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© picture alliance / imageBROKER | Michael Dietrich

Über den Wert von Verständlichkeit im politischen Handeln Der Transformationsbegriff muss Mainstream werden

Wenn unter guten Freund:innen ein einziges Wort die Erinnerung an ein lustiges gemeinsames Ereignis weckt, genügt schon ein Blick und alle lachen los. Nichteingeweihte schauen sich ratlos an. Die erste Gruppe nennt man dann »Insider«. Die Transformation ist so ein Insiderbegriff. Nur, dass es dabei nichts zu lachen gibt.

Neulich traf ich meine Mentee, eine 16-jährige Thüringerin. Verbunden hat uns das Aelius Förderwerk, welches das Ziel verfolgt, Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten auf ihrem Bildungsweg zu unterstützen. Für mich ist es sehr wertvoll mit ihr zu sprechen und sie zu befragen, denn ihre Teenagerwelt auf dem Land ist eine ganz andere als meine in Berlin. Ich fragte sie, ob sie wüsste, was gemeint sei, wenn von »der Transformation« die Rede ist. Sie bejahte. Das geschehe zum Beispiel, wenn sie keine Schülerin mehr sei, sondern zur Studentin würde.

Meine Mentee weiß also, dass Transformation ein Prozess des Wandels ist, bei dem sich ein Zustand verändert. Dass Politiker:innen, wenn sie von »der Transformation« sprechen, einen Wandel unserer Gesellschaft hin zur Digitalisierung oder einen Wandel hin zur Klimafreundlichkeit meinen könnten, war ihr neu. Sie fand den Begriff ohnehin seltsam und zu technisch.

Kaum verwunderlich, wenn man die Transformers kennt. Eine beliebte amerikanisch-japanische Kultserie über außerirdische Roboter, die sich bekämpfen. Diese Transformers sind künstliche Wesen, die ihre metallenen Körper verändern können, um sie zu Waffen umzubauen. Die Transformation, wie sie die Politik versteht, meint aber weder einen beliebigen Wandel noch blanke Technikentwicklung. Eigentlich soll sie viel mit Menschen zu tun haben. Dafür muss sie aber auch verständlich sein.

Der Druck ist enorm hoch

Eine präzisere Beschreibung ist die »sozialökologische Transformation«:Der Umbau aller gesellschaftlichen Bereiche, sodass sie innerhalb der planetaren Grenzen funktionieren. Andersherum formuliert: Änderung des menschlichen Verhaltens derart, dass es nicht auf Kosten des Planeten geht. Dieser Umbau ist radikal, da er in vielen Bereichen menschlichen Lebens, wie der Landwirtschaft, Güterproduktion, Energieerzeugung oder dem Verkehr grundlegende Veränderungen erfordert. Das kostet nicht nur viel Geld, sondern erfordert manchmal auch andere menschliche Fähigkeiten und somit andere Jobs, als diejenigen, die wir heute kennen. Das wiederum setzt auch ein Umdenken und Wollen bei den Menschen voraus, die bekanntermaßen Gewohnheitstiere sind.

Durch jahrzehntelanges Nicht- oder Zu-wenig-Handeln auf der großen politischen Bühne ist der Druck nun enorm gestiegen. Beeilen wir uns nicht, tiefgreifende Maßnahmen umzusetzen, die ein nachhaltiges Leben ermöglichen, verspielen wir unser aller Lebensgrundlage. Nun ist jedoch die Kombination aus Zeitdruck und massiven Veränderungen keine vielversprechende Aussicht für jene, die ohnehin vulnerabler aufgestellt sind, wie etwa Geringverdiener:innen, häufig Menschen ohne jahrzehntelange Ausbildung und höhere Abschlüsse. Deshalb sprechen wir von einer »sozial«-ökologischen Transformation. Denn der Wandel hin zur Nachhaltigkeit muss Benachteiligte einer Gesellschaft schützen. Entstehende Kosten und Chancen also gerecht verteilen, Risiken abfedern und Beteiligung fördern. All das soll in dem Wort »Transformation« stecken.

Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje erläuterte kürzlich präzise, weshalb der Begriff der Transformation bei dessen Umsetzung aber nicht hilfreich sei. Abgesehen davon, dass er auch unter den »Insidern« missverständlich gebraucht wird (einige begreifen etwa die Digitalisierung als ebenbürtiges Ziel neben dem Klimaschutz, welches durch eine »Transformation« erreicht werden müsse, andere betrachten sie eher als Mittel zum Zweck), habe er »keine Richtung«. Der Begriff beschreibt zwar, ähnlich wie das meine Mentee erkannt hat, dass etwas grundlegend in Veränderung ist, er gibt jedoch keinen Hinweis darauf, wohin diese Veränderung führt und warum sie stattfindet.

Transformation oder Ökologisierung?

Hillje schlägt alternativ den Begriff der »Ökologisierung« vor, da dieser zum einen den Kern der Sache trifft (einen Prozess, der die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Natur nachhaltig gestaltet) und zum anderen sofort bei allen die treffende Assoziation weckt: keine kämpfenden Roboter, kein zielloser Wandel, sondern eine intakte, gesunde Umwelt. Auch diesen Vorschlag habe ich an meiner jugendlichen Testperson ausprobiert. Er funktionierte. Auch wenn sie ihn »sehr wissenschaftlich« fand, was bei ihr kein Kompliment ist, sondern eher die Kategorie »zu kompliziert für den Alltagsgebrauch« bedeutet, wusste sie sofort, was damit gemeint ist.

Etwas Weiteres, was mir an dem Vorschlag gefällt ist, dass auch sehr kleinteilige Einheiten ökologisiert werden können. So kann ein Restaurant beispielsweise Ökologisierungsmaßnahmen umsetzen und folglich anders kochen, heizen, lagern, kühlen. Will ein Büro seine Arbeitsweisen »ökologischer« gestalten, so klingt das sinnvoll und konkret. Was aber sollte ein Restaurant oder ein Büro mit »Transformationsmaßnahmen« meinen? Klingt eher nach Personalkürzungen oder Umzug als nach dem Versuch, einen Beitrag dazu zu leisten, unseren Planeten und damit letztendlich auch uns selbst zu schützen.

Grundlegend bin ich dafür, den Kampf gegen die Klimakrise nicht allzu sehr zu individualisieren. Ob Transformation oder Ökologisierung: Es geht um einen weltweiten strukturellen Wandel, eine tiefgreifende Veränderung. Nicht die einzelne Auszubildende trägt die Schuld an der Krise, weil sie mit dem Verbrennerauto zur Arbeitsstätte fährt, nicht der Rentner, der so gerne Fleisch isst. Die Verantwortung dafür, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass nachhaltiges Verhalten vorteilhaft und umweltschädliches Verhalten nachteilig oder gar verboten ist, trägt die Politik.

Ein gut ausgebauter ÖPNV oder gar mehr öffentliche E-Bike-Stationen, ein guter Preis für Produkte aus ökologischer Tierhaltung oder Fleischersatzprodukte: Die geeigneten Rahmenbedingungen dafür muss die Politik schaffen. Wirtschaft und Verwaltung setzen diese dann meist um und die Verbrauchenden richten ihr Verhalten nach dem, was sinnvoll, vorteilhaft und richtig erscheint. Diese Entpersonifizierung hat aber auch ihre Grenzen. Sie macht umweltschädliches Handeln bequem und entmachtet das Individuum. Der Begriff der Ökologisierung funktioniert also sowohl auf der großen, global-politischen Ebene, als auch auf der kleinsten: beim Individuum. Und das ist gut so, denn diese große Aufgabe ist nur zu bewältigen, wenn wir sie alle verstehen und gemeinschaftlich daran mitwirken können.

Wo bleibt das Soziale?

Nun kommt vielleicht die Frage, wo denn das Soziale bleibt, wenn wir fortan von der Ökologisierung unserer Gesellschaft sprechen? Zwei Antworten scheinen mir darauf relevant. Die eine, eher theoretische Antwort, verweist darauf, dass die Ökologie nicht nur die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur erfasst, sondern eben auch die der Organismen (hier also Menschen) untereinander. Die Ökologisierung strebt ein nachhaltiges Verhältnis an, ein Gleichgewicht, das langfristig für alle funktioniert. Zwischen Menschen hieße das in demokratischer Form nichts anderes als »sozial«.

Die andere Antwort schaut mehr auf die Praxis als auf die Theorie: Die Frage lautet, welches Verständnis wir als Gesellschaft von einem Begriff haben. Stellt sich heraus, dass bei »Ökologisierung« nur an Hauswandbegrünung gedacht wird, statt an Bürgerwindparks, deren Einnahmen der Kommune zugute kommen, dann bräuchten wir einen Zusatz, wie »soziale Ökologisierung«.

Unter »Insidern« kann natürlich weiterhin von der (sozial-ökologischen) Transformation gesprochen werden, jedoch muss dabei klar sein, dass wir uns für andere nicht verständlich machen. In der öffentlichen Kommunikation, gerade der, die sich, wie bei Politiker:innen, an die ganze Gesellschaft richtet, müsste der Versuch einer Erklärung unternommen werden. Vorschlag: »Die große Transformation bedeutet, dass wir unsere Wirtschaft komplett umstellen, nämlich ökologisieren müssen. Mensch und Umwelt sollten ein nachhaltiges Verhältnis haben, in allen Lebensbereichen. Die Umstellung wird ungewohnt und an einigen Stellen auch unbequem werden, unsere Aufgabe ist es jedoch besonders jene Gruppen zu schützen, die berechtigte Sorgen davor haben. Deshalb nennen wir diese gemeinschaftliche Aufgabe ›die sozial-ökologische Transformation‹«.

Ob so eine stets wiederholte Erklärung verfängt, ist ungewiss. Sicher ist jedoch, dass derzeit zu viele unterschiedliche, missverständliche Vorstellungen davon im Umlauf sind, was mit »Transformation« gemeint sein kann. Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist viel zu groß und viel zu wichtig, als dass wir es beruhigt dabei belassen sollten.

Der Begriff, der die größte Aufgabe der Menschheit beschreibt, die wir alle miterleben und mitprägen, muss Mainstream- und kein Insiderwissen sein. Und weil Mainstream und Insider schon wieder Worte sind, die zwar meine Mentee versteht, meine Oma aber nicht, spreche ich vielleicht besser davon, dass die Transformation derzeit »Spezialwissen« erfordert, während die Ökologisierung schon »selbsterklärend« ist.

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