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© picture alliance / Winfried Rothermel | Winfried Rothermel

Wohnraum als Spielball auf globalisierten Finanzmärkten Der Rendite geopfert

Dass sich Wohnraum in kapitalistischen Gesellschaften von einem als Ware produzierten und verwerteten Gebrauchsgut in ein Objekt profitabler nationaler und internationaler Kapitalanlagen verwandelte, diese Entwicklung zeichnete sich bereits vor der Finanzkrise 2008 ab und verschärfte sich nach der Stabilisierung der Finanzmärkte 2010 weiter. Susanne Heeg, Professorin an der Universität Frankfurt/Main, hat die Auswirkungen auf Wohnungsmärkte analysiert und bezeichnet sie als »Finanzialisierung sozioökonomischer Verhältnisse«. Darunter fasst sie »die zunehmende Bedeutung finanzieller Motive, kapitalmarktgenerierter Steuerungsgrößen, von Finanzmärkten und Finanzinstitutionen sowie deren Akteur*innen für die nationale und internationale Wirtschaft« zusammen.

Unter Bedingungen der Finanzialisierung zeichnet sich auf nationaler wie auf internationaler Ebene vor allem in Großstädten mit hohem Zuzugsdruck eine sukzessive Erosion der wohnungspolitischen Relevanz einer langfristigen, gebrauchsorientierten, genossenschaftlichen, kommunalen und sozialen Wohnraumversorgung ab. Sie manifestiert sich

  • in einer kontinuierlichen Verringerung mietpreisgebundener Sozialwohnungen infolge auslaufender Belegungsbindungen und unzureichendem Neubau geförderter Wohnungen,
  • in Privatisierungen kommunaler Wohnungsbestände, die in Deutschland im Jahr 2006 ihren Höhepunkt erreichten und
  • in einer zunehmenden betriebswirtschaftlichen Ausrichtung vieler großer Genossenschaften und kommunaler Wohnungsunternehmen.

Aufgrund steigender Mieten und des Vertrauensverlustes vieler Haushalte in eine sozialpolitisch verantwortungsvolle und verlässliche Daseinsvorsorge auf dem Wohnungsmarkt ließen sich zunehmend auch Mieter*innen mit geringem Eigenkapital – trotz explodierender Bodenpreise und Baukosten – durch langfristige Kreditangebote mit niedrigen Zinsen von Banken zum Erwerb von Wohneigentum verlocken. Sie nehmen dafür lange Tilgungszeiten in Kauf, ohne zu wissen, ob sie ihre Tilgungsverpflichtungen auch bei steigenden Zinsen oder im Falle von Einkommensverlusten einhalten können.

Solche neuen Eigentümergruppen konkurrieren auf dem privaten Wohnungsmarkt mit nationalen und internationalen Kapitalanlegern, die sich weder für Wohnqualitäten noch für Auswirkungen der zunehmend fragmentierten Wohnungsmärkte auf Städte und Gemeinden interessieren. Sie orientieren ihr Handeln vorwiegend an erwartbaren Renditen ihres Immobilienportfolios, um Aktionäre zu befriedigen sowie Pensionen und zugesagte Versicherungsleistungen abzusichern oder Wertsteigerungen des Immobilieneigentums durch Wiederverkauf zu realisieren.

Das »finanzdominierte Akkumulationsregime« (Heeg) auf Wohnungsmärkten konzentriert sich nach vorliegenden Analysen vor allem auf Großstädte, die mit attraktiven Bildungsangeboten und Arbeitsmärkten kontinuierliches Bevölkerungswachstum verzeichnen und infolge der Knappheit bezahlbaren Wohnraums eine rasche und sichere Einlösung von Renditeerwartungen versprechen. Dies erfolgt durch Abriss und Neubau von Wohnraum, Modernisierungsmaßnahmen oder durch lukrative Bewirtschaftungspraktiken.

Kleinstädtische und ländliche Räume sind hingegen eher mit einem Preisverfall von Wohnimmobilien und Bevölkerungsabwanderung konfrontiert. Sie lassen sich allenfalls unter der Voraussetzung der Bereitstellung notwendiger Infrastruktur zur Daseinsvorsorge wiederbeleben, zu der neben Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten, gesundheitlichen Dienstleistungen und Mobilitätsangeboten vor allem eine zeitgemäße Ausstattung mit Kommunikationstechnologie gehört, mit der fehlende wohnortnahe Arbeitsplätze zumindest teilweise durch Homeoffice kompensiert werden können. Ob dadurch eine Entspannung auf finanzialisierten großstädtischen Wohnungsmärkten zu erreichen ist, erweist sich bislang als fraglich, da auch Menschen mit geringeren Einkommen in Großstädten allenfalls dann ihre gewachsenen sozialen Netze und vertrauten Lebensräume verlassen werden, wenn sie keine Handlungsalternative haben. Aus diesem Grund protestieren gerade Großstadtbewohner*innen unterschiedlicher Milieus und Altersgruppen gegen Finanzialisierungsprozesse auf Wohnungsmärkten.

Dabei greifen sie zur Begründung ihrer Anliegen zunehmend auch auf Forschungsbefunde zurück, die belegen, dass eine Fortsetzung weitgehend uneingeschränkter (finanz-)marktwirtschaftlich ausgerichteter Wohnungspolitik weder für die Entwicklung betroffener Städte, noch sozialpolitisch für Haushalte mit niedrigen Einkommen, noch für eine demokratische Legitimation solcher Politik zuträglich ist.

Diskriminierung und Möglichkeiten der Gegensteuerung

Mit Diskriminierung sind auf den wenigen Wohnungsteilmärkten mit relativ moderatem Preisniveau laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes viele Menschen konfrontiert,

  • denen aufgrund ihres Namens, körperlicher Merkmale (wie der Hautfarbe), sprachlicher Fähigkeiten, religiös bedingter Bekleidung und/oder Migrationsgeschichte Fremdheit zugeschrieben wird;
  • deren Alter, Geschlecht, Haushaltsstruktur und/oder sexuelle Orientierung nicht in das ordnungspolitische Konstrukt einer sozialverträglichen Nachbarschaft von »gatekeepern« passt, die über die Belegung von Wohnraum entscheiden,
  • die mit physischen oder psychischen Einschränkungen leben müssen sowie
  • deren Einkommen mit einer instabilen Mietzahlungsfähigkeit assoziiert wird.

Die wenigen vorliegenden Studien zur Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum zeigen, dass die genannten Merkmale selten alleine wirkmächtig sind, weshalb von einer multiplen Diskriminierung auszugehen ist. So können auch Konstellationen entstehen, in denen selbst zahlungskräftige und hochqualifizierte Kunden auf dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt werden, wenn sie z. B. aus rassistischen Gründen als fremd markiert werden und/oder körperlich eingeschränkt sind und/oder als Alleinerziehende oder Familie mit mehreren Kindern als unerwünscht gelten.

Bei Wohnungsunternehmen, die als Akteure auf dem Finanzmarkt vorwiegend an einer schnellen Renditesteigerung orientiert sind, wird in laufenden Forschungsprojekten auch der Verzicht auf diskriminierende Vermietung registriert, weil die Vermeidung von Leerstand und eine Absicherung eines regelmäßigen Cashflows Priorität genießen.

Wichtigste Handlungsstrategien gegen diskriminierende Zugänge zu Wohnungsmärkten sind deren Offenlegung durch ein transparentes und unabhängiges Monitoring von Vermietungspraktiken sowie staatliche Regulationen durch bezahlbare Wohnungskontingente für benachteiligte Nachfragegruppen.

Finanzialisierte Wohnungsmärkte hinterlassen auch in öffentlichen urbanen Räumen ihre Spuren: Städte und Gemeinden entlasten sich von einer nachhaltigen, nutzungsorientierten Gestaltung und Pflege öffentlicher Räume gerne durch deren vollständige Privatisierung an die Erwerber von Baugrundstücken. Dabei wird nicht immer – wie in der Hamburger HafenCity – ein uneingeschränktes öffentliches Nutzungsrecht in den Verkaufsverträgen abgesichert. Auch Eigentümer/innen von Wohnraum schotten sich gerne von öffentlichen Nutzungen durch eingezäunte Hofanlagen ab und praktizieren ein privilegiertes Wohnen als Gated Community. Auch öffentliche Räume im Umfeld rentabler Wohn- und Gewerbeimmobilien können durch Einbeziehung in einen sogenannten »Business Improvement District« (BID) von beteiligten Grundstückseigentümern mit Regularien versehen werden, die unerwünschte Nutzer*innengruppen ausschließen.

In Pandemiezeiten wurde offensichtlich, dass die Versorgung mit öffentlichen Freiräumen in vielen Städten erkennbare Ungleichheiten aufweist: In Gebieten, in denen Bewohner*innen mit unterdurchschnittlichen Einkommen leben, fehlten oft qualitativ hochwertige Freiräume, in denen der vergleichsweise geringere Wohnraum hätte angemessen kompensiert werden können. Entdecken solche Bevölkerungsgruppen – z. B. Menschen mit Migrationsgeschichte am Hamburger Jungfernstieg – attraktivere öffentliche Räume in Stadtzentren oder hochwertigen Grünanlagen, dann werden sie gerne als unerwünschte Eindringlinge in die »gute Stube« der Stadt betrachtet und medial diskriminiert. Freiräume, die auf finanzialisierten Wohnungsmärkten entstehen, sind entweder qualitativ hochwertig und nicht öffentlich zugänglich oder werden als öffentlich zugängliche Räume vernachlässigt, weil sie im Renditekalkül keine relevante Rolle spielen.

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