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Die AfD und ihre Wählerschaft

Die AfD lässt sich durch die übliche Charakterisierung als rechtspopulistisch im Parteiensystem nicht adäquat verorten. Davon abgesehen, dass es immer noch keine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Definition von Rechtspopulismus gibt, kann die Bandbreite politisch-ideologischer Positionen der Partei nur erfasst werden, wenn man die AfD auf den beiden zentralen Konfliktlinien verortet, die den deutschen Parteienwettbewerb prägen. Zum einen dem wirtschafts- und sozialpolitischen Sozialstaatskonflikt zwischen marktliberalen, an Leistungsgerechtigkeit ausgerichteten, und staatsinterventionistischen, an sozialer Gerechtigkeit im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit ausgerichteten Wertvorstellungen zur Rolle des Staates im wirtschaftlichen Wettbewerb und zum anderen dem gesellschaftspolitischen Konflikt zwischen progressiv-libertären und konservativ-autoritären Wertorientierungen in Bezug auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die Position der AfD im Sozialstaatskonflikt kann als marktliberal mit spezifischer sozialer Komponente gekennzeichnet werden. Generell geleitet von der Maxime des Grundsatzprogramms »je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle«, vertritt sie aber auch eine neue Konzeption von sozialer Gerechtigkeit. Diese verbindet – im Gegensatz zu der traditionellen, mit dem Fokus auf der Antagonie »unten vs. oben« in Verteilungsfragen allein auf den Sozialstaatskonflikt bezogenen Konzeption – durch den Fokus auf den Gegensatz »drinnen vs. draußen«, also Einheimische vs. Flüchtlinge, die ökonomische mit der gesellschaftspolitischen Konfliktlinie, d. h. vor allem mit sozio-kulturellen Bedrohungsszenarien. Im gesellschaftspolitischen Bereich kann die AfD als nationalkonservative Partei mit Brücken zum Rechtsextremismus hin gekennzeichnet werden, wobei das rechtsextremistische Einstellungsmuster den äußersten »rechten« Rand der gesellschaftspolitischen Konfliktlinie bildet. Programmatisch zeigt sich der Primat des Nationalen schon in der Präambel des Grundsatzprogramms – wir wollen »Deutsche sein und bleiben« – und setzt sich in der Position zur EU fort. Konservative Wertvorstellungen durchziehen viele gesellschaftspolitische Positionen und werden etwa an der Law and Order-Orientierung im Bereich der inneren Sicherheit sowie im Familien- und Frauenbild deutlich. Die Brücken zum Rechtsextremismus zeigen sich in den Positionen zur deutschen Kultur, Sprache und Identität, zum Islam und zur Flüchtlingspolitik, deren Tenor zum Teil als völkisch-nationalistisch und fremdenfeindlich mit rassistischen Untertönen gewertet werden kann. Verstärkt werden diese Brücken durch das Agieren von Vertretern des äußersten rechten Rands der Partei.

Alleinstellungsmerkmal: Gegnerschaft zur offiziellen Flüchtlingspolitik

Diese Bandbreite ideologisch-programmatischer Positionen erlaubt ihr, unterschiedliche Segmente der Wählerschaft anzusprechen. So ist z. B. die Tatsache, dass sie in drei der vier Landtagswahlen des Jahres 2016 bei den Arbeitern zur stärksten Partei wurde, wohl wesentlich auf ihre spezifische Konzeption von sozialer Gerechtigkeit zurückzuführen. Hinzu kommt, dass sie in Bezug auf die Flüchtlingsthematik im Parteiensystem ein Alleinstellungsmerkmal hatte, was zu ihrem raschen Aufstieg seit dem Herbst 2015 wesentlich beitrug: Gegner der Flüchtlingspolitik Angela Merkels, die diese Thematik in den Mittelpunkt ihrer Wahlentscheidung stellten, konnten nicht wie sonst üblich die Oppositionsparteien wählen, weil die auf der gleichen Seite standen. Von Bayern mit der CSU abgesehen, hatte diese Gruppe somit nur zwei Alternativen: aus Frust zu Hause bleiben, was sie – wie die überall deutlich gestiegene Wahlbeteiligung ausweist – nicht taten, oder aus Protest die AfD wählen. Die Partei zieht daher – in einem im Vergleich zu den anderen Parteien etwa doppelt so hohen Maße – neben Überzeugungswählern auch sogenannte Protestwähler an, die die AfD wählen, um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Mittlerweile ist sie auch über die Flüchtlingsthematik hinaus zu einem Sammelbecken von generellem Protest gegen die etablierten Parteien geworden, von denen ein Teil der Wähler sich mit seinen Interessen und Sorgen nicht mehr vertreten bzw. wahrgenommen fühlt.

Dies alles erklärt, warum die AfD ihre Wählerinnen und Wähler aus so unterschiedlichen Quellen rekrutiert: Sie mobilisiert zunächst in hohem Maße frühere Nichtwähler und bisherige Wähler der Kleinstparteien, zieht aber auch von allen anderen Parteien Wähler ab. Dabei ist die gängige These, dass sie vor allem der Union schadet, noch nicht einmal dann vollständig richtig, wenn man sich auf die absoluten Stimmenzahlen bezieht. Will man aber wirklich abschätzen, wie stark die AfD den anderen Parteien schadet, muss man für jede Wahl berechnen, wie viel Prozent der bisherigen Wählerschaft einer Partei zur AfD gewechselt sind. Bei den zehn Landtagswahlen, an denen die AfD bisher teilgenommen hat, waren das im Durchschnitt 10 % der FDP-Wählerschaft, 9 % der LINKEN-Wähler, 8 % der Unionswähler, 5 % der SPD-Wähler und 3 % der GRÜNEN-Wähler.

Beim Umgang mit der Wählerschaft der AfD sollte man deren soziale und politisch-ideologische Heterogenität berücksichtigen. Statt Nichtbeachtung oder pauschaler Ausgrenzung und Stigmatisierung, die schon immer zu einer stärkeren Solidarisierung der Ausgegrenzten geführt haben, sollte man daher auf inhaltliche Auseinandersetzung setzen. Das ist mitunter schwierig und man wird damit nur einen Teil der AfD-Wählerschaft erreichen können. Wenn man diesen Teil aber zurückgewinnen will, führt kein Weg daran vorbei, aufzuzeigen, wo die AfD falsch liegt bzw. wo sie keine Problemlösungen anbietet und warum die eigenen Argumente und Positionen die besseren sind. Zu dieser Auseinandersetzung gehört aber auch, darüber nachzudenken, welche eigenen Fehler man gemacht hat. So ist z. B. die starke Polarisierung der Gesellschaft in Bezug auf die Flüchtlingspolitik nicht nur auf die »Spalter« in der AfD zurückzuführen, sondern auch auf viele der »Anständigen«, die im Gefühl der moralischen Überlegenheit im Herbst 2015 jegliche, auch sich später als berechtigt herausstellende kritische Äußerung zur Flüchtlingsfrage in die »rechte Ecke« und damit an den Pranger stellten. Für beide Seiten gilt: Wer im öffentlichen Diskurs ein Monopol der eigenen Überzeugungen durchsetzen will und damit den Eindruck von Indoktrination und Bevormundung erzeugt, stärkt die Gegenseite und treibt damit die Polarisierung voran. Stattdessen sollte der gesellschaftliche Dialog intensiviert werden.

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