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Timothy Snyders Buch über den »Sadopopulismus« Der Weg in die Unfreiheit

Anders als ein Jurist darf und kann ein Historiker seine Schlüsse auch ziehen, wenn sie nur auf Indizien und Koinzidenzen beruhen. Er darf analysieren und interpretieren. Das tut der in Yale lehrende Historiker Timothy Snyder in seinem neuen Buch Der Weg in die Unfreiheit – Russland Europa Amerika.

Snyder erinnert daran, dass der Trump-Tower in den 90er Jahren eines von nur zwei Gebäuden in New York war, das den anonymen Wohnungskauf zuließ. Diese Gelegenheit nutzte das organisierte russische Verbrechen und ermöglichte Donald Trump, sich als erfolgreichen Geschäftsmann auszugeben. Tatsächlich galt Trump seinerzeit kaum noch als kreditwürdig, außer bei der Deutschen Bank und bei russischen Investoren. Ein Drittel der verfügbaren Luxuswohnungen im Trump-Tower kauften damals Personen oder Organisationen aus der ehemaligen Sowjetunion. Im Trump-Tower wohnte ein russischer Auftragsmörder. Im Apartement unter Trumps Wohnung betrieben Russen einen illegalen Glücksspielring. Als das FBI dessen Inhaber Alimzhan Tokhtakhounov verhaften wollte, besuchte dieser gerade einen Schönheitswettbewerb in Moskau, den wiederum Trump organisiert hatte. Trump wurde dabei von dem russischen Immobilienmogul Aras Agalarow unterstützt. Dessen Schwiegervater wiederum war KGB-Chef in Aserbaidschan. Die Familie Agalarow bot Trump ihre Hilfe an, als der Newcomer sich für die Präsidentschaftskandidatur entschied. Im Juni 2016 soll im Trump-Tower ein Treffen stattgefunden haben, bei dem eine russische Anwältin den Leitern von Trumps Kampagne Material gegen Hillary Clinton anbot. Alles nur zufällige Einzelereignisse? Oder Indizien für eine ausgeklügelte Strategie? Timothy Snyder vermutet Letzteres.

Der Historiker Snyder, der zuletzt eine Studie über Tyrannei vorgelegt hat und zuvor eine detailreiche Beschreibung der nationalsozialistischen und sowjetischen Massenmorde in der Ukraine, Weißrussland und Polen (Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin) verfasste, bescheinigt den westlich-demokratischen Staaten derzeit eine Politik der Unausweichlichkeit. Sie verstünden unter Zukunft lediglich die Fortsetzung des Gegenwärtigen. Ihr einziges Konzept sei »mehr desselben«. Evidenz bekommt diese Einschätzung nicht nur durch Angela Merkels Politikbegründung der »Alternativlosigkeit«. Im Gegensatz dazu betrieben autoritäre Staaten wie Russland eine »Politik der Ewigkeit«. Politiker der Ewigkeit bauten einen Mythos von Unschuld und Gefahr auf und unterdrückten Fakten, um auszublenden, dass Menschen in anderen Ländern freier und wohlhabender sind.

Darin ähneln sich Donald Trump und Wladimir Putin. Noch 2010 war Putin bereit, mit dem polnischen Ministerpräsidenten über die Massaker von Katyn zu sprechen. Vier Jahre später erklärte ein russisches Gesetz, wer behaupte, die Sowjetunion sei in Polen einmarschiert oder habe zwischen 1939 und 1941 Kriegsverbrechen begangen, mache sich strafbar.

In Interviews, Reden und Artikeln beruft sich Putin seitdem auf den russischen Philosophen Iwan Iljin (1883–1954). Iljin sah in Hitler den Helden, der die Zivilisation vor dem Bolschewismus gerettet hat. Antisemitismus war für Iljin eine Weiterentwicklung der Ideologie der russischen »Weißen Bewegung«. Er war davon überzeugt, der dekadente Westen habe dem unschuldigen Russland den Kommunismus aufgebürdet. Eines Tages werde Russland sich selbst und auch andere durch einen christlichen Faschismus befreien. Iljin sprach von den Ukrainern nur in Anführungszeichen, weil er ihnen eine eigenständige Existenz außerhalb des russischen Organismus absprach. Es war für ihn selbstverständlich, dass in einem nachsowjetischen Russland die Ukraine dazugehören würde. Putin schrieb in einem Artikel, Russen und Ukrainer seien untrennbar verbunden: »Wir haben über Jahrhunderte zusammengelebt. Gemeinsam haben wir im schrecklichsten aller Kriege triumphiert. Und wir werden weiterhin zusammenleben. Und wer uns trennen will, dem kann ich nur eines sagen: Dieser Tag wird niemals kommen.« Der Westen nahm davon bedauerlicherweise keine Notiz, kommentiert Timothy Snyder lakonisch.

Die Sexualisierung des Feindes

Für Iljin (und somit auch für Putin) bedeutet Politik die Kunst, den Feind zu identifizieren und zu neutralisieren. Dieser Auffassung war auch Carl Schmitt, Strategieberater und Kronjurist der Nationalsozialisten.

Iljin diskreditierte seine Gegner als »sexuell pervers«, womit er Homosexualität meinte. Putin nannte die russische Opposition »sexuell deformiert«. Die Sexualisierung des Feindes bedeutet die Umwandlung von Politik in einen biologischen Konflikt, kritisiert Snyder. Die Arbeit an Reformen werde durch eine endlose Selbstdarstellung ersetzt. Autokraten wie Putin und Trump nennt Snyder »Sadopopulisten«, deren politische Ideen darauf angelegt seien, dem verwundbarsten Teil ihrer Wählerschaft zu schaden. Trump hat die Krankenversicherung Obamacare abgeschafft und die Steuern für Reiche drastisch gesenkt. Unter Putin können die russischen Oligarchen ihren Reichtum ungehemmt vermehren und als Kleptokraten alle Grenzen missachten.

Auch die Medienlandschaften Russlands und der USA nähern sich an, befürchtet der Historiker. In Russland herrscht schon lange ein Mangel an lokalem und regionalem Journalismus. Nach der Finanzkrise von 2008 kam es in den USA zu einem Zusammenbruch der ohnehin bereits geschwächten Lokalpresse. Für die Amerikaner bedeutete dies das Ende der Berichterstattung über das alltägliche Leben und den Aufstieg von Mediengiganten und Content-Managern. Wenn die Lokalreporter verschwinden, werden die Nachrichten abstrakt. Sie liefern keine Berichte mehr über das Vertraute, sondern werden zu einer Art Unterhaltung, bei der »Fake News« leichtes Spiel haben. Um sowohl Verwirrung zu stiften über aktuelle Begebenheiten als auch um den Journalismus als Kontrollinstanz zu diskreditieren, verbreiten »Politiker der Ewigkeit« zunächst selbst Fake News, behaupten dann, alle Nachrichten seien Fakes und schließlich, dass allein ihre eigenen Spektakel wahr seien.

Trolle und Bots

Alle wichtigen russischen Fernsehkanäle, einschließlich Russia Today, unterstützten in den Wochen vor dem britischen Referendum 2016 ein Votum für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Russische Internet-Trolle, Menschen, die sich mit britischen Wählern austauschten, und russische Twitter-Bots, Computerprogramme, die Millionen von zielgericheten Botschaften versandten, engagierten sich massiv für die Leave-Kampagne, schreibt Snyder: »Die Briten, die über ihre Entscheidung nachdachten, hatten damals keine Ahnung, dass das Material, das sie da lasen, von Bots verbreitet wurde, und erst recht nicht, dass diese Bots Teil der russischen Außenpolitik waren, deren Ziel in der Schwächung ihres Landes bestand.«

Bisherige Rezensenten haben an Timothy Snyders Buch kritisiert, dass er die Krise der westlichen Demokratien und das Erstarken der rechten sadopopulistischen Bewegungen allzu einseitig den russischen Manipulationen zuschreibt. Er übersehe die spezifisch hausgemachten Gründe. Man mag das für eine Schwäche halten. Das mindert aber nicht die Wichtigkeit dieses Buches.

Timothy Snyder: Der Weg in die Unfreiheit – Russland Europa Amerika (aus dem Englischen von Ulla Höber und Werner Roller). C.H.Beck, München 2018, 376 S., 24,95 €.

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