Professionelle Werbung gaukelt gerne Stärken vor, wo Schwachpunkte sind, manchmal sogar ziemlich dreist. Die PR-Agentur der CDU greift also zu einem bewährten Mittel: Immer wieder kommt jetzt »morgen« vor. »Wegen morgen«, »gemeinsam blicken wir auf morgen«, man nennt das in der Werbesprache Branding. Die Marke wird herausgeputzt. Begrifflich nicht ganz originell in diesem Fall, die SPD gewann die Mainzer Landtagswahl vor fünf Jahren mit dem Slogan »Unser Land von morgen«. Viel »morgen«-Branding zwar bei der CDU jetzt, aber weit und breit noch keine Ideen für morgen, vom Selbstlob für den digitalen Parteitag zur Wahl des neuen Vorsitzenden abgesehen. Es ist, personell betrachtet, ja auch wenig morgen im Angebot. Es war im Januar, personalisiert von Armin Laschet und Friedrich Merz, eine Richtungswahl zwischen heute und gestern, zwischen Merkel-Denke und Vor-Merkel-Denke. Mit dem Ergebnis, dass der bequeme Weg, alles so zu lassen wie es ist, knapp gewann.
Ohne Corona wäre es eher anders herum ausgegangen, die anhaltende Sehnsucht nach der alten polarisierenden Kampfgemeinschaft CDU bleibt an der Basis unübersehbar. Aber kurz vor der Bundestagswahl, ohne tatsächliches Parteileben und täglich gefordert durch die Pandemie, fürchtet sie offene Kursdebatten noch mehr, als sie sie für nötig hält. Das Establishment hatte deshalb geradezu mit der Brechstange durchgesetzt, den bequemeren Weg via Laschet zur Parteilinie zu machen. 53 % für ihn im zweiten Wahlgang: Das zeigte, knapp genug, den Mehrheitswunsch nach Ausgleich und die Mehrheitsangst vor anstrengender Neufindung in solchen Zeiten. Es zeigte die Hoffnung, dass irgendwie doch Angela Merkels rationale Souveränität nochmal die Wahl für die Union entscheiden möge, sogar wenn die Kanzlerin selbst nicht mehr antritt. Von wegen Blick auf morgen. Nur Stabilität im Heute haben sie sich mit Laschet erst mal eingekauft.
So ist die Partei unter Merkel nun mal geworden: abwartend, tagesbezogen, weitgehend unideologisch, den Ausgleich der Interessen vor jedes Prinzip stellend. Seit Monaten: positionslos sich hinter den Virologen verschanzend in der Pandemiepolitik, mitmodernisierend in der Gesellschaftspolitik soweit unvermeidlich, immer wieder wegtauchend bei Langfristthemen, von Klima bis Migration. Laschet verkauft es als Politik der Mitte. Die offene Frage ist, was die Mitte davon hält.
Die Selbstgerechtigkeit eines Friedrich Merz hatte beim Digital-Parteitag in der menschenleeren Berliner Messehalle noch abschreckender gewirkt, als sie es in einem vollen Saal mit begeistert klatschender Junger Union gewesen wäre. Seine Blindheit für neue Themen – festzumachen insbesondere an Genderfragen – hatte ihn von der Frauen-Union entfremdet, die jetzt schon zum zweiten Mal bei Vorsitzwahlen den Ausschlag gegen ihn gab.
Dass Merz es nicht geschafft hat, ersparte der CDU die Auferstehung des alten kohlschen Lagerdenkens. Merz wäre inhaltlich angreifbar gewesen, Laschet versucht Angreifbarkeit zu vermeiden. Merz hätte Führung zelebriert, wahrscheinlich mit allerlei Kollateralopfern. Laschet redet in den Talkshows weiter wohlfeil daher und lässt parteiintern allen ihren Raum. Auch das war also die Alternative: pomadige Gefühligkeit gegen eiskalten Ehrgeiz. Umso bemerkenswerter, dass seither selbst von Laschet-Leuten immer wieder ängstlich versprochen wird, auch das Merz-Lager müsse sich in der künftigen CDU-Politik wiederfinden. Da zeigen sich dann die Risiken des bequemen Weges. Dass er im ersten Wahlgang noch hinter Merz gelegen hatte und nur dank der Röttgen-Anhänger Parteichef wurde, belegt Laschets interne Schwäche. Einerseits versammelt die Union sich traditionell problemlos hinter jeglichen Führungsleuten, solange diese Wahlsiege erwarten lassen. Andererseits ist genau das, die Attraktivität im Wahlvolk, im Fall Laschets so sicher nicht. Was bedeutet: Sobald es enger steht in den Meinungsumfragen oder nach den Frühjahrswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wird die Loyalität ihm gegenüber nicht sonderlich belastbar sein.
Zweifellos würde er selbst nun auch gerne Kanzlerkandidat, wenn irgend möglich. Für diese Logik spricht: Sowohl CDU als auch CSU leben mit der Erfahrung, dass bayerische Kandidaten zweimal gescheitert sind. Im großen NRW für Markus Söder Wahlkampf zu machen, kann für Laschet persönlich keine Perspektive sein, allenfalls eine unfreiwillige. Aber sein parteiinterner Rückhalt ist zu schwach, um sich sicher fühlen zu können. Was bedeutet: Interne Konflikte kann er schon gar nicht riskieren. Das macht den bequemen Weg umso mehr zum riskanten Weg. Es wird darauf ankommen, wie viele und welche aus der CDU-Spitze aus purer Defensivtaktik lieber auf Söder setzen als auf Laschet, dessen Aufstieg jetzt ja selbst nur Ausdruck von Defensivtaktik war.
Bis das auch formell entschieden ist, wird in der Medienöffentlichkeit nur nach den Köpfen, nicht nach Inhalten und Programmen gefragt werden – mithin nicht nach morgen. Zur Programmperspektive hat Laschet denn auch – im Duett mit dem ehrgeizigen Partner Jens Spahn – bisher nur PR-Begriffe zu bieten: »Jahrzehnt der Nachhaltigkeit« und »Modernisierungsjahrzehnt«, alles bewusst frühzeitig so gesetzt, um in Merkelmanier den Grünen und der SPD die Überschriften zu nehmen. Inhaltlich nicht ausgefüllt, von unkritischer Digitaleuphorie abgesehen. Es ist eine Art Alles-wird-gut-Strategie. Offenlassend, ob bis zum Wahltag immer noch die aktuelle Pandemiebekämpfung oder schon die Zeit danach das zentrale Thema sein wird.
Nun ist es wahrlich nicht leicht, schon mitten in der Pandemie Zukunftsdebatten zu führen, das zeigt sich in allen Parteien. Das Land ist auch geistig im Stillstand, die täglichen Infektionszahlen waren monatelang die wichtigste Nachricht, politische Stimmungen leben mehr vom Erinnern als vom Erleben. Und doch könnten just bis zum Wahltag im September mit dem Impffortschritt erstmals wieder Perspektiven gefragt sein. Schrittweise Rückkehr zur Lebensfreude dann – und Horizonte über den Tag hinaus.
Was die Laschet-CDU dazu anbieten wird außer bräsigem Vertrauensappell, ist nicht erkennbar. In der Parteizentrale arbeiten sie zwar daran, einen möglichen sommerlichen Stimmungsumschwung vorzudenken und Performance-Varianten zu eruieren. Deshalb all die PR-Begriffe, vom »morgen«-Branding bis zum Jahrzehnt-Slogan. Substanz dahinter fehlt. Und Laschet, der sich eher im Geräuschlosen wohlfühlt und wenig persönliche Ausstrahlung hat, ist auch nicht gerade prädestiniert, einen grundlegenden Stimmungsumschwung zu prägen und zu verkörpern. Dies ist ein Punkt, der aus Unionssicht tatsächlich eher für einen Kanzlerkandidaten Söder spricht, bei dem Wandlungsfähigkeit längst zum eigentlichen Programm wurde.
Die Liste der offenen programmatischen Fragen ist lang. Unter Merkel sind schwierige Themen entweder bewusst weggeschoben oder mainstreamig abgeräumt worden. Bei anderen – insbesondere: Europa – folgte die Partei der Kanzlerin, ohne selbst wirklich engagiert zu sein. Mit dem umgänglichen Nachfolger aus Aachen kann es selbst da schnell zu Hängepartien kommen, zu langwierigen Kompromisssuchen. Hinsichtlich der zentralen offenen Frage zumal, die sich um das Verhältnis zur AfD rankt.
Dass es mit dem neuen Vorsitzenden keinerlei Kooperation mit den Rechtspopulisten auf keiner Politikebene geben werde, hat er vor seiner Wahl versichert. Die Realität aber ist komplexer, als es eine so scheinbar klare Formulierung vermuten lässt. Vorgängerin Kramp-Karrenbauer scheiterte an der CDU-Landtagsfraktion in Thüringen, die einen dritten Wahlgang bei der Ministerpräsidentenwahl zuließ, in dem eine Mehrheit realistischerweise nur mit AfD-Stimmen denkbar war.
In Sachsen-Anhalt hat die CDU-Fraktion aus AfD-naher Grundhaltung heraus im Alleingang den bundesweiten Medienstaatsvertrag zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags platzen lassen. Mit massiven negativen Konsequenzen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der in eine Sparfalle gedrängt wird, und die Rundfunkpolitik der Länder insgesamt. Mit größtmöglicher Ignoranz gegenüber allen Argumentationsversuchen von außen, aber toleriert von der Bundespartei.
Es kommt also nicht alleine auf die schlussendliche förmliche Koalitionsbildung an, sondern auf Haltung oder Obstruktionspolitik im Ganzen. Im Osten entwickelt sich in wichtigen Teiler der CDU zunehmend und in großer Ignoranz gegenüber allen Warnungen ein Anpassungskurs nach rechts. Ob einer wie Laschet dagegen neue Brandmauern durchsetzt, ist mehr als zweifelhaft. Und hier zeigt sich der eigentliche Prüfstein für die Geschlossenheit und künftige Rolle der Union insgesamt. Hier wird jeder bequeme Weg zur fatalen Sackgasse.
Es kommt bei Bundestagswahlen immer darauf an, was die Leute erwarten, wenn sie überlegen, wem sie vertrauen könnten. Vertrauen, dass es so schlimm schon nicht werden wird, dass der Schmusekurs Ost am rechten Rand schon nicht ins Zentrum hinein wirken wird – oder Vertrauen in etwas Neues, Positives und in die Entschlossenheit, es in einer weltoffenen Gesellschaft zu erreichen. Noch ist da sehr unklar, in welche Grundstimmung hinein diesmal das Vertrauensvotum Bundestagswahl stattfindet. Und wer da Führung wohin anbietet – oder abtaucht.
Die CDU-Wahlkampagne wird, wenn Corona bis September auch nur halbwegs überwunden ist, darauf hinauslaufen, Grüne und SPD als gesellschaftliche Spaßbremsen hinzustellen. Als ewige Regulierer und Abkassierer, während die Menschen dann doch vor allem wieder ihre Freiheit ausleben wollten. Falls die Konkurrenz der Union den Gefallen tut, so verkniffen und belehrend aufzutreten wie oft in den langen Monaten der Pandemie, kann das verfangen. Dann wird es eine Wahl gegen die Programme derer, die wenigstens Programme haben. Solange die Pandemie alles überdeckt, muss die Perspektivschwäche der Union wahrlich nicht allen auffallen. Da wird coronapolitisch regiert und regiert, irgendwie im Gleichschritt mit den Nachbarländern, mag in der Bevölkerung der Überdruss gegenüber den immer neuen Kanzlerinnengipfeln mit ihren immer neuen Durchhalteparolen auch mit Händen zu greifen sein. Die immer tiefere Spaltung zwischen den sehr Vorsichtigen und den sehr Sorglosen in der Gesellschaft hat sich bisher noch nicht wirklich politisiert, aber das kann noch kommen.
Die Angst vor solcherart coronabezogener Politisierung war lange Zeit verbreitet auf den Regierungsbänken und wurde erst mit dem Abflachen der Infektionskurve geringer. Aber ein großes Akzeptanzrisiko gingen sie deswegen allesamt kaum mehr ein, je näher die Wahlen rückten. Vor allem das ist der Hintergrund dafür, dass die nationale Coronapolitik immer mehr in den Ruf des Lavierens kam. Lavieren kann die CDU. Aber wann und wie das Land irgendwann aus der Erstarrung erwacht: Das wird dieses Mal entscheidend sein für die Wahlsiegoptionen.
Erst dann wird die eigentlich zentrale Frage im Raum stehen, wie das Leben sein soll nach Corona. Was im Leben wird wieder wie früher, was wird dauerhaft anders bleiben? Rückt eine neue Generation nach vorne, welche Geschäftsmodelle haben dauerhaft verloren und welche haben gewonnen, wie wird die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates neu gesichert? Letzteres wird das Megathema der nächsten Jahre sein. Die Union zumindest wird jedes Interesse haben, die Debatte darüber nicht ernsthaft führen zu müssen.
Die Scheidelinie ist also, ob dies alles noch vor der Septemberwahl ins Zentrum rückt oder erst danach. Anders ausgedrückt: Ob diejenigen, die auf neue Antworten drängen und ehrlich aussprechen, was sich ändert oder noch ändern muss, dann schon in der Mehrzahl sein werden – oder erst später, wenn die Macht neu verteilt ist? Dass die Gesellschaft gerade einen kulturhistorischen Umbruch erlebt, ist vielen heute noch nicht bewusst. Dazu ist der Alltag zu anstrengend, zu gefährlich auch noch, allemal zu prägend. Aber das wird sich ändern, früher oder eben später.
Der Alltag in den Bildungseinrichtungen, das Arbeitsleben zwischen zu Hause und Büro, die sozialen Klüfte im Alltag, die Lust auf Mobilität und Reisen, der Umgang miteinander in Nähe und Distanz, die offene Zukunft vieler Künstler und Kultureinrichtungen, die Kommunikations- und Einkaufsgewohnheiten, das Vereinsleben: Wohin man schaut, gewöhnen die Menschen sich an Neues oder zumindest Verändertes, womöglich sogar an das Wegfallen von ehemals Wichtigem.
Aus der Sicht des Politikmodells Merkel/Laschet lautet die lapidare Antwort, dass es jetzt nun mal viele Veränderungen gegenüber früher geben wird, die dann möglichst akzeptabel moderiert werden müssen. Ohne jemandem weh zu tun. Grüne und SPD neigen eher dazu, eine solche Bräsigkeit nicht zu ertragen und sich deshalb unter den Erwartungsdruck konkreterer Antworten zu setzen. Damit haben sie schon oft Wahlen verloren. Außer, die Konservativen waren unübersehbar verbraucht – oder aber, die reale Lage erzwang Antworten statt wohliger Floskeln. Das Unkalkulierbare am Wahljahr 2021 ist, wie schnell das Virus diese Konkretisierung der Debatte zulässt; wie schnell die Leute bereit sind, aktiv Veränderung zu wählen.
Mit dem CDU-Vorsitzenden Laschet ist eines erwartbar: Es wird wenigstens die Chance zur rationalen Auseinandersetzung geben. Er ist demagogisch eher unbegabt, kann defensiv besser als offensiv und passt, so gesehen, zur CDU nach 16 Jahren Merkel. Politiker wie er oder auch Söder können nur Wahlen gewinnen, wenn die Menschen vor anspruchsvolleren Alternativen mehr Angst haben als vor weiteren vier Jahren Politik der kleinen Schritte. Das ist, Stand Frühjahr 2021, die Herausforderung für alle, die nach Merkel tatsächlich wieder Zukunft gestalten wollen.
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