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Willkommen im Dschungel der Studienfächer Der Schmalspurmagister

Profiloberstufe, Schwerpunktkurse – hat es für eine Eins vor dem Komma gereicht? Freie Auswahl des Studienfachs? Ist ohnehin eine Illusion, wie sich bald herausstellen wird: In Fächern wie Medizin oder Psychologie bietet selbst ein makelloses Eins-Komma-Null-Abitur keine Garantie auf einen sofortigen Studienplatz und in der ersten Reihe.

Wie gut also, dass es Alternativen gibt, ein wunderbar breites Angebot an Themen und Fächern, wie maßgeschneidert für die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse: »Fitnessökonomie« oder »Kommunikationsdesign«, »Fundraising Management und Philantropie« oder »Menschenbild und Werte in christlicher Perspektive«. Das akademische Angebot der Hochschulen und Universitäten in Deutschland, so scheint es, lässt keine Begabung ungenutzt und ungefördert. Und bis zum Realitätstest auf dem Arbeitsmarkt bleiben vier oder fünf Jahre Zeit. »Lasst uns also fröhlich sein«. Mehr als 19.000 Studiengänge listet die Hochschulrektorenkonferenz in ihrem Kompass für angehende Studierende auf. Wenn sich der Schock der großen Zahl bis zur Immatrikulation auch abfedern lässt – Germanistik zum Beispiel in München, Münster, Rostock oder Trier wird da jeweils einzeln gezählt – so braucht es immer noch eine Menge Mühen und Vergleiche, bis eine Entscheidung fallen kann. Sie soll ja möglichst eine fürs Leben sein. Wahrscheinlich die erste, die manch einer mit einem frischen Abitur zu fällen hat, vielleicht mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr im Rücken oder auch nur einem Gap Year, einer ausgedehnten Pause nach den Mühen der gymnasialen Oberstufe – mit einem bisschen Feldarbeit bei der Ernte und einer langen Backpackingreise quer durch Neuseeland.

Wo also liegen die Schwerpunkte? Welcher Studienort empfiehlt sich? Wo lehren die Koryphäen der jeweiligen Disziplin? Das alles wird zu klären sein. Was ist von einem Studium im Ausland zu halten? Von den Verheißungen einer privaten Hochschule gegenüber den staatlichen Programmen? Und was von inhaltlich vergleichbaren Studiengängen – statt Rechtswissenschaft etwa Internationales Recht, Wirtschaftsrecht, Rechtspflege oder Immobilien- und Vollstreckungsrecht?

Oder doch lieber Tiermedizin? Irgendwas mit Medien? Oder »Performative Künste in sozialen Feldern«? Der Sommer wird spannend.

Jeder Dritte schmeißt sein Studium hin. Oder bekommt nach zwei, drei Semestern und ein paar versemmelten Klausuren vom Hochschulprüfungsamt mitgeteilt, dass aus diesem Projekt leider nichts mehr wird. In machen Fachbereichen sind es gar 40 % Studienabbrecher oder mehr. Viele Dozenten klagen über mangelnde Hochschultauglichkeit und schlechte Arbeitsmoral ihrer Schutzbefohlenen. Die Gymnasien hätten besser vorbereiten sollen.

Aber das erzählt nur einen Teil der Geschichte. Der andere Teil handelt von Andrang und Überlastung, vom verzweifelten Versuch, die wissenschaftlichen Standards durch rigorose Auswahl hochzuhalten. Mag sein, dass da auch so etwas wie Notwehr im Spiel ist. Aber wer Studierende in großer Zahl dazu zwingt, einen voller Hoffnungen und vielleicht auch Illusionen eingeschlagenen Lebensweg wieder zu verlassen, der hat entweder seinen Bildungsauftrag falsch verstanden oder ist ein von akademischem Dünkel getriebener Zyniker. Die jungen Menschen sind Anfang 20 und stehen vor einem biografischen Scherbenhaufen.

Es sind keine Einzelfälle: Nie gab es so viele Abiturient/innen wie heute. Mehr als 450.000 waren es im vergangenen Jahr, die Hälfte des Jahrgangs. Und natürlich erwirbt man die Hochschulreife, um an die Hochschule zu gehen. Da aber kein Arbeitsmarkt Jahr für Jahr 450.000 junge Rechtsanwälte oder Betriebswirte mit Magisterabschluss aufnehmen kann, und da andere Studienplätze, etwa in Naturwissenschaften oder Medizin, viel Geld kosten, braucht es eben ein bisschen Einfallsreichtum. Zumindest Studienfachdesigner, das steht mal fest, bleibt ein Berufsfeld mit leuchtender Zukunft.

Sportjournalismus zum Beispiel: ein toller Beruf für schnelle, redegewandte Typen. Wird heute an der Uni gelehrt. Ebenso »Farbtechnik und Raumgestaltung« oder Gebärdensprachdolmetschen: gute, anspruchsvolle Arbeitsfelder – keine Frage. Aber was haben sie mit wissenschaftlichem Denken zu tun? Sind akademische Institute da überhaupt zuständig?

Das Schmalspurstudium

Der Hintergrund: Die Universitäten stehen im Wettbewerb. Untereinander und mit den Personalentwicklern aus der Wirtschaft. Letztere haben sich lange darüber beklagt, dass junge Akademiker/innen für ihre Berufsanforderungen noch längst nicht reif seien. Also haben sie eigene Programme entwickelt, Schmalspur, aber genau auf den Bedarf zugeschnitten. Jetzt ziehen die Universitäten nach, erweitern ihr Angebot und denken sich tolle Namen dafür aus. Das Problem: Sie drehen dabei die Richtung ihres Auftrags um 180 Grad und führen junge Menschen nicht mehr über Denken und selbstständige Analyse hin zur Verantwortung und Aufgabe, sondern setzen eine Entscheidung voraus und liefern nur noch die Werkzeuge, ein fertig eingezäuntes Berufsfeld zu bestellen. Bildung nach dem Prinzip »Malen nach Zahlen«.

Das Risiko liegt bei den Jugendlichen. Sie sind z. B. 17 und sollen sich für die nächsten 50 Jahre auf einen sehr konkreten Arbeitsplatz festlegen. Wirtschaftsinformatik statt Philosophie oder Mathematik. Sie sollen eine Freiheit aufgeben, die eigentlich erst zu entfalten wäre. Ihr Denken wird in Kanäle geleitet, ihrer Neugier werden Ziele vorgegeben. Multiple Choice statt freiem Spiel der Ideen, Normen und Module der Gegenwart statt Konzepten für die Zukunft. Das muss sich eine Gesellschaft leisten können.

Der zweite Abgleich von Anspruch und Realität wird in der Regel noch länger auf sich warten lassen. Mal angenommen, in aller Blauäugigkeit, der Arbeitsmarkt erweist sich tatsächlich als gnädig und bietet z. B. einem Absolventen des Studiengangs »Vergleichende Romanistik«, »Neurowissenschaften« oder »Friedensforschung« einen bezahlten, vielleicht sogar leidlich sicheren Arbeitsplatz – dann wird es weitere fünf oder zehn Jahre dauern, bis sich herausgestellt hat, ob die Berufswirklichkeit tatsächlich so anspruchsvoll und attraktiv ist, wie es der pompöse Name des Studienfachs suggerierte. »International Hospitality«, »Evidenzbasierte Pflege« oder »European Studies«: Sie alle sollen Herausforderung bieten, Selbstverwirklichung und den Flow für ein ganzes Berufsleben. Aber niemand hatte vom Großraumbüro erzählt, von lähmender Routine, atomisierten Zuständigkeiten und selbstherrlichen Vorgesetzten. Dabei ist genau das die berufliche Realität.

Die kreative Lücke

Der demografische Wandel, so steht zu erwarten, wird nachwachsenden Generationen einiges an Zähigkeit abverlangen. Globalisierter Wettbewerb, Rente mit 70 und trotzdem ein Heer von unternehmungslustigen Alten, die fidel an Bord eines Vergnügungsdampfers stehen und mit ihren Zusagen aus besseren Zeiten winken. »Alternde Gesellschaften« ist übrigens auch noch ein Vorschlag aus dem reichhaltigen Angebot akademischer Qualifikationen, zu belegen als Master-Studiengang an der TU Dortmund. Und von der digitalen Revolution und ihren Kahlschlagoptionen auf dem Arbeitsmarkt war noch gar nicht die Rede.

Aber nein, hier soll niemandem der Spaß am Grundseminar Statistik für Sozialwissenschaftler genommen werden, an der Einführung in die medizinische Terminologie oder dem Modellbaukurs für angehende Städteplaner. Ein bisschen Unsicherheit, Überraschung und erste Enttäuschung gehört seit jeher zum Einstieg in das Berufsleben. Zu fragen aber ist zweierlei. Erstens: Wem genau dient ein so überaus filigran ausgearbeiteter Kanon von Studienfächern? Wer trägt im Zweifelsfall das Risiko einer Planbarkeit, die doch nur Fiktion ist? Und zweitens: Wie zukunftstauglich ist ein System, das sich vom ersten Semester an auf ein so eng umrissenes Arbeitsfeld wie »Europäische Rechtslinguistik«, »Facility Management« oder »Popmusik-Marketing« festlegt?

Spätestens hier wird es grundsätzlich. Zu verhandeln wäre das Verhältnis von Spezialwissen versus Flexibilität. Natürlich erfordert eine zunehmend differenzierte Arbeitswelt ebenso differenzierte Qualifikationen. Aber kündigt die Entwicklung der Technologie nicht Veränderungen der beruflichen Arbeit an, deren Ausmaß sich keiner vorstellen kann? Viele Berufe werden einfach wegfallen wie einst der Laternenanzünder; manche Experten sagen: jeder zweite – und das noch in der Lebenszeit derer, die heute in die Hörsäle drängen.

Wenn also intelligente, lernfähige Programme chirurgische Eingriffe vornehmen, Flugzeuge lenken oder psychotherapeutische Beratung verabreichen, was zumindest abzusehen ist – dann ist die Fähigkeit gefragt, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Flexibel und kreativ zu sein. Denken zu können. Denn die Strategien und Optionen, die die Mutter oder den Vater vielleicht noch zum Erfolg geführt haben – sie sind für den Sohn oder die Tochter nichts mehr wert. Guter Rat und gute Beziehungen gehen ins Leere. Und wer mag, kann darin sogar so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit sehen.

Aber welche Zukunft bleibt dem Taxifahren, wenn selbst Taxis irgendwann computergesteuert durch die Gegend gleiten? Mathematik hätte man studieren sollen, irgendwas mit Mut zur Herausforderung. Vielleicht wäre sogar freie Kunst eine bessere Option gewesen.

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