autor irritiert, der sich als Zionist und Sozialist bekannte, zu den Initiatoren der israelischen Friedensbewegung »Peace now« gehörte, aber kein Anhänger eines Friedens um jeden Preis war. Seit Mitte der 80er Jahre lebte er mit seiner Familie in Arad zwischen der Negev-Wüste und dem Toten Meer. Sein Arbeitszimmer im Keller des Hauses, ließ die Hitze des Negevs nicht herein. Bei meinem Besuch sprachen Israelis und Araber seit einigen Tagen zum ersten Mal in offiziellen Verhandlungen miteinander. Wie sie ausgehen würden, war völlig ungewiss. Amos Oz lächelt ein wenig: Es sei eben schwer, ein Prophet im Land der Propheten zu sein. Er wünsche sich aber keinen »Shakespeare-Schluss«, wo am Ende die Bühne mit Leichen übersät sei. Vielmehr hoffe er auf ein »Tschechow-Ende«, bei dem zwar alle Teilnehmer enttäuscht und melancholisch, aber immerhin noch am Leben seien.

In Israel hat man Amos Oz sein Votum für die Rückgabe der besetzten Gebiete an die Palästinenser damals übel genommen. Dabei unterließ er es nie, eine Sicherheitsgarantie für das Überleben Israels zu verlangen. Diese Vorstellung von zwei nebeneinander existierenden Staaten wurde seinerzeit von etwa der Hälfte der Israelis geteilt, wobei Amos Oz nüchtern hinzufügt: »Wieviel man freilich für was zu geben haben wird, darüber wird man nicht zwei Israelis mit einheitlicher Meinung finden.«

Aber Amos Oz gehörte zu denen, die einer starren Anti-Politik immer widersprochen haben. In der Vorstellung, dass der gegenseitige Hass auf beiden Seiten ein friedliches Zusammenleben praktisch unmöglich mache, sah der ehemalige Panzerkommandeur ein Missverständnis: »Die Wahrheit ist eigentlich, dass sich beide Seiten sehr gut kennen und die Ansichten des anderen auch verstehen: Die Palästinenser glauben, das ist ihr Land, und die Israelis glauben ebenfalls: das ist ihr Land.«

In seinen Büchern hat Amos Oz beschrieben, wie sich die israelische Psyche durch die Erfahrungen seit der Staatsgründung entwickelt hat: das Leben im Kibbuz, einer Art Kommune, die Bedrohung durch die arabischen Nachbarn, die Kriege, das Verhältnis zu den Palästinensern, die sozialen Unterschiede, die Rolle der Religion, die permanente Gewalt. Dabei beschäftigte ihn auch die im Westen oft gestellte Frage, wie es möglich sei, dass die Juden, die man in Europa so massiv unterdrückt und verfolgt habe, heute in ähnlicher Weise gegen die Palästinenser vorgingen. Seine Antwort war klar und eindeutig: Diese Unterscheidung sei Heuchelei; sie hinterlasse das Gefühl, dass das Opfer von Verfolgung moralisch über sich selbst hinauswachsen müsse: »Einige Opfer werden tatsächlich sensibler für Gewalt, nachdem sie selbst Opfer der Gewalt waren. Andere allerdings werden misstrauisch und gewalttätig. Beide Reaktionen auf erfahrenes Leid sind menschlich. In den Gaskammern hat man die Juden nicht mit einer moralischen Flüssigkeit gereinigt, sondern mit Zyklon-B umgebracht. Wenn mir jemand sagt: Die Palästinenser haben gelitten, deswegen sind sie gewalttätig, und deswegen dürfen die Israelis nicht gewalttätig sein – da mache ich nicht mit.«

Aus europäischer Sicht fehlten Amos Oz (sein Name bedeutet der Beladene, der Starke) die äußeren Attribute des »berühmten Romanciers«. Tatsächlich hat er um sich und seine öffentliche Rolle niemals viel Wesens gemacht. Lehrer, Wachmann, Erntehelfer, Kellner – all das war er im Kibbuz, von all dem wurde er geprägt. Drei Jahre Militärdienst, Studium der Literatur und Philosophie an der Universität Jerusalem, erste Erfolge als Schriftsteller, schließlich die Teilnahme am Jom-Kippur-Krieg 1973. Als Kind hatte er beschlossen, niemals deutschen Boden zu betreten, keine Gegenstände zu benutzen, die in Deutschland hergestellt wurden. Doch die deutsche Literatur konnte und wollte er nicht boykottieren. Er las Grass, Böll, Walser, Bachmann, freundete sich mit Siegfried Lenz an. Die Literatur machte ihn neugierig auf das neue Deutschland. Später hat er die Bundesrepublik oft besucht. Doch die Beziehung zu Deutschland war für ihn auf politischer Ebene keine normale. Es sei zwar legitim, wenn die eine Regierung die Politik der anderen scharf kritisiere. Aber er glaube nicht, dass der Mord an den Juden die Deutschen zwinge, alles zu tun, was Israel von Deutschland verlange. Nur in einem Punkt müsste die Beziehung zwischen Deutschen und Juden, zwischen Deutschland und Israel immer eine besondere bleiben: wenn Israel oder die Juden überall in der Welt wieder der Gefahr der Vernichtung ausgesetzt seien. Die Deutschen hätten die Juden historisch für immer in einen Rollstuhl gesetzt. Diese Verantwortung müsse von einer Generation auf die nächste übergehen.

Kurz vor seinem Tod im Dezember 2018 erschien ein Band mit drei Essays von Amos Oz unter dem Titel Liebe Fanatiker, worin er sich an seine Landsleute wandte. In einem Text – »Träume, von denen sich Israel möglichst bald befreien sollte« – schreibt er: Als Jude unbedingt auf dem Tempelberg beten zu wollen, sei ungefähr so, als wolle man als Fußgänger auf seinem Recht beharren, am Zebrastreifen Vorrang zu haben, obwohl man einen Lastwagen mit 100 km/h auf sich zurasen sehe. In seinem Roman Der dritte Zustand hatte er 1992 geschrieben: »Wenn es niemanden mehr gebe, der die Israelis ins Meer treiben wolle, wüssten sie gar nicht mehr, über wen sie sich den lieben langen Tag noch aufregen sollten.«

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