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Sebastian Kurz hat Österreich und die ÖVP in eine tiefe Krise gestürzt Der Rauch verzieht sich erst langsam

Vor ein paar Wochen galt Sebastian Kurz für manche Christdemokraten noch als role model eines markanten Konservativismus, der, statt in die Mitte zu ziehen, weit nach rechts abbiegt. Zumindest der Erfolg schien ihm recht zu geben. Er bediente mit ostentativer Hartherzigkeit xenophobe Stimmungen, mit der Politrhetorik der »rohen Bürgerlichkeit« die Ressentiments gegen faule Arbeitslose und er segelte in Umfragen in lichten Höhen von zuletzt rund 36 %. Dabei wurde auch noch das Klientel der Superreichen und Konzerne mit einer Senkung der Körperschaftssteuer bedacht und die Freundeskreise der Konservativen mit Geld überschüttet. In seiner Partei war der strahlende Jüngling entsprechend unumstritten.

Doch dann war er innerhalb von gerade einmal 80 Stunden weg. Korruptionsermittlungen gab es schon seit dem Ibiza-Skandal von 2019, dem legendär-berüchtigten Video, in dem die damaligen Koalitionspartner von den Freiheitlichen feuchtfröhlich aus der Schule plauderten. Die Ermittlungen griffen schnell auf die ÖVP über, jeder einzelne Ermittlungsschritt förderte neue Verdachtsmomente zutage und führte zu weiteren Ermittlungen und zusätzlichen Beschuldigten.

Die Fahnder kassierten Handys und sonstige Datenträger der Beschuldigten ein und stießen auf immer neue sinistre Kommunikationen. Vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zeigte sich Sebastian Kurz noch weitgehend uninformiert über die Machenschaften, was ihm den Status des Beschuldigten in einem Verfahren wegen mutmaßlicher falscher Zeugenaussage einbrachte. Das hoffte der Kanzler – der indes mit den Grünen regierte – noch aussitzen zu können.

Anfang Oktober explodierte dann die Bombe: Hausdurchsuchungen im Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale und dem Finanzministerium. Mittlerweile geht es um Vorwürfe der Untreue und Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit – bei denen neben anderen auch der Kanzler selbst als Beschuldigter geführt wird. Zudem firmiert Sebastian Kurz als mutmaßlicher »Bestimmungstäter«, also als Anstifter, als Pate einer quasi-mafiösen Struktur, ohne den die illegalen Aktivitäten seiner Statthalter nicht möglich gewesen wären, auch wenn er sie nicht unbedingt direkt befohlen haben muss.

Die staatsanwaltlichen Recherchen zeichnen ein buntes Großpanorama bandenmäßigen Politikmachens. Es geht um Freunderlwirtschaft, Posten gegen Spenden, geschobene Bestellungen für staatsnahe Spitzenämter, illegale Parteienfinanzierung, die Veruntreuung öffentlicher Gelder für parteiliche Zwecke bis hin zum Kauf gewogener Berichterstattung durch die in Österreich verbreitete »Inseratenkorruption« (»für Inseratengeld gibt’s mediale Lobhudelei«) und neuerdings sogar um frisierte Umfragen, die mit Ministeriumsgeld bezahlt worden sein sollen.

All dies ist auf dem 104-seitigen, von einem Richter bewilligten Hausdurchsuchungsbeschluss dicht dokumentiert und wird auf vielen hundert Seiten Auswertung der bisher gesichteten Dokumente bleischwer untermauert.

Zu den sachlichen Verdachtslagen kam dann noch die Tonalität hinzu, in dem die »Prätorianer« (Eigendefinition) untereinander und mit Kurz, der Zentralfigur des Machtnetzwerkes, kommunizierten. Parteifreunde, gegen die man vorging, wurden als »alte Trottel« oder »Arsch« bezeichnet, die Arbeit des Amtsvorgängers als ÖVP-Chef torpediert, um die Partei sturmreif zu schießen, Kirchenvertreter wurden eingeschüchtert und von der Finanzbehörde bedroht, wenn sie den Kurz-Kurs kritisierten, und der Ex-Kanzler selbst bedachte das dann und wann mit einem aufmunternden »Vollgas!« oder der Frage: »Kann ich ein Bundesland aufhetzen?« Helfershelfer jubilierten nach einer vollbrachten Operation: »Sebastian kann jetzt Geld scheißen.« Wer zum Kreis dazu gehörte, firmierte als »Familie«.

Als all das herauskam, wurde die Luft für Sebastian Kurz sehr dünn. Der grüne Koalitionspartner stellte klar, nur mit einem neuen – »untadeligen« – Kanzler in der Koalition verbleiben zu wollen. Grüne und die drei Oppositionsparteien – Sozialdemokraten, Freiheitliche und liberale Neos – begannen sich zugleich darauf zu verständigen, eine Art Not-Allianz von Links bis ganz Rechts zu schmieden, sollte Kurz am Sessel kleben wollen. Die ÖVP-Landeshauptleute rückten von ihrem Regierungschef, den sie gerade noch mit peinlichen Treueschwüren gehuldigt hatten, innerhalb von knapp 24 Stunden ab. Als Sebastian Kurz das offenbar mitbekam, ergriff er die Flucht nach vorne. Er trat zurück, rettete sich auf den Posten des Fraktionschefs im Parlament (zusätzlich zum Amt des Parteiobmannes, das er weiter ausübt), und hievte seinen Vertrauten Alexander Schallenberg, der bisher als Außenminister amtierte, ins Kanzleramt.

Jetzt liegen die Trümmer herum, überall ist Rauch, der sich erst langsam verzieht. Sebastian Kurz mag darauf gehofft haben, sich als Fraktionschef halten, sich als Opfer einer bösen Opposition und einer noch böseren Justiz inszenieren zu können und dann bei Neuwahlen wieder zu kommen. Doch die Aussichten darauf sehen beim jetzigen Stand eher düster aus. Die ÖVP fiel in Umfragen innerhalb weniger Tage auf 24 % zurück und liegt jetzt mit den Sozialdemokraten gleichauf. SPÖ, Grüne und Neos hätten erstmals eine rechnerische Mehrheit von 51 % für eine Ampelkoalition.

Schlimmer für Kurz sind aber folgende Daten: 66 % der Österreicher*innen wünschen, dass er sich völlig aus der Politik zurückzieht, also auch als Parteiobmann geht. 73 % lehnen eine Rückkehr an die Regierungsspitze strikt ab. Bei den gängigen Vertrauensindizes ist Kurz der am stärksten abgelehnte Politiker, seitdem diese Werte ermittelt werden.

Dabei profitieren Sebastian Kurz beziehungsweise die ÖVP noch von der Schwäche der Opposition. Die SPÖ-Chefin und Kanzlerinnenanwärterin Pamela Rendi-Wagner ist in ihrer Partei umstritten, wird von innerparteilichen Gegnern permanent gemobbt und kam bei der Neuwahl zur Parteivorsitzenden auf gerade einmal 75 %. In den Augen weiter Teile der Wählerschaft ist sie nicht sonderlich kanzlerinnentauglich. Zweifelsohne ist sie durch die ständigen Querschüsse aus den eigenen Reihen und mediales Niederschreiben gehörig ramponiert. Mit einer zugkräftigeren Spitzenperson läge die SPÖ wohl längst bei 30 % oder mehr. Auch die Grünen sind insofern in keiner komfortablen Situation, als sie als Koalitionspartner der ÖVP sehr viel mittragen müssen, was in ihrem Wählerreservoir nicht gerade für Begeisterungsstürme sorgt. Insofern sind die 51 % für die Ampelparteien noch bemerkenswerter, als das auf den ersten Blick erscheint.

Besonders unkomfortabel ist die Situation jetzt für die ÖVP – und nicht nur wegen des jähen Absturzes in der potenziellen Wählergunst. Ihr neuer Kanzler Alexander Schallenberg wird versuchen, die Koalition mit den Grünen am Laufen zu halten. Zugleich muss er seine Partei als sauber darstellen – während der gefallene Engel Kurz als Fraktionschef im Parlament sitzt, weiter Parteiobmann und wohl vor allem von Revanchegelüsten getrieben ist. Die vieldutzendköpfige Armee der Günstlinge, Helfer und Verschworenen von Sebastian Kurz ist weiter eine Partei in der Partei – letztendlich ein Staat im Staat. Schallenberg kann sich nicht emanzipieren, solange die Volkspartei keinen klaren Schnitt mit der Sebastian-Kurz-Truppe und deren Methoden macht. »Wie kommt ein ganzes Land dazu, als Kulisse für einen grandiosen Narzissten missbraucht zu werden«, kommentiert die Schriftstellerin Julya Rabinowich.

Zugleich werden die Skandalenthüllungen weitergehen – die Korruptionsermittler werden stets neues Material herbeischaffen. Bleibt Sebastian Kurz in hervorgehobener Position, wird die Volkspartei aus dem Skandalsumpf nicht herauskommen.

Neben diesen polittaktischen Überlegungen muss die ÖVP aber auch eine schmerzhafte grundsätzliche Entscheidung treffen: Will sie als die radikal-konservative Rechtspartei weitermachen, in die sie Sebastian Kurz verwandelt hatte? Will sie eine populistische Partei sein mit den Methoden der Manipulation, mit dieser »Der-Zweck-heiligt-jedes-Mittel«-Mentalität, eine autoritäre Führerpartei, in der Prätorianer alles – auch illegales – für den Anführer tun? Oder will sie wieder eine – zugegeben langweiligere – Partei der christdemokratischen Mitte sein, mit komplizierter Balance zwischen föderalen Landesparteien und Interessensgruppen, mit der üblichen Machtpolitik im Rahmen des Erlaubten und sittlich Akzeptierten?

Sebastian Kurz, das wurde jetzt auch dem Letzten klar, hat eine Partei in Geiselhaft genommen, sie mit einem Kommando verschworener junger Männer gekapert. Gigantomanisches Selbstbild, Selbstverliebtheit des Anführers, Führerkult der Günstlinge und die kriminelle Energie der gesamten Bande haben über jedes Maß hinaus die Macht in der Partei übernommen.

Die Sebastian-Kurz-Methoden verkörpern die Kapitulation der Bürgerlichkeit und ihrer Werte – Anstand, Höflichkeit, Moral, Tugend, Liberalität, Verantwortungsgefühl, zumindest minimale Wahrhaftigkeit und christliche Barmherzigkeit – vor einer autoritären Hartleibigkeit. Kurz kopierte die Anti-Establishment-Diskurse, um die Herrschaft des Establishments, das ihn hochtrug, abzusichern. Als eine Art Donald Trump für Gutfrisierte war er gefeiert von der Kamarilla der Situierten, Gutvernetzten, der Gewitzten und Champagnerisierern, den Kammer- und Hofräten, den Oligarchen und Kartellbrüdern. Indem er den Rechtsradikalen ihr Programm stahl, verschaffte er auch deren Politik eine Hegemonie.

Der Geist, mit dem er das Land und seine Partei vergiftete, ist jetzt nicht einfach weg. Seine Partei ist wie ein Junkie, der jetzt erstmals vom Gift loskommen muss. Und es ist nicht gesagt, dass ihr das so leicht gelingen wird.

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