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Briefbände von Peter Huchel und Christa Wolf Die DDR auf dem Buckel

»Wie oft und wie lange sollen wir denn noch so tun, als wäre es das Normalste von der Welt, von hinten eine ins Genick zu kriegen und vorne weiter druckreife Statements abzugeben?« fragt Christa Wolf im Herbst 1985 in einem Brief und sagt weiter: »Also nein, ich kann es nicht!« Die Erfahrung, »von hinten eine ins Genick zu kriegen«, haben außer ihr auch unzählige andere Autoren in der DDR gemacht. Das mündete mitunter, wie 20 Jahre vorher bei Peter Huchel, in fast schon lebensbedrohliche Situationen. Beide gehören zu den bedeutendsten Autoren in der Nachkriegszeit, nicht nur in der DDR, sondern im ganzen deutschen Sprachraum.

Christa Wolf (1929–2011) war eine überaus fleißige Briefschreiberin; die Briefwechsel mit Anna Seghers, Charlotte Wolff, Franz Fühmann und Brigitte Reimann liegen in Einzelausgaben vor. Aber noch immer gibt es ungehobene Schätze; allein bei der Akademie der Künste in Berlin etwa 15.000 Briefe; aus ihnen hat die, nur namensverwandte, Leiterin des dortigen Literaturarchivs Sabine Wolf 463 Briefe ausgewählt – immer noch viel zu wenige, und doch bezeugt die über 1.000 Seiten umfassende und sensibel getroffene Auswahl ein von Erfolgen und Krisen, Hoffnungen und Enttäuschungen geprägtes Schriftstellerleben. Man liest hier ausschließlich Briefe Christa Wolfs, die nicht selten den Wunsch wecken, auch die Gegenstimme zu hören, aber dann wäre die Edition wohl zu umfangreich geworden.

Der Band beginnt mit einem forschen Schreiben an das SED-Organ Neues Deutschland, worin sich die 23-jährige Germanistikstudentin als Literaturkritikerin anbietet. Unverkennbar ist für das erste Jahrzehnt ihre mit anderen Intellektuellen geteilte Hoffnung auf ein besseres, sozialistisch geprägtes Deutschland. Der große Erfolg der Erzählung Der geteilte Himmel von 1963 bestärkt sie in ihrer Arbeit als freie Autorin. Weitere Erfolge bleiben nicht aus, gleichzeitig wächst das Misstrauen der SED-Kulturgewaltigen. Christa Wolf ist Mitglied der SED (erst im Sommer 1989 verlässt sie die Partei), einige Zeit Kandidatin des Zentralkomitees, aus dem sie aber nach einer mutigen Gegenrede gegen die Kulturpolitik der Partei ausscheidet. 1976 gehört sie zu den Unterzeichnern der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, was eine Quasi-Ächtung zur Folge hat (»meine Bekanntheit im Westen ist mein einziger Schutz hier«, heißt es in einem nicht abgeschickten Brief an Raissa Kopelew).

Unter ihren Briefpartnern sind viele bekannte Schriftsteller – nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz (hier ist Max Frisch ihr wichtigster Briefpartner) und in Österreich, daneben Wissenschaftler, Bibliothekare und Ärzte (bei letzteren sucht sie Rat und Hilfe auch wegen eigener Leiden). Für manche, etwa für die junge Gerti Tetzner oder für ihre krebskranke Freundin Brigitte Reimann, wird sie mitunter selbst zur Therapeutin, wie überhaupt die große Anteilnahme, die sie fast alle Gegenüber spüren lässt, am stärksten berührt. Mit Günter Grass entwickelt sich ein fast symbiotisches Verhältnis in der Abwehr herabwürdigender Kritiken, zumal nach der Wende.

Politische Selbstbindung

Der Briefwechsel spiegelt stets das Auf und Ab der Autorin im literarischen Leben. Trotz häufiger Bedrängnis will sie sich nicht wegducken: »Ich brauche andauernd Teilnahme an der Welt, um das schon Erlebte aktiv zu halten«, schreibt sie 1976 an Max Frisch. Aber der Versuch, standzuhalten, wird zuweilen zur Bürde: »Immer erlebe ich, wie ich die ganze DDR auf dem Buckel mitschleppe. Soll man das nun bis ans Lebensende aushalten? Muss man wohl (…)«. Während der Biermann-Affäre keimt zuweilen auch bei ihr der Gedanke, das Land zu verlassen, aber vor diesem Schritt schreckt sie zurück: »drüben, in der Traum-Leere, würde ich mein Thema verlieren; ich bin zu alt, um ein neues zu gewinnen«. Der Leser begreift das Gewicht dieser Entscheidung und versteht auch besser die Manöver, mit denen Christa Wolf, Repräsentantin und Opponentin in einer Person, ihr auszuweichen versuchte.

Auch der Lyriker und Essayist Peter Huchel (1903–1981) hat in der zentralen Phase seines Lebens die DDR »auf dem Buckel« mitgeschleppt. Er machte sich bereits gegen Ende der Weimarer Republik mit Gedichten einen Namen, hielt sich in der Zeit des Nationalsozialismus mit Rundfunkarbeiten über Wasser, ging nach der Kriegsgefangenschaft in die Sowjetische Besatzungszone, in der er anfangs für den Rundfunk tätig war und 1948 die von Johannes R. Becher gegründete Zeitschrift Sinn und Form übernahm. Er machte sie nach dem einhelligen Urteil damaliger wie heutiger Kritiker zur besten Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum, deren Texte ein einzigartiges Panorama künstlerischen Denkens widerspiegelten.

Auch Huchel geriet schon früh in Kollision mit der starren SED-Kulturpolitik. Schon 1953 wollte man ihn loswerden, was Bertolt Brecht zu verhindern wusste. Nach dem Mauerbau nahm das Regime keine Rücksicht mehr; Huchel wurde 1962 entlassen und lebte in den folgenden Jahren in bitterer Isolation: »Persönliche Unfreiheit, eine permanente Isolation, beständige Reiseverbote, Verbreitung bewusst positiv umgefälschter Nachrichten über mich und meine durchaus prekäre wirtschaftliche Situation«, heißt es in einem seiner Briefe. Anfang 1971, als die DDR den Vereinten Nationen beitrat und zu internationaler Anerkennung fand, passten solche Repressionen nicht mehr. Huchel durfte ausreisen und lebte bis zu seinem Tod 1981 in der Bundesrepublik, überhäuft mit Preisen und Anerkennungen.

Der Suhrkamp Verlag hat jetzt einen Band mit Briefen von und an Huchel neu aufgelegt: 366 Schreiben, ausgewählt von dem niederländischen Literaturwissenschaftler Hub Nijssen. Aus den Jahren bis 1945 sind es rund 50 Briefe, etwa 250 umfassen die DDR-Zeit, rund 100 Briefe das letzte Jahrzehnt nach der Ausreise.

Huchel war seinen Lesern und Autoren als Lyriker, Essayist und Redakteur präsent. Die Mitarbeiter der Zeitschrift zollten gern auch dem Lyriker ihre Reverenz: »Glückwunsch! Das gedrungene Feuer Deiner großen Lyrik wird nun denen, die es durch Zufall nicht sehen konnten, sichtbar«, schrieb Ernst Bloch im Oktober 1951 aus Leipzig. Nelly Sachs schrieb schon im Jahr zuvor aus Stockholm: »Ich habe Ihre schönen Gedichte nicht vergessen und die Tiefe und Echtheit, die mich erschütterte.« Walter Jens gratulierte 1958 aus Tübingen: »Das letzte Heft ist wieder großartig. So hat marxistische Literaturkritik auch für uns im Westen Überzeugungskraft.«

Huchel hielt sich als Redakteur von Sinn und Form nicht nur an die großen Namen; unermüdlich hat er sich für junge Autoren eingesetzt. So taucht bereits 1956 der Name Johannes Bobrowski auf, dessen erste Gedichte Huchel in seiner Zeitschrift druckte. Andererseits konnte er bei Autoren oder Texten, die ihm nicht gefielen, durchaus bissig werden. Über den im Westen hochgeschätzten Gottfried Benn schrieb er 1953 an Ernst Bloch: »Die Lektüre der Erzeugnisse dieses Dunkelmanns auf philosophischem Sektor erfordert keine lange Zeit.«

Beide Briefbände rufen eine lange Phase deutsch-deutscher Literaturgeschichte in Erinnerung. Man liest sie mit wachsender Anteilnahme, konfrontiert mit sehr unterschiedlichen Temperamenten. Christa Wolf lässt nicht selten ihren Emotionen freien Lauf, bekundet Zweifel, Hoffnungen und Ängste, lässt die Briefpartner ihre Freundschaft und Verbundenheit spüren. Peter Huchel ist ungleich verhaltener, weniger mitteilsam, schreibt über sich auch in schwerer Zeit nur zögernd. Umso beeindruckender seine Anteilnahme an bedrängten Kollegen wie Hans Henny Jahnn oder auch der jungen Christa Reinig. Ein besonderes Lob gebührt den Herausgebern der beiden Bände für ihre akribischen Anmerkungen sowie die informativen Einführungen und Nachworte.

Peter Huchel: Wie soll man da Gedichte schreiben. Briefe 1925–1977. Suhrkamp, Berlin 2017, 534 S., 26 €. – Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952–2011. Suhrkamp, Berlin 2016, 1.040 S., 38 €.

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