Menü

Der Erste Weltkrieg und die Spaltung der Sozialdemokratie

Was ist eigentlich los in der Führung meiner Partei, hätten sich vor gut 100 Jahren SPD-Genossen an den Fronten des Ersten Weltkriegs fragen können, die immer wieder von der Zustimmung »ihrer« Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten erfuhren. Tatsächlich verzweifelten sie an dieser Politik, die spätestens 1916, nach dem Ende des Kampfes um Verdun, von der SPD-Reichstagsfraktion hätte abgelehnt werden müssen. Auch an der »Heimatfront« wuchs in diesem Zeitraum die Verweigerung gegenüber der offiziellen Reichspolitik, die im Januar 1918 eine reichsweite Streikwelle auslöste. Trotzdem ging der Krieg weiter. Selbst der neuen Offensive an der Westfront im April 1918, die durch den Frieden von Brest-Litowsk mit der Sowjetunion möglich wurde, widersprach die SPD-Führung nicht. Hunderttausende ließen dabei Leben oder Gesundheit.

Wer wissen will, was zu diesen Fehlentscheidungen der SPD-Führung geführt hat, der findet in dem von Uli Schöler und Thilo Scholle herausgegebenen Sammelband Weltkrieg – Spaltung – Revolution Erklärungen und weiterführende Hinweise. Die Geschichte der SPD-Fehlentscheidungen von 1914 und der darauffolgenden Jahre ist immer noch nicht geschrieben.

Eine Erinnerung aber an nicht im Zentrum der Geschichtsschreibung stehende, zum Teil sogar vergessene SPD-Politiker/innen haben Uli Schöler und Thilo Scholle mit 31 Mitarbeiter/innen vorgelegt. Im Fokus steht dabei die Spaltung der Sozialdemokratie während des Ersten Weltkriegs, die in ihren Folgen die Politik der Linken in der Bundesrepublik bestimmte. Die Lektüre der Gründe für dieses Auseinanderbrechen klärt über die Strategie der SPD-Führung auf: ihre taktischen Winkelzüge und Provokationen gegenüber den Gegnern der Burgfriedenspolitik, die sie bewusst in den Bruch trieben – am Ende beherbergte die sich gründende USPD mit dem Revisionisten Eduard Bernstein, dem marxistischen Zentristen Karl Kautsky und der linksaktivistischen Rosa Luxemburg die Führungsfiguren aller vorherigen Hauptströmungen.

Am erhellendsten beleuchtet dies der Beitrag von Bernward Anton, in dessen Mittelpunkt der SPD-Politiker Wolfgang Heine steht. 100 Jahre später sind Heine und seine Mitstreiter nur noch wenigen Expert/innen der SPD-Geschichte bekannt, in der Vorkriegs-SPD und in der Kriegszeit gehörten sie zum Zentrum, das – mit einer akademischen Ausbildung ausgestattet – zur intellektuellen Stütze der Ebert-Scheidemann-Führung wurde, als es darum ging, die Skeptiker gegen die Burgfriedenspolitik – Hugo Haase, Karl Kautsky, Eduard Bernstein – zurückzudrängen. Ihr Kampf gegen den radikalen Kritiker Karl Liebknecht war dagegen vergleichsweise einfach, weil Liebknecht früh gegen die Parteidisziplin verstieß, was ihn außerhalb der auf Einheit verpflichteten Reichstagsfraktion stellte. Seine politischen Gegner nutzten diesen Disziplinbruch geschickt. Seine Mitstreiterin Rosa Luxemburg war als Nichtabgeordnete von den Debatten der Reichstagsfraktion ausgeschlossen, über lange Zeit nahm ihr eine Haftstrafe jeden Einfluss und die Chance zu öffentlichen Auftritten. Clara Zetkin hatte schon vorher an Einfluss verloren.

Anton erklärt plausibel das politische Ziel der Gruppe um Wolfgang Heine, die mit ihrer Zustimmung zur kaiserlichen Politik politische Kompensationen erreichen wollte. Tatsächlich gab es Zugeständnisse: der Verfolgungsdruck auf die SPD und die sozialdemokratischen Gewerkschaften nahm ab, arbeitsrechtliche und sozialpolitische Forderungen wurden erfüllt, was die gewerkschaftsgebundenen Reichstagsabgeordneten zur Unterstützung der Burgfriedenspolitik bewog. Sie forderten stets besondere Härte gegen die Abweichenden bei den Abstimmungen über die Kriegskredite.

Die Haltung der Gewerkschaftsabgeordneten war durchdacht, doch fehlte es ihnen an Durchsetzungsstärke gegenüber der kaiserlichen Regierung. Zwar wuchsen mit der Dauer des Krieges die Zugeständnisse gegenüber den Gewerkschaften sowie im Arbeits- und Sozialrecht, doch es gelang nicht, von der auf Erhaltung der Massenloyalität angewiesenen Regierung umfassende Reformen zu erzwingen. Davon unterschied sich die Situation in Frankreich, wo die Sozialisten in der Union sacrée, dem Bündnis zur Verteidigung der französischen Nation weitreichende soziale Reformen erreichten.

Ernst-Albert Seils würdigt die Politik Hugo Haases, der als Mitvorsitzender der SPD versuchte, die Parteieinheit zu retten, schließlich aber die Gegner der Kriegskredite anführte. Gegen die Fraktionsmehrheit um Ebert und Scheidemann besaß er jedoch keine Chance. Sein früher Tod am 7. November 1919 als Folge eines Attentats hatte für die Sozialdemokratie der Weimarer Republik fatale Wirkungen. Ein Politiker seines Formats fehlte ihr in jenen schwierigen Jahren. Hugo Haase konnte man zutrauen, dass er nach dem Zusammenschluss von MSPD und USPD 1922 als Ko-Vorsitzender zu Otto Wels einen deutlichen Akzent gesetzt hätte, zumal seine innerparteilichen Gegner nicht mehr lebten (Carl Legien) oder aus der Reichspolitik verschwunden waren (Philipp Scheidemann, Gustav Bauer, Wolfgang Heine, Heinrich Peus).

Der Sammelband von Schöler/Scholle setzt neue Akzente in der immer wieder auflebenden Debatte über die Gründe für das Schisma der Sozialdemokratie und die bis heute reichenden Folgen. Eine vertiefende Monografie sollte es nicht erst zu weiteren Jahresfeiern geben. Weitere Forschung und Zusammenfassung vorliegender Ergebnisse dürfte auch mit den Rechtfertigungen der Burgfriedenspolitik in der konservativen und sozialdemokratisch orientierten Geschichtsschreibung aufräumen.

Neben diesen zentralen Beiträgen sind die zahlreichen Einzelstücke hervorzuheben, die unsere Kenntnisse über zeitgenössische Sozialisten erweitern und sie vor dem Vergessen bewahren, darunter bekanntere wie Otto Braun, Rudolf Hilferding und Paul Levi, aber auch weniger bekannte wie Ernst Däumig, Mathilde Jakob und Antonia Pfülf.

Uli Schöler/Thilo Scholle (Hg.): Weltkrieg. Spaltung. Revolution: Sozialdemokratie 1916–1922. Dietz, Bonn 2018, 472 S., 30 €.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben