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© picture alliance / Daniel Bockwoldt/dpa | Daniel Bockwoldt

Afrikas Kampf um seine Kunstschätze Der Umgang mit dem kolonialen Erbe ändert sich

Die vergleichsweise verbindlich klingende Botschaft aus Berlin – von ihren Verkündern zugleich als »Meilenstein« gefeiert – war angesichts der bisherigen, vorsichtig gesagt zögerlichen Haltung der Verantwortlichen in Politik und Museen in Sachen Restitution schon beinahe eine Überraschung. Dem vorausgegangen war ein zähes Hin und Her. Noch einige Wochen zuvor hatte etwa Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung insistiert, die Originale der Benin-Bronzen würden bei der Eröffnung des Humboldt Forums ausgestellt, dies sei auch ganz im Sinne nigerianischer Kulturpolitiker. Indes kamen nicht zuletzt von nigerianischer Seite immer eindringlichere Forderungen nach Rückgabe der Kostbarkeiten. Bereits im Sommer 2019 verlangte der Botschafter des Landes in Deutschland, Yussuf M. Tuggar, in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel die Restitution aller geraubten nigerianischen Kulturgüter, auf das die deutsche Regierung jedoch weder rechtzeitig noch angemessen reagierte. Tuggar ließ jedoch nicht locker, ebenso wie diverse zivilgesellschaftliche Gruppierungen und Wissenschaftler/innen, die das Thema der geplünderten Objekte aus Benin-City hartnäckig auf die Tagesordnung setzten.

Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Forderungen, die zahllosen, während der Kolonialzeit mit Gewalt oder wenigstens unter dubiosen Umständen in den kolonisierten Weltgegenden akquirierten Kulturgüter zurückzugeben, jüngeren Datums seien. Hierzulande etwa werden entsprechende Debatten vor allem mit dem umstrittenen Humboldt Forum verbunden, das in seinen geplanten Ausstellungen viele Objekte zu zeigen beabsichtigt, deren »Erwerb« undurchsichtig ist, in zahlreichen Fällen – wie eben bei den Benin-Bronzen – sogar nachweislich mit kolonialer Gewalt verknüpft war. Doch bereits vor einem halben Jahrhundert, kurz nachdem die Mehrheit der Staaten Afrikas die Unabhängigkeit erlangt hatte, bemühten sich zahlreiche afrikanische Politiker, Intellektuelle und Museumsvertreter um die Rückgabe von Kunst. Es ist das große Verdienst von Bénédicte Savoy, in ihrem Buch Afrikas Kampf um seine Kunst diese vergessenen, wohl auch bewusst verdrängten Anstrengungen sowie die seinerzeit erfolgreichen Blockaden von europäischen Museums- und Kulturverwaltungen rekonstruiert zu haben. Zu Recht hält sie fest, dass die »Wucht, mit der das Thema heute viele Gesellschaften erschüttere«, der »eines zurückkehrenden Bumerangs« gleiche. »Es ist«, fügt sie hinzu, »die potenzierte Rückkehr von etwas Verdrängtem auf die historische Bühne, das sich nun nicht noch einmal ignorieren lässt.«

Der Druck nimmt zu

Die in Berlin und Paris lehrende Kunsthistorikerin Savoy verleiht damit ein weiteres Mal der Debatte über Restitution von Kulturgütern neue und wichtige Impulse. Ihr zusammen mit Felwine Sarr im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron Ende 2018 publizierter Bericht (Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain) hatte nachdrücklich für eine umfassende Rückgabe afrikanischer Kulturobjekte in die ehemaligen Kolonien plädiert und weltweit für Aufsehen gesorgt. Das Autor/innenduo schätzte, dass sich 95 % aller afrikanischen Kulturgüter in Europa oder allgemein im »globalen Norden« befinden, wobei einzelne Museen eine enorme Menge an Objekten horten, die niemals ausgestellt wurden. Allein die einschlägigen Berliner Museen nennen demnach etwa 75.000 Exponate kolonialer Provenienz ihr Eigen. Der Bericht erhöhte nicht zuletzt in Deutschland den Druck, den Umgang mit dem kolonialen Erbe verstärkt anzugehen, wobei sich die zunehmend verbissen geführte Debatte stark auf das Berliner Humboldt Forum fokussierte, bei dem die beiden Themenkomplexe »Raubkunst« und »koloniale Verbrechen« zusammenliefen. Freilich konnte man sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, die gesamte koloniale Schuld solle gleichsam an dieser Einrichtung abgetragen werden. Die Bundesregierung und die Mehrzahl der Museen setzten derweil auf die Bürokratisierung der Restitutionsfrage durch langwierige Recherchen zur Provenienzforschung. Die Strategie, das Problem gleichsam auszusitzen, scheint jedoch nicht aufzugehen.

Erfolgreicher hingegen, wie Savoy in ihrer fulminanten Studie detailliert und quellennah zeigt, stemmten sich vor 40, 50 Jahren Behörden und Museumsverwaltungen in Europa gegen Restitutionsgesuche aus ehemals kolonisierten Ländern. Mit dem Argument, während der Kolonialzeit in europäischen Metropolen angehäufte Sammlungen für die Wissenschaft und Zukunft erhalten zu wollen – und damit zu insinuieren, dass etwa Afrikaner/innen dazu nicht in der Lage seien –, spielten sie auf Zeit. Und sprachen in der Regel mit doppelter Zunge. Viele Akteure in den Museumsverwaltungen wussten nämlich, wie Savoy anhand von Korrespondenzen belegt, sehr wohl um den kolonialzeitlichen Ursprung eines Großteils ihrer Sammlungen. »Doch nach außen hin, vor allem in Gremien und politischen Kreisen, vermittelten Museumsverantwortliche der 70er Jahre bis auf wenige Ausnahmen mit unverdrossener Dreistigkeit das Bild untadelig erworbener Sammlungen mit sauberen Provenienzbelegen, die sie freilich nie vorzeigen mussten«. Die vermeintliche Rechtmäßigkeit der Ankäufe sei zu einem »autosuggestiven Mantra« geworden, das bis heute weiterhin bemüht werde.

Jahrzehntelange Demütigungen

Die damalige Blockadepolitik der Museen illustriert die Autorin auch am Beispiel der Benin-Bronzen. Denn der erste Versuch Nigerias, einige der wertvollen Objekte aus Berlin zurückzuerhalten, datiert aus dem Jahr 1972. Damals suchte der Direktor der nigerianischen Antikenbehörde, Ekpo Eyo, unter Berufung auf Empfehlungen des Internationalen Museumsrates, aus Berlin und anderen Städten Europas einige Dauerleihgaben für ein neu zu gründendes Museum in Benin-City zu erhalten. Das Auswärtige Amt stand dem Anliegen zunächst positiv gegenüber, doch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mauerte umgehend. Ihr Präsident, Hans-Georg Wormit, wandte sich mit einem Schreiben ans Innenministerium, in dem er argumentierte, derartige Leihgaben könne Berlin, das durch den Weltkrieg ohnehin genug Museumsgut verloren habe, nicht verkraften. Überdies brachte er den Kalten Krieg ins Spiel und behauptete, der von Nigeria gewünschte Transfer von Objekten würde den wenige Jahre zuvor eingeweihten Museumskomplex in Berlin-Dahlem und folglich auch die eigene Position gegenüber den Kunstinstitutionen der DDR in Ost-Berlin schwächen. Das Innenministerium intervenierte beim Auswärtigen Amt, das einschwenkte und der nigerianischen Regierung signalisierte, ihrem Wunsch nicht nachkommen zu wollen. Kurze Zeit später empfahl der Generaldirektor der Staatlichen Museen, künftige Anfragen aus ehemals kolonisierten Ländern »so dilatorisch wie möglich zu behandeln«. Mit Nachdruck verweist Savoy auf die enttäuschten Hoffnungen, die jahrzehntelangen Demütigungen und den Frust der als unbotmäßige Bittsteller behandelten Staaten aus Afrika und anderen kolonisierten Weltregionen, die für das Verständnis der gegenwärtigen Konstellationen in der Restitutionsfrage unabdingbar seien.

Die Benin-Bronzen sind, so scheint es, für das Humboldt Forum zu »unmöglichen Exponaten« geworden. Dies gilt inzwischen auch für ein weiteres Objekt, das zu den Prunkstücken des wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses gehört. Denn das hochseetaugliche, reich verzierte Luf-Boot, das, so die bisherige Lesart, auf untadelige Weise im frühen 20. Jahrhundert aus der Südsee in die Bestände des Berliner Ethnologischen Museums gelangt zu sein schien, ist ebenfalls koloniales Raubgut! Für den oft behaupteten regulären Erwerb fehle jedenfalls jeder Beleg, schreibt der Historiker und Publizist Götz Aly, der mit seinem Buch Das Prachtboot sogleich einen echten Medien-Coup zu landen vermochte. Er führt auf der Grundlage zugänglicher Bücher und Dokumente vor, dass Provenienzforschung kein Zauberwerk sein muss und legt dar, unter welchen Umständen das wertvolle Großobjekt aus der Kolonie Deutsch-Neuguinea nach Berlin entführt wurde. Dabei entlarvt er mit sichtlichem Genuss das Herumlavieren und die Geheimniskrämerei von Museumsleuten und Kulturpolitikern, die inzwischen zwar bereitwillig menschliche Schädel nach Afrika und Ozeanien rekonstituieren, die dem einst angesehenen Fach »Rassenkunde« als Material dienten, ansonsten aber alles täten, um die Rückgabe von wertvollen geraubten Objekten zu verschleppen.

Das 16 Meter lange Luf-Boot, ausgestattet mit zwei Segeln sowie einem aus einem einzigen Baumstamm gefertigten Kiel, hatte der Kaufmann Eduard Herrnheim an die königlichen Museen in Berlin verkauft. In seinen Lebenserinnerungen schrieb er: »Das letzte dieser Fahrzeuge, das der aussterbende Stamm noch hatte herstellen können, ging später in meine Hände über und ziert jetzt das Völkerkundemuseum in Berlin.« »Über den Kauf eines ganz besonderen Objekts«, kommentiert Aly, »spricht man präziser«. Das Boot sei schlicht enteignet worden, man habe es »einer gnadenlos dezimierten Inselbevölkerung einfach weggenommen«.

Die von ihm rekonstruierte Geschichte dieses besonderen Objekts bettet Aly ein in eine Darstellung der deutschen Kolonialherrschaft in der Südsee, die von Gewalt, Zerstörung und Raub geprägt war. Auf diese Weise dekonstruiert er – freilich nicht als erster – das Bild von einer vergleichsweise friedlichen Fremdherrschaft in dieser Weltregion. Auch mit seinem Hinweis, die Entwicklung des Fachs Ethnologie sei eng mit dem Kolonialismus verknüpft gewesen, rennt er längst offene Türen ein. Gleichwohl hat Aly mit seiner Studie sehr effektiv den Finger in die Wunde eines weiterhin höchst unentschlossenen Umgangs mit geraubter Kunst aus den ehemaligen Kolonien gelegt. Man darf gespannt sein, wie sich die Debatte weiterentwickelt.

Götz Aly: Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021, 240 S., 21 €. – Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. C.H.Beck, München 2021, 256 S., 24 €.

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