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Der »rechte« Glauben

Wer die politischen Debatten in jüngster Zeit verfolgt hat, dürfte festgestellt haben, dass neuerdings viel darüber gestritten wird, wie konservativ die Unionsparteien und dabei vor allem die CDU (noch) sind und was es heutzutage überhaupt heißt, konservativ zu sein. Dabei fällt auf, dass auch Rechtspopulisten und Neurechte die Zuschreibung »konservativ« für sich reklamieren, ebenso wie jene Christen, die mit ihnen sympathisieren. All das ist kein Zufall, sondern hat eine lange Vorgeschichte. Praktisch seit Gründung der Bundesrepublik wird darum gerungen, wie »konservativ« zu definieren sei.

Bereits in den 50er Jahren versuchte der gebürtige Schweizer Armin Mohler – dessen Grabrede Jahrzehnte später der radikal-neurechte Verleger Götz Kubitschek halten sollte – das rechtsintellektuelle Denken der Weimarer Republik, das mit Namen wie Arthur Moeller van den Bruck oder Carl Schmitt verbunden war, von jedweder Verstrickung mit dem Nationalsozialismus zu lösen und als »konservative Revolution« zu beschönigen. Wissenschaftlich ist das so nicht haltbar, was gerade das Beispiel von Carl Schmitt zeigt, der bis 1936 gewissermaßen der »Kronjurist des Dritten Reiches« (Waldemar Gurian) war. In der Sache entwarf Mohler, wie die Historikerin Martina Steber in ihrem 2017 erschienenen Buch Die Hüter der Begriffe erläutert, so »aus der deutschen antidemokratischen Tradition des Denkens schöpfend, ein radikales antiliberales Gegenprogramm« zum bundesrepublikanischen Konservatismus, »in Nachfolge der Weimarer Rechten«. Dem bundesrepublikanischen Konservatismus dienen hingegen die liberalen westlichen Demokratien in den USA und im Vereinigten Königreich als Ideal. Wie Steber weiter zutreffend ausführt, sollten beide Denkrichtungen, also »beide Varianten des Konservativen«, »die politische Kultur der Bundesrepublik fortan prägen – bis in unsere Gegenwart hinein«. Mohler selbst sagte Anfang der 70er Jahre: »Die Definition, was ›konservativ‹ sei, ist bereits ein politischer Akt«.

Ausgerechnet ein Teil des sich selbst als besonders fromm und strenggläubig verstehenden christlichen Milieus in Deutschland hat sich als besonders anfällig für die rechte Variante des Konservatismus erwiesen und früh Sympathien für die AfD und die Pegida-Bewegung gezeigt. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Ursachen: zum einen die Enttäuschung über den als zu liberal empfundenen und sich angeblich dem »Zeitgeist anbiedernden« Kurs der CDU, zum anderen eine jahrzehntelange Affinität zu Medien der Neuen Rechten wie vor allem der Wochenzeitung Junge Freiheit.

Die CDU war, abgesehen von ein paar letztlich unbedeutenden christlichen Kleinstparteien wie der »Christlichen Mitte« sowie dem »Bündnis C«, in dem sich 2015 die evangelikal geprägte »Partei Bibeltreuer Christen« (PBC) und die aus dem katholischen Umfeld stammende »Partei für Arbeit, Umwelt und Familie« (AUF) zusammengeschlossen haben, lange die Partei der Wahl für konservative Christen. Der Unmut über die CDU setzte kurz nach dem Mauerfall mit dem unter Bundeskanzler Helmut Kohl vereinbarten Abtreibungskompromiss ein und wuchs vor allem seit 2007 weiter an. Damals entschloss sich die Partei, wenn auch denkbar knapp, in bestimmten Ausnahmefällen an der Forschung an embryonalen Stammzellen festzuhalten. Die in zweiter Ehe verheiratete kinderlose Bundeskanzlerin Angela Merkel passte ebenfalls nicht in das Bild vieler frommer Christen.

Ab 2011 wuchs der Ärger über Merkel und die von ihr geführte CDU zunehmend. Grund dafür waren einige politische Richtungsänderungen, die vielen Konservativen und damit auch zahlreichen konservativen Christen aufstießen. Dazu gehörten namentlich die Aussetzung der Wehrpflicht (2011), der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie (2011) und die Eurorettungspolitik (2013). Für die Schulden anderer Länder zu haften, widersprach vor allem dem Habitus asketisch-pietistischer Milieus. Zwei Jahre später setzte die Empörung über die Flüchtlingspolitik ein. Man sah in den offenen Grenzen einen Kontrollverlust des Staates. Zugleich spielte die unter Ultrakonservativen ohnehin schon länger stark ausgeprägte Angst vor einer angeblichen »Islamisierung« angesichts der mehrheitlich muslimischen Flüchtenden eine signifikante Rolle.

Auch waren und sind konservative Christen sehr auf »Recht und Ordnung« bedacht, was sie empfänglich für die von der AfD und anderen Rechten ständig vorgebrachte Behauptung macht, dass sowohl die Eurorettungs- als auch die Flüchtlingspolitik Rechtsbrüche darstellten. Diese jahrelange Entwicklung hat inzwischen dazu geführt, dass sich viele ehemals moderate konservative Christen der AfD zugewandt haben. Nicht wenige von ihnen haben sich seither mit der Partei mitradikalisiert. Aber auch am rechtskonservativen Rand der Anhängerschaft von CDU und CSU finden sich Christen, die jedenfalls gesellschaftspolitisch ähnliche Haltungen wie AfD-affine Gläubige vertreten. Bei den Katholiken waren und sind davon vor allem traditionalistische Milieus, also jene, die Riten aus der Zeit vor dem reformerischen Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 pflegen sowie klassisch-konservative Milieus betroffen. Im protestantischen Bereich ist das Ganze vor allem in evangelikalen Zirkeln in- und außerhalb der Landeskirchen zu beobachten.

Habituell haben sich viele der politisch nach rechts gedrifteten Christen mittlerweile in einer Haltung eingerichtet, die durch zwei zentrale Merkmale gekennzeichnet ist. Zum einen haben sie, statt im biblischen Sinne »Salz der Erde« zu sein und die »Frohe Botschaft« zu verkünden, aufgrund ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung Zorn und Wut entwickelt. Zum anderen neigen sie sehr stark dazu, den Absolut- bzw. Wahrheitsanspruch des Christentums, wie er etwa in den Worten Jesu Christ (»Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«) zum Ausdruck kommt, auf die politische Ebene zu übertragen, wodurch AfD-Parolen (z. B. »Mut zur Wahrheit«) für Viele attraktiv erscheinen. Über die Jahre haben diese Haltungen zu einer ausgeprägten Affinität zu rechtspopulistischen Mustern geführt. Konkret bedeutet dies, dass das Milieu zentrale biblische Inhalte wie Barmherzigkeit, Nächsten- und – so schlimm es ist, darauf hinzuweisen – Feindesliebe wenig bis gar nicht transportiert, sondern lieber rechte Feindbilder wie den »Genderwahn«, die »Islamisierung«, den »Staatsfunk« (gemeint sind die öffentlich-rechtlichen Medien) oder die »Asylindustrie« pflegt. Bei nicht Wenigen schlägt das Ganze in eine offene Verachtung von »Altparteien« und »Lügenpresse« um.

Den Begriff der »Lügenpresse« verwendet inzwischen auch der früher einmal renommierte, seinen Katholizismus vehement wie eine Monstranz vor sich hertragende Journalist Matthias Matussek. Der vormals renommierte Autor des SPIEGEL und der Welt, der heute für Medien wie die Junge Freiheit, Tichys Einblick und die Schweizer Weltwoche schreibt, ist das tragische Paradebeispiel eines Christen, der sich über das Denken in bestimmten Feindbildern radikalisiert hat. Bisheriger Tiefpunkt war ein Auftritt Mitte März bei einer der Pegida-ähnlichen »Merkel-muss-weg«-Demonstrationen in Hamburg, bei der Matussek – die Faust in den Himmel gereckt – zum »Widerstand« aufrief und davon sprach, dass die Dresdner Pegida-Protagonisten mit ihren Verbalattacken gegen die »Lügenpresse« »recht gehabt« hätten. Für ihn agiere Angela Merkel wie eine »Staatsratsvorsitzende«, womit er sie in eine Reihe mit Walter Ulbricht und Erich Honecker stellt. Die etablierten Parteien bezeichnet er mittlerweile als »Blockparteien« und Deutschland habe sich in den letzten drei Jahren »parlamentarisch um eine Neuauflage der DDR« bemüht.

Diese Gleichsetzung unserer liberalen parlamentarischen Demokratie mit der DDR-Diktatur ist ein typisches Kennzeichen vieler rechter Christen. Konservativ ist ein solcher Opfermodus nicht. Als Konservativer weiß man, dass man mit vielen Positionen gesellschaftlich keine Mehrheit vertritt, äußert diese aber dennoch selbstbewusst. Hingegen können sich nach rechts gewanderte frühere konservative Christen oftmals genau damit nicht abfinden, sondern fantasieren stattdessen eine »Meinungsdiktatur« herbei. Desgleichen stößt man in diesem Milieu auf eine große Wut auf den vermeintlichen »linksgrünen Mainstream« bzw. »Zeitgeist«. Dementsprechend hoch im Kurs steht dort auch Thilo Sarrazin, der die Selbstzuschreibung einer Opferrolle gleich zum Thema eines ganzen Buches (Der neue Tugendterror, 2014) gemacht hat. Gerne wird auch den etablierten Medien eine »Selbstgleichschaltung« unterstellt. Dazu steht in einem seltsamen Zusammenhang, dass ein signifikanter Teil des rechtschristlichen Milieus (Matussek gehört allerdings bisher nicht dazu) Sympathien für tatsächlich autoritäre Regierungen wie die unter Wladimir Putin, Viktor Orbán oder der polnischen PiS-Partei zeigt, weil diese angeblich christliche Werte durchsetzen. Hier zeigt sich unter anderem, wie sehr mit zweierlei Maß gemessen wird.

Wie angedeutet, nimmt vor allem seit der »Flüchtlingskrise« das Feindbild Islam bei vielen rechtskonservativen Christen eine zentrale Rolle ein und ist der Hauptgrund dafür, warum man dort so selten auf Empathie gegenüber Asylbewerbern stößt. Es überwiegt ein ausgeprägtes Ressentiment, das bisweilen in ein Untergangstremolo mündet. So schrieb der emeritierte Freiburger katholische Pastoraltheologe und Hochschullehrer Hubert Windisch im September 2015 auf dem privat betriebenen Portal kath.net – das nicht mit katholisch.de, dem offiziellen Medium der Deutschen Bischofskonferenz zu verwechseln ist – in einem Gastkommentar mit dem Titel »Deutschland kaputt« zur »Flüchtlingskrise« Folgendes: »Was man hier erlebt, ist letztlich nichts anderes als eine humanitär kaschierte Selbstzerstörung Deutschlands.«

Zentral sind schließlich auch das Thema Abtreibung sowie das schon erwähnte Feindbild »Genderwahn«. In rechtschristlichen Kreisen werden Parteien und Politiker oftmals ausschließlich daran gemessen, wie sie zur Abtreibung stehen. Dies ist ein Grund dafür, warum die abtreibungskritische AfD vielfach so beliebt ist. Nun ist es genuin christlich und nicht rechts, gegen Abtreibung zu sein. Wird Abtreibung aber wie im Grundsatzprogramm der AfD nicht nur grundsätzlich kritisch gesehen, sondern überdies auch in einen Zusammenhang mit einer »aktivierenden« Politik zugunsten der »einheimischen« Bevölkerung gebracht, wird es problematisch.

Beim rechten Hassobjekt »Genderwahn« wiederum zeigt sich das ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denken der Szene. Anstatt sich sachlich mit Gender-Mainstreaming, Gender Diversity und dergleichen auseinanderzusetzen und sowohl auch aus konservativer Sicht Positives, wie den Abbau von Diskriminierungen sowie Negatives, wie etwa überzogene Sprachregelungen zu thematisieren, wird sehr oft behauptet, die Gesellschaft solle zum Leitbild des »geschlechtsneutralen« Menschen hin »umerzogen« werden. Damit wird, das ist die Ironie des Ganzen, verkannt, dass das Gender-Mainstreaming, so wie es in Deutschland umgesetzt wird, die Unterschiede zwischen Mann und Frau gerade explizit anerkennt und nur verhindern will, dass Frauen schlechter gestellt sind.

Klassisch konservative Christen sollten gegenüber den Scharfmachern, die sich »christlich-konservativ« nennen, aber längst rechtes Denken aktiv verbreiten, deutlich stärker Stellung beziehen und betonen, dass in der konservativen Welt weiterhin Maß und Mitte Handlungsmaximen sind und ebenso ausreichend Raum für Nächstenliebe und Barmherzigkeit vorhanden ist.

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