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Die Aufgaben der Linken Dialog statt Spaltung

Kaum dass DIE GRÜNEN bereit gewesen wären, in einem Bündnis mit der CDU/CSU und der FDP Formelkompromisse im Bereich der Migration und des Asyls einzugehen (»atmender Rahmen«), um sich die lang ersehnte Regierungsbeteiligung zu sichern, und dass sich die SPD nach heftigen Geburtswehen zu einer Neuauflage der an ihrer Basis so ungeliebten Großen Koalition (GroKo) durchgerungen hat, haben die Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE, Sahra Wagenknecht, und der frühere Vorsitzende der SPD und der Partei DIE LINKE Oskar Lafontaine ein neues Projekt links der politischen Mitte ausgemacht: Eine neue Sammlungsbewegung müsse her, in der Mitglieder der Linkspartei, vom Realo-Kurs weiter Teile ihrer Führungsspitze enttäuschte Mitglieder der GRÜNEN und durch die neuerliche Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin mithilfe von SPD-Stimmen frustrierte linke Sozialdemokrat/innen ein neues Zuhause fänden. So verkündet es das Duo seit Wochen. Von einer Internetplattform ist die Rede, über deren Gründungsaufruf bereits heftig unter Linken gestritten wird.

Man könnte darin einen Anlauf für eine neue Kraft im linken Spektrum sehen, womöglich sogar eine Partei mit neuer, geeinter Stärke. Doch nüchtern betrachtet ist derzeit kaum davon auszugehen, dass dies so ohne Weiteres gelingt. Im übergeordneten Ziel einer gerechteren Welt und der Verbesserung der Lebensbedingungen für die große Mehrzahl der Menschen sind sich SPD, DIE GRÜNEN und DIE LINKE einig. Je konkreter die Forderungen werden, umso deutlicher werden jedoch die Differenzen sichtbar. Zum einen treten die Unterschiede zwischen den drei Parteien deutlich zutage, zum anderen machen es die verschiedenen Flügel innerhalb dieser Parteien unwahrscheinlich, die verstreut links Denkenden zusammenzubringen. Die Unterschiede zeigen sich an verschiedenen Punkten: Sei es bei der unterschiedlichen Gewichtung von Themen und Forderungen, bei den ganz unterschiedlichen biografischen und damit auch politisch prägenden Hintergründen der handelnden Akteur/innen, bei habituellen Differenzen oder den sehr verschiedenen Zugängen bei der Politikgestaltung – zwischen Regierungsorientierung einerseits und Protestverstärkung andererseits, Fokussierung auf die Gestaltung durch staatliche Institutionen hier und Stärkung der Resonanz und Rolle zivilgesellschaftlicher Bewegungen dort. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass mindestens bei der Linkspartei eine wesentliche Gründungsmotivation und ein bedeutender Antrieb zumindest einiger ihrer Protagonist/innen bis heute aus der bewussten Gegenbewegung zur SPD bestehen. Zudem richtet sich der Appell nicht auf die nächstliegende Forderung zuerst: Die Einigung der »derzeit so konträren Parteien« (Albrecht von Lucke).

Es droht daher nichts anderes als eine weitere Spaltung des Lagers der linken Mitte und links der Mitte. Zu den drei bestehenden Parteien SPD, DIE GRÜNEN und DIE LINKE auf dieser Seite des politischen Spektrums würde sich eine vierte wie auch immer geartete Kraft hinzugesellen, nicht ohne die schon bestehenden Parteien zu schwächen.

Die Spaltung der Linken hat in Deutschland Tradition: Der Erste Weltkrieg brachte die Spaltung der SPD. Mit der wachsenden Umwelt- und Friedensbewegung entstanden DIE GRÜNEN als neue Kraft im linken Milieu. Und die heftigen Auseinandersetzungen um die umstrittenen Sozialreformen der rot-grünen Bundesregierung führten erst zur Gründung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und später dann zur Gründung der heutigen Partei DIE LINKE als Zusammenschluss von WASG und einstiger PDS. Lafontaine selbst hatte dabei eine führende Rolle als Spalter auf der politischen Linken gespielt und spielt sie bis heute.

Die Lage der drei Parteien der politischen Linken im Bundestag ist nach der letzten Bundestagswahl prekär. Endete die Wahl 2013 noch mit einer rechnerischen Mehrheit von SPD, GRÜNEN und Linkspartei, die die Parteien oder zumindest deren entscheidendes Spitzenpersonal nicht zu nutzen bereit waren, so ist diese Mehrheit nach der Wahl 2017 in weite Ferne gerückt. Stattdessen macht sich eine deutliche Verschiebung der politischen Stimmungslage nach rechts bemerkbar. Zwar büßten auch CDU und CSU erheblich an Stimmen ein. Doch dafür konnte sich die 2013 noch für tot erklärte FDP über einen starken Wiedereinzug in den Bundestag freuen. Und in den wohl vor allem am Taktieren der FDP gescheiterten »Jamaika«-Verhandlungen versuchten die Liberalen unverhohlen manches Mal die CSU rechts zu überholen, für die einst das Motto galt: »Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben« (Franz Josef Strauß). Ganz zu schweigen vom alarmierenden Wahlergebnis der offen rechtspopulistischen und bis in ihre Führungsriege hinein rechtsradikalen AfD, die im Plenarsaal nun ganz rechts außen Platz genommen hat. Aus der rechnerisch linken Mehrheit von 2013 wurde mit der Bundestagswahl 2017 eine rechnerisch rechte Mehrheit. Hinzu kommt eine gravierende politische Diskursverschiebung in der politischen Öffentlichkeit, die CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schon zum Ruf nach einer »bürgerlich-konservativen Wende« verleiten ließ.

Dass auf die Spaltung meist eine mindestens vorübergehende Schwächung folgt, zeigt auch die letzte Spaltung, geht doch der Trend der Partei DIE LINKE in den letzten Jahren eher nach unten als nach oben. Hinzu kommen etliche von den Beteiligten selbst immer wieder neu angefachte Konflikte, die eine Zusammenarbeit eher erschweren als wahrscheinlicher machen.

Nichtsdestotrotz gibt es unermüdliche Vorkämpfer/innen und Vordenker/innen, die nach Gemeinsamkeiten statt Trennendem suchen. Wie diese Versuche auch immer heißen – es geht nur langsam und beschwerlich voran und jedem Hoffnungsschimmer folgt meist schnell ein Rückschlag. Dies belegen auch die erstmals von einer breiteren Öffentlichkeit verfolgten Treffen von Abgeordneten der drei Parteien im Vorfeld der Bundestagswahl 2017. Ihnen folgte der Realitätsschock des Wahlergebnisses am 24. September.

Auch im Fall einer neuen Sammlungsbewegung ist zunächst einmal mit einer weiteren Schwächung der Linken zu rechnen. Wie sollen Koalitionsbildungen in einer weiter zersplitterten Linken wahrscheinlicher werden, wenn schon die aktuelle Existenz von drei Parteien, allen Bemühungen einiger zum Trotz, mehr Dissens als Einigkeit hervorruft? Das im Übrigen, obwohl die SPD schon nach der Bundestagswahl 2013 beschlossen hat, Regierungsbildungen mit der Partei DIE LINKE nicht mehr kategorisch auszuschließen. Nur macht sich dieser Beschluss angesichts der mehrheitlichen Abwehrrhetorik aus der Parteispitze bisher nicht bemerkbar. Das Erstarken des Realo-Flügels bei den GRÜNEN, der sich für Bündnisoptionen mit der Union ausspricht, lässt Hoffnungen auf ein Linksbündnis ebenfalls kaum wachsen. Hinzu kommt die expressive Abgrenzungsrhetorik der Partei DIE LINKE gegenüber der SPD, allen voran von Wagenknecht und Lafontaine.

Ist ein mehrheitsfähiges Bündnis auf der Linken also auf lange Sicht illusorisch? Wie sich Wähler/innen in Wahlen positionieren, lässt sich schwer voraussagen und nicht mit einem einfachen Rezept beeinflussen. Umfragewerte ließen Anfang 2017 eine linke Mehrheit im Bundestag durchaus in erreichbare Nähe rücken. Heute sieht das ganz anders aus. Doch die Parteien, die für ein solches Bündnis gebraucht würden, könnten ihren Teil dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit oder zumindest theoretische Machbarkeit eines solchen Bündnisses mit Gestaltungsanspruch in Regierungsverantwortung zu steigern. Für die SPD könnte eine Alternative zur dauerhaften Juniorrolle in der GroKo gar zur Überlebensversicherung werden.

Zuallererst muss es aber darum gehen, jede weitere Spaltung zu verhindern, und in den bestehenden Parteien die Voraussetzungen für mögliche Bündnisse zu schaffen, anstatt auf neue, womöglich konkurrierende Organisationen zu setzen. Die Protagonist/innen der Sammlungsbewegungsforderung scheinen als zentrale Akteur/innen eines realisierbaren Bündnisses kaum infrage zu kommen. Zu viel Porzellan haben sie im hochsensiblen Mit- und Gegeneinander der Parteien zerschlagen.

Verbale Abrüstung in der Diskussion über Sinn und Unsinn einer linken Regierungsmehrheit ist daher die zweite Notwendigkeit – und das auf allen Seiten. Für die SPD heißt das, den gültigen Parteitagsbeschluss ernst zu nehmen und Schluss zu machen mit der ewigen »Ausschließeritis« und den Mut zu beweisen, eine Koalition mit den GRÜNEN und der Partei DIE LINKE auch offensiv als erstrebenswert zu verteidigen. Für DIE GRÜNEN und DIE LINKE gilt es, den so oft erhobenen moralischen Zeigefinger in Richtung SPD einzupacken. Mehr Empathie für die Positionen und die Situation der anderen ist auf allen Seiten notwendig.

Besonders für die SPD gibt es viel zu tun, will sie künftig um eine denkbare Mehrheitsoption reicher sein. Dies liegt an dreierlei: Erstens ist die SPD – sieht man von einigen Landtagswahlen ab – die stärkste der Parteien auf der Linken. Zweitens tut sie sich zumindest in ihrer Parteispitze bislang auffallend schwer, unaufgeregt und ohne Furcht vor »Rote-Socken«-Kampagnen der Union mit der Möglichkeit eines linken Bündnisses umzugehen. Drittens hat ihr das Wahlergebnis von 2017 einen so heftigen Schlag versetzt, dass die seit den Auseinandersetzungen um die Agenda-Politik notorisch in der Gunst der Wähler/innen schwächelnde und mit sich selbst ringende Partei an einem historischen Tiefpunkt angekommen zu sein scheint.

Drei Dinge stehen daher auf der Aufgabenliste der SPD, will sie linke Mehrheiten künftig ermöglichen: Die seit dem Wahldebakel vielbeschworene Erneuerung der Partei muss beherzt vorangetrieben werden. Sie bezieht sich auf drei Dimensionen: Die organisatorische Erneuerung, die personelle und – dies allen voran – die inhaltliche. Das Schlagwort der organisatorischen Erneuerung der SPD lautet: »Basis statt Basta«. Die Partei muss wieder grundsätzlich Positionen diskutieren und zwar in ihrer ganzen Breite. Die Zeiten der von oben verordneten und mit viel Kraftaufwand durchgedrückten Kursvorgaben müssen vorbei sein. Dazu gehört eine stärkere Mitgliederbeteiligung sowie eine Öffnung für Beiträge von außen, z. B. aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kultur. Auch die Schlagworte der personellen Erneuerung sind vielzitiert und bekannt: Die SPD muss auf allen Ebenen jünger und weiblicher werden, will sie für breite Teile der Gesellschaft wieder attraktiv und damit wählbar werden. Bei der inhaltlichen Erneuerung muss es ebenfalls um dreierlei gehen: Die Partei muss sich als echte Alternative zur Union profilieren und sich in ihren Positionen stärker von dieser abgrenzen. Aktuelle Debatten um den Umgang mit Flucht und Asyl deuten eher darauf hin, dass der Kurs auf Annäherung statt Abgrenzung steht. Dabei muss die Partei dringend ihr eigenes Programm unmissverständlicher formulieren, ohne immer gleich mögliche Kompromisslinien selbst vorzugeben. Dazu gehört auch der Mut, eigene Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und einmal eingenommene Positionen ehrlich zu hinterfragen. Mit Blick auf die thematische Landkarte müssen Fragen der Nachhaltigkeit, des Umwelt- und Klimaschutzes, eines humanitären Umgangs mit Flucht und Migration und das einstige Herzensanliegen Willy Brandts, das Nord-Süd-Gefälle, wieder stärker beachtet werden. Dabei soll der klare programmatische Schwerpunkt auf der Verbesserung sozialer und ökonomischer Verhältnisse der breiten Masse der Bevölkerung liegen.

Diese Profilschärfung wird jedoch nur gelingen, wenn die SPD, zweitens, die Chance nutzt, die darin liegt, dass sie von einer Vorsitzenden geführt wird, die nicht als Ministerin in die Kabinettsdisziplin der GroKo eingebunden ist, sondern als Fraktionsvorsitzende auch noch über ein starkes Pfund im Ringen um Kompromisse in der Regierung verfügt, nämlich 153 Stimmen, die für die Mehrheit im Parlament gebraucht werden. Daraus muss die Partei etwas machen, und zwar im Sinne eigenständiger Profilierung anstatt nur geräuschloser Sicherung der Zustimmung zum Regierungshandeln.

Drittens muss die SPD den Dialog mit den GRÜNEN und der Linkspartei intensivieren. Die jahrelange Arbeit der weitestgehend im Verborgenen agierenden Initiativen bietet gute Grundlagen, das Ausloten von Gemeinsamkeiten und das gemeinsame Bearbeiten von Konfliktfeldern zwischen den Parteien auf ein bedeutenderes Fundament zu stellen. Hier geht es um harte inhaltliche und atmosphärische Arbeit, wenn am Ende belastbare Ergebnisse stehen sollen.

Wer der weiteren Spaltung der Linken das Wort redet, zeigt kein ernst zu nehmendes Interesse an der Schaffung von Mehrheitsoptionen der linken Mitte und links der Mitte. Im Gegenteil: Diese Gedankenspiele lassen Mehrheiten jenseits der Union unwahrscheinlicher werden. Doch die Zeit ist gekommen, endlich ernsthaft, mutig und sachlich die Arbeit für eine echte linke Machtoption aufzunehmen. Das Erstarken der Rechten ist das wohl stärkste Argument hierfür.

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