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Der Einfluss der religiösen Rechten auf die amerikanische Politik

Donald Trump ist ein Faschist. Diese Aussage soll keine Beleidigung sein, sie bringt vielmehr Trumps Politikstil auf den Begriff. Wesentlich für einen Faschisten ist u. a. die Verachtung des Gesetzes. Die Welt ist für ihn Wille und Vorstellung. Faschisten wollen den Bürgerkrieg. Er wird als Endkampf inszeniert, als »totaler Krieg«, wie ihn Trumps Sohn Donald jr. im Streit um den Ausgang der US-Wahl auf Twitter forderte. Faschismus endet notwendig in der Zerstörung – entweder in der Selbstzerstörung oder der Zerstörung anderer, oft in beidem. Trump ist ein Schauspieler, ein Lügner und Betrüger, und auch sein Privatleben unterschreitet alle gängigen moralischen Standards. Warum um Himmels Willen haben dann so viele bekennende Christen, die sich der evangelikalen Bewegung zurechnen, Trump erneut ihre Stimme gegeben? Offenbar hat er in ihren Augen vieles richtig gemacht – anders ist der millionenfache Stimmenzuwachs für ihn nicht zu erklären. Welche Versprechen hat Trump ihnen erfüllt, auf welchen Feldern hat er »geliefert«?

Trump hat diesen Evangelikalen einen mehr als 50 Jahre alten Traum erfüllt: Er hat die links-liberale Mehrheit im Supreme Court in eine satte konservative Mehrheit verwandelt. Warum war das dieser Gruppe weißer Evangelikaler solch ein Herzensanliegen? Mit dem Verbot des Schulgebets an öffentlichen Schulen in den 60er Jahren, endgültig aber mit der Aufhebung des Verbots der Abtreibung erschien vielen Evangelikalen der Supreme Court als eine dem Christentum feindliche Institution, die dazu beitrug, dass sich fromme Menschen wie Fremdlinge im eigenen Land fühlen mussten. Der kulturelle, soziale und ökonomische Wandel der letzten Jahrzehnte fegte über die konservativen Milieus im Mittleren Westen mit solch einer Wucht hinweg, dass sich die vormals »Stillen im Lande« politisch organisierten und radikalisierten. Es war zunächst die Moral Majority, die in den frühen 80er Jahren für die Wiederherstellung traditioneller Familienwerte kämpfte: gegen Abtreibung, gegen gleichgeschlechtliche Ehen, gegen Sex vor der Ehe, gegen Lockerung der Sitten überhaupt.

Trump persönlich bedeuten family values vermutlich nichts. Aber er verstand, wie viel sie diesen Evangelikalen bedeuten, die immerhin 25 % der gesamten Wählerschaft ausmachen. Das Bekenntnis zu Familienwerten war für sie das entscheidende single issue-Kriterium für Wahlfähigkeit. Trump hat volle Unterstützung versprochen und dieses Versprechen auch gehalten. Die Chancen, dass der neu zusammengesetzte Supreme Court den Wünschen der rechten Evangelikalen entgegenkommt, sind hoch. Sie waren also mit ihm sehr zufrieden – ein 50 Jahre altes Trauma war geheilt.

Dafür haben sie im Gegenzug höchst elastische theologische Formeln erfunden, die Trumps Lebenswandel entschuldigten: schließlich seien alle Menschen Sünder; auch König David sei ein Ehebrecher gewesen, aber dennoch habe Gott ihn zum messianischen König gemacht. Die Kritischeren verglichen Trump mit Kyros, dem persischen Herrscher, der das Volk Israel von babylonischer Herrschaft befreite. Der war kein Christ, aber dennoch ein von Gott Gesandter. Wie Trump als Gesandter Gottes gesehen wurde, so der Katholik Joe Biden als der Antichrist.

Wer das Weltbild der Evangelikalen verstehen will, der muss die Bibel zur Hand nehmen und die Apokalypse des Johannes studieren. Dort findet man den apokalyptischen Fahrplan, mit dessen Hilfe die Evangelikalen die Zeichen der Zeit lesen. Fragte man in Deutschland die Bevölkerung nach der Bedeutung vom »Tier aus der Tiefe«, »endzeitlicher Drangsal« und »Entrückung«, so erntete man verständnislose Blicke. In den USA aber sind Begriffe wie deep state, tribulation und rapture selbstverständlicher Bestandteil des kollektiven Bewusstseins. Die USA leben in einer ganz selbstverständlichen Endzeitstimmung, die in Verbindung mit dem Gefühl, Opfer finsterer Mächte zu sein, ein gefährliches Gemisch aus Unterlegenheit, Wut und Rachegelüsten erzeugt hat. Die Verschwörungstheorien haben eine religiöse Dimension.

Sind alle Evangelikale in den USA Trump-Wähler? Keineswegs. Die große Mehrheit der schwarzen evangelikalen Gemeinden will mit dem Rassisten Trump nichts zu tun haben. Es gibt auch eine kleine Gruppe von weißen Evangelikalen, die immer schon eine linke Agenda hatten. Für sie steht nicht die Sexualmoral im Mittelpunkt ihres politischen Interesses, sondern die soziale Gerechtigkeit. Diese Evangelikalen, die sich um die Zeitschrift Sojourners versammeln, und deren herausragender Vertreter Jim Wallis ist, unterstützten Barack Obama nach Kräften. Auch gemäßigte weiße Evangelikale wie Rick Warren befanden sich in einem konstruktiven Dialog mit der Obama-Administration. Es ist deshalb sinnvoll, Trump-Wähler unter den Evangelikalen als Teil einer »religiösen Rechten« zu bezeichnen, zu der ja auch der Katholik Steve Bannon gehört. Ferner ist zu bedenken, dass es einzelne Gemeinden übergreifende Strukturen – anders als in Deutschland – so gut wie nicht gibt. Jede Gemeinde ist ein Unikat und man muss sehr genau hinsehen, was die jeweilige Gemeinde unter dem Begriff »evangelikal« oder »christlich« versteht. Da es auch für den Beruf des »Pastors« keine allgemein anerkannten Ausbildungsstandards gibt, kann jeder Begeisterte eine Gemeinde gründen. Was solche Gemeinden dann für »christlich« halten, ist höchst beliebig und hat oft mit deutschen theologischen Standards nichts mehr zu tun.

Religionsgeschichtlich entstanden die US-amerikanischen Evangelikalen aus jenen europäischen Migranten, die man den »linken Flügel der Reformation« nannte. Individuelle Religionsfreiheit und eine kritische Distanz zum Staat waren für diese Gruppen charakteristisch. Die konfessionell homogenen Staaten in Europa zwangen sie zur Emigration. In den USA konnten sie ihren Glauben frei entwickeln. Grundpfeiler dieses Glaubens war der Glaube an die Wirkungen des Heiligen Geistes in jedem Individuum – mithin bedurfte es keiner Priester und sonstiger Eliten als Mittler. Der Staat wurde stets als feindliche Macht empfunden, als eine Bedrohung der Religions- und der allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Volk, nicht der Staat sollte in einem Gemeinwesen das Sagen haben. Während in Europa die Kirchen den Gläubigen ihr Sündersein vor Augen führten, predigten die Evangelikalen, dass in dem Moment, in dem man Jesus fest in sein Herz geschlossen habe, alles möglich sei. Er biete Schutz vor allen feindlichen Mächten. Die Heilige Schrift erschließe sich jedem, der sie zur Hand nehme. Wissenschaftliches Studium sei dafür nicht nötig. Die Evangelikalen waren im besten Sinne populistisch. Sie misstrauten den Eliten. Sie regelten ihre Angelegenheiten lieber selbst. Sie glaubten an das Kommen des Reiches Gottes, und dass sie selbst einen Beitrag zu dessen Kommen leisten konnten. Die Evangelikalen im 19. Jahrhundert waren Vorkämpfer der Sklavenbefreiung ebenso wie der Frauenbewegung. Die ersten weiblichen Prediger gab es bei den Evangelikalen. Das social gospel und das civil rights movement sind ohne das Engagement der Evangelikalen in den USA schwer vorstellbar. Man würde der Geschichte der amerikanischen Evangelikalen also nicht gerecht, wenn man sie auf die gegenwärtig so laute faschistoide religiöse Rechte reduzierte.

Gleichwohl lassen sich traditionelle Grundüberzeugungen und Mentalitäten der Evangelikalen – wenn auch in pervertierter Form – bei den religiösen Trump-Befürwortern wiederfinden. Trumps Wissenschaftsskepsis korrelierte bestens mit jener der Evangelikalen. Wie sagte doch eine Gläubige im Interview: »Ich habe keine Angst vor dem Corona-Virus, denn ich habe im Blut Jesu gebadet.« Trumps angeblicher Kampf gegen den deep state korrelierte bestens mit der tiefen Skepsis der Evangelikalen gegen jede staatliche Einmischung in persönliche oder lokale Angelegenheiten. Evangelikale Gemeinden versorgen aufopferungsvoll Illegale ohne Krankenversicherung, aber sie sind strikt gegen eine gesetzliche Krankenversicherung für alle. Und schließlich war Trumps symbolischer Akt, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, für die Evangelikalen ein Beweis dafür, dass Trump die Apokalypse des Johannes intensiv studiert haben musste: Denn erst dann, wenn das zerstreute Volk Israel wieder zu einem geeinten Staat geworden ist, kann das erhoffte Reich Gottes erscheinen. Die Liebe der Evangelikalen zum Staat Israel ist freilich mit dem grausamen Makel behaftet, dass bei der Wiederkunft Jesu Christi dieses bei anhaltender Weigerung, ihn als Messias anzuerkennen, in der Hölle schmoren muss. Die Zuneigung zu Donald Trump hat seine tiefe Wurzel im Gefühl, dass er »einer von uns« ist. Seine Weigerung, eine präsidiale Rolle einzunehmen, wurde als Mut und Rebellion gegen die Eliten ausgelegt. Seine Rüpelhaftigkeit als berechtigtes Aufbegehren gegen die Arroganz der ökonomisch, wissenschaftlich und kulturell Mächtigen. Trump war ein willkommenes Mittel für die vom Abstieg bedrohten Mittelschichten, den imaginierten Eliten den Mittelfinger zu zeigen.

Nach der verlorenen Wahl spielen Trump-Anhänger mit dem Gedanken, aus dem culture war einen civil war zu machen. Evangelikale rufen zur Mäßigung auf. Robert Jeffress, Pastor einer Megachurch in Dallas und Fox-News-Kommentator, stellte am Tag nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses auf Fox News die Frage, wie sich Christen denn jetzt zu verhalten hätten. Seine Antwort: Auch wenn es eine bittere Pille sei, dass Trump verloren habe, so gelte doch das Bibelwort aus Daniel 2,21: Gott setze Könige ab und Gott setze Könige ein. Das Heil der Christen hänge nicht daran, welcher weltliche Herrscher regiere. Wenn Joe Biden Präsident der USA würde, dann müssten Christen für ihn beten, so wie sie auch für Trump gebetet hätten: »If President Biden succeeds, we all succeed. May God bless Joe Biden, and may God bless the United States of America.«

Wie soll Joe Biden, nach Kennedy der zweite katholische Präsident, mit der religiösen Rechten umgehen? Er verspricht, die Seele der Nation heilen zu wollen. Ohne die Inklusion der 20 Millionen Anhänger der religiösen Rechten kann das nicht gelingen. Die Diversity-Experten bei den Demokraten werden sich darüber Gedanken machen müssen, wie auch religiöse Lebensstile und der basisdemokratische Impetus dieser Bevölkerungsgruppe für Ziele der demokratischen Partei genutzt werden können. Obwohl Joe Biden gewonnen hat, erinnert das Wahlergebnis der Demokraten insgesamt doch in bedenklicher Weise an das Schicksal der SPD, die die Zustimmung bei den kulturellen und ökonomischen Eliten mit dem Verlust der Unterstützung der Arbeiterschaft bezahlte. Die große Preisfrage in den USA wie in Europa lautet also: Wie können wir Populisten dabei helfen, nicht in die faschistische Falle zu tappen?

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