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© picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Peter Handke zum 80. Geburtstag Der letzte Mensch

»Ich blickte über die Schulter in eine Schwärze der Schwärzen, Schwärze wie nur im Traum, und stieß einen – nicht so gemeinten – oder vielleicht doch so gemeinten? – Kriegsschrei aus, den ich, schlafend, hörte als unartikuliertes Gekrächz, und rief dann, jetzt ein klares Rufen, hinein in die Leere: ›Seid ihr alle da?‹«

Mit diesem kleinen Exkurs in die sprachliche Phantasmagorie verabschiedete sich Peter Handke nur vorübergehend von seinen Lesern: ein Autor, der sich selbst als »Schwellenhocker« porträtiert, »besessen nicht allein von einem, sondern von mehreren, vielen, gar unzähligen Dämonen«. Das wesentliche Gefilde, sein Lebens- und Erfahrungsraum, ist nichts Geringeres als das Erzählen. Es ist das eigentliche Abenteuer der Worte, dem er sich hingibt, dabei außer sich geratend, streitend mit seinen Dämonen, die »durch ein Wunder von mir ließen«, wie es in Mein Tag im anderen Land heißt.

Seit seinem politischen Parforceritt für die serbische Seite im Jugoslawienkrieg hat sich Handke wiederholt einer selbstironischen Überprüfung seines Schriftstellerlebens unterzogen. Sein Ton entspannte sich mehr und mehr und führte den einst so kampflustigen Autor in Richtung Revision und Versöhnung.

Es gibt da aber eine »Grundspannung« im Dasein des Schriftstellers, die sein ganzes Leben beherrscht und auch in seinem Familiendrama Immer noch Sturm von zentraler Bedeutung ist. Handke unternahm darin eine Reise in die eigene Familiengeschichte, die mehr darstellt als eine balkanische Utopie des behausten Unbehaustseins. Er orientiert sich dabei an Shakespeares Bühnenanweisung in King Lear, die den greisen König dazu auffordert, der Vernichtung durch seine Kinder zu entfliehen. Bei Handke ist es die Schuld der Vaterlosigkeit, die es abzutragen gilt. In ihr wurzelt seine Ortlosigkeit, die sich gegen die Mutter richtet, als er sie einsam am Krebs sterben und Hand an sich legen lässt. Auch hier treibt er das Spiel vom Fragen weiter, zu einem Traumspiel, das sich nie ereignet hat.

»Ich hasse den Journalismus«

Lange stand Handkes Kult des Schreibens der Kitschverdacht gegenüber, was sich nicht zuletzt an der geradezu notorischen Polarisierung der Kritik gegenüber seinem Werk zeigte. Dass Handke von seinen Kritikern nicht viel hält, ist keine Neuigkeit. Seine Antipathie gegen diesen lästigen Berufsstand nahm auch nach der Verleihung des Nobelpreises 2019 nicht ab. Im Gegenteil: »Ich hasse den Journalismus«, sagte er damals. Ein paar Monate zuvor hatte er einen neuen Roman geschrieben, dessen martialischer Titel Das zweite Schwert einen Ausbruch zumindest verbaler Gewalt befürchten ließ. Hinter der vermeintlichen Rachegeschichte verbarg sich aber eine nahezu christologisch affine Offenbarung einer geläuterten Einsicht zur Friedsamkeit.

Den Erzähler graust es vor einem harmonischen Heimkommen, was seine gesamte Empfindsamkeit berührt bis zum »Darmausläufer«. Am Fenster seines Häuschens mit Garten in Chaville bei Paris gerät er ins Grübeln – und sinniert: »Ich sei, im Visier des Riesenadlers, im letzten noch übrigen Himmelsloch hier auf Erde der letzte Mensch.«

Fast gerät ihm der Blick auf die ihn umgebende Natur zu einer Epiphanie, zu einer Wirklichkeit, die das Sehende als Erlebtes transzendiert. Bei Handke heißt das »Herzensstoff«. Jene, die ihn hassen und ihm übelwollen, gehören einfach nicht in die Geschichte, »weder in diese noch in sonst eine, das war meine Rache«. Homer und Cervantes, Blaise Pascal und Jean Racine sind Handkes Götter. Das größte Übel auf dem Erdreich ist für ihn »die Gewalt der Zeitungen«. Für sie hält er nicht das »Schwert aus Stahl« bereit, sondern das Schwert der Verachtung.

Ob Peter Handke tatsächlich zu den wenigen Schriftstellern gehört, die auf die kommenden Generationen größeren Einfluss haben, lässt sich schwer beurteilen. Er selbst sagt: »Ich bin kein Dichter, ich bin Schriftsteller.« Das höchste Ziel eines Schriftstellers habe es zu sein, die Welt in Sprache zu verwandeln, ihren krummen Pfaden zu folgen und zu bedenken, was Sprache mit Erfahrung macht.

Die Wirksamkeit seiner Sprache hat der nunmehr 80-Jährige mit seiner Publikumsbeschimpfung schon ziemlich früh im Jahr 1966 unter Beweis gestellt. »Das war der Aufschrei für ein neues Theater, der Beginn der neuen Theaterliteratur«, sagt Regisseur Claus Peymann: »Das ging über Brecht hinaus. Ein Stück, das auf dem Theater das artikulierte, was die Zeit ausmachte, nämlich die Beschimpfung. Die Beschimpfung der Bourgeoisie. Die Beschimpfung des bürgerlichen Theaters. Das war der bessere Studentenaufstand, die eigentliche Revolution.«

Heute hat Handke, der Epiker und Dramatiker, Lyriker und Essayist, dieses stürmische Terrain längst verlassen und scheint bei sich selbst angekommen. Dazu mag der Nobelpreis beigetragen haben, auf den er so lange hatte warten müssen und den er dann »sehr, sehr gerührt« entgegennahm. Dass sich an ihm die Geister immer noch scheiden, hat seine Verweigerungshaltung kaum beeinflusst. Er lässt sich von niemandem vereinnahmen. Auch darin ist er sich treu geblieben.

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