Menü

Clubkultur im Lockdown-Modus Die Ersten werden die Letzten sein

COVID-19 hat in kürzester Zeit zu einer Umwertung innerhalb der popkulturellen und massenmedialen Ikonografie geführt: Die ausgelassen feiernde Menschenmenge, einst Ornament und Sinnbild der sich an sich selbst berauschenden Spaß- und Erlebnisgesellschaft, hat sich im Zeichen der Pandemie in ein Schreckensszenario verwandelt. Die wogende crowd, sei’s im Stadion oder auf der Tanzfläche, steht nicht mehr für kollektive Lebensfreude, sondern für folgenreichen Kontrollverlust. Die ersten Corona-Hotspots im deutschsprachigen Raum waren Partylocations: ein Après-Ski-Gelage im österreichischen Ischgl und der Karneval im Rheinland. In Berlin, einem internationalen Zentrum elektronischer Tanzmusik, waren Mitte März etwa ein Sechstel aller Infektionen auf Clubbesuche zurückzuführen. Für Kulturstaatsministerin Monika Grütters stand schon im Juni außer Frage, dass die ersten dieser Virenmutterschiffe, die im Frühjahr schließen mussten, auch die letzten sein werden, die irgendwann wieder öffnen dürfen – sofern sie dann noch existieren.

Wer Clubs von innen kennt, wird leicht nachvollziehen können, dass diese Form des gemeinschaftlichen Feierns allem widerspricht, was derzeit ratsam erscheint. Die Clubkultur verkörpert im Reigen der von der Pandemie betroffenen Kultursparten den denkbar größten Widerspruch zum social distancing, dem Gebot der Stunde. Bei dem, was hier normalerweise stattfindet, kann die Einhaltung von Mindestabständen nicht garantiert werden, ebenso wenig wie es virtuell nachgebildet werden kann. Clubs sind analoge Räume der Körperlichkeit, die Nähe voraussetzt. Je geringer der Mindestabstand, umso besser die Atmosphäre und umso dichter die Aerosole. Club-Events basieren auf ganzheitlichen, die Dichotomie von Geist und Körper auflösenden Erlebniskonzepten, bei denen die Partizipation an einem hier und jetzt gemeinschaftlich hervorgebrachten, temporären Ereignis maßgeblich ist. Der Erlebniskern besteht aus der rauschhaft gesteigerten Erfahrung eines als bedeutsam empfundenen Ausnahmezustands, der sich rigoros vom Alltag unterscheidet und unter Hygieneauflagen nicht herzustellen ist.

Am 13. März wurde das gesamte Berliner Nachtleben behördlich stillgelegt. Dennoch musste es nach dem Lockdown irgendwie weitergehen. Die Clubkultur ist eine kulturelle Formation, die neben der ästhetischen und sozialen auch eine handfeste ökonomische Dimension aufweist. Der maßgebliche Impuls zur Gründung eines Clubs besteht meist darin, etwas zusammen zu machen, mit Gleichgesinnten zu teilen und sich in einem ergebnisoffenen, kollaborativen Prozess weiterzuentwickeln. Die Umsätze dienen im Normalfall dazu, die Kosten zu decken. Darüber hinaus sind Clubs aber oftmals auch Bestandteile ökonomischer Verwertungsketten innerhalb der Szene- und Kreativwirtschaft (Booking- und Werbeagenturen, Plattenlabels etc.) sowie Katalysatoren mit Auswirkungen auf die Gastronomie und die Tourismusbranche. Laut einer Erhebung der Clubcommission, des 2001 gegründeten »Verbands der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter e. V.« mit über 300 Mitgliedern, beliefen sich die induzierten ökonomischen Effekte durch Touristen, die vor allem wegen der einzigartig vielfältigen, dynamischen Clubszene in die Stadt kommen, im Jahr 2017 auf knapp 1,5 Milliarden Euro. Nur rund 170 Millionen blieben davon in den Clubs.

Die Frage nach Möglichkeiten der Existenzsicherung unter schwieriger werdenden Rahmenbedingungen stellt sich für Clubbetreiber in der deutschen Partyhauptstadt bereits seit Jahren. Im Zuge der städtebaulichen Verdichtung sind in den zentralen Bezirken immer mehr Brachen und Leerstände verschwunden. Freiräume wie in den 90er Jahren sind heute kaum noch zu finden, geschweige denn zu bezahlen. Die Coronakrise hat das bereits bestehende Problem der Verdrängung von Safe Spaces für Menschen, die nicht unbedingt den gängigen Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft entsprechen, in einer wachsenden, enger werdenden und zunehmend gentrifizierten Stadt erheblich potenziert. Es geht jetzt buchstäblich ums Überleben.

Nach anfänglichen Versuchen, den Clubbetrieb durch bauliche Infektionsschutzmaßnahmen, Kontaktdatenspeicherung und reduzierte Gästezahlen aufrecht zu erhalten, sind die Einnahmen mit dem Lockdown komplett eingebrochen. Feiern in der Pandemie, das hat auch der szeneaffine Berliner Kultursenator Klaus Lederer zu Protokoll gegeben, sei »mit einem sicheren Club-Betrieb nicht vereinbar«. Für die meisten Clubs wäre ein Öffnen mit geringer Auslastung und zugleich hohen Anforderungen an Sicherheits- und Hygienekonzepte ohnehin eine Verlustrechnung. Stattdessen ist man begünstigt durch die warme Jahreszeit in Berlin und anderenorts dazu übergegangen, Clubveranstaltungen unter freiem Himmel durchzuführen. Viele Clubs verfügen über Außenbereiche, deren Bespielung zumindest bis zum Ende der Open Air-Saison einen kleinen Teil der Einnahmeeinbußen kompensieren konnte.

Anders als bei unkontrollierten Partys im öffentlichen Stadtraum, bei denen Abstands- und Maskenregeln außer Kraft gesetzt waren, ist das Konzept des »verantwortungsvollen Feierns« auf diesen provisorischen Freiflächen nach Aussagen der Betreiber weitgehend aufgegangen. Regel- und Kontextbewusstsein sind in der Clubszene ohnehin stark ausgeprägt. Die Innenräume wurden unterdessen vielerorts in temporäre Kunsträume umfunktioniert. Prominentestes Beispiel ist das »Berghain«, in dem seit Anfang September aktuelle Werke von 85 Berliner Künstlern aus der Sammlung Boros ausgestellt sind. In der »Wilden Renate« vermitteln 40 Performancekünstler eine »immersive Kunsterfahrung« der Welt nach Corona. Finanziell bringt das alles nicht viel, aber darum geht es nicht vorrangig. Das Ziel solcher Aktionen besteht darin, die nicht minder existenzbedrohte Kunstszene zu unterstützen, den verwaisten Clubräumen wieder Leben einzuhauchen und den Kontakt zur eigenen Klientel nicht abreißen zu lassen. Die Clubcommission und das Netzwerk Reclaim Club Culture haben Mitte März den Dienst »United We Stream« ins Leben gerufen, über den mehrstündige DJ-Auftritte aus leeren Clubs, aber auch Gesprächsrunden, Vorträge und Filme zu clubkulturellen Themen ins Internet übertragen und sehr erfolgreich Spenden gesammelt werden konnten.

Beispiele wie diese verweisen auf ein hohes Maß an Solidarität innerhalb der Clubszene, die sich auch bei Crowdfunding-Aktionen der Berliner Clubs »://about blank« oder »Schwuz« gezeigt hat. Ohne diesen Support durch ihr Publikum wären diverse Clubs schon im Mai am Ende gewesen. Solche Maßnahmen konnten aber allenfalls kurzfristig helfen. »Wenn wir ehrlich sind, sind wir eigentlich alle insolvent, zumindest die meisten von uns, weil wir keine Rücklagen haben«, sagte Pamela Schobeß, Betreiberin des »Gretchen« und Vorsitzende der Clubcommission, Mitte Juli im rbb. »Einige haben Kredite beantragt, obwohl sie jetzt schon im Grunde gar nicht wissen, wie sie sie zurückzahlen sollen.«

In der Diskussion um die Perspektiven der Clubkulturlandschaften in Berlin und anderswo stehen sich derzeit zwei grundsätzliche Positionen gegenüber, die an den politischen Richtungsstreit zwischen »Fundis« und »Realos« erinnern: die einen besinnen sich auf die Ursprünge der Clubkultur als Gegenmodell staatlicher Reglementierungen und bauen auf die Selbstheilungskräfte einer sich in der Krise transformierenden Kreativszene. »Wenn Leute tanzen wollen«, so etwa DJ WestBam, werde es immer jemanden geben, der irgendwo zwei Boxen hinstelle, »und dann geht’s los«. Es sei »nicht verkehrt, wenn es mal wieder zu diesem Punkt kommt«. WestBam ist »nicht bang um die Kultur«, er hat allerdings auch weit weniger zu verlieren als Clubbetreiber oder Veranstalter mit eigenen Lokalitäten und Verantwortung für Personal. Aus deren Sicht gibt es in der gegenwärtigen Situation nur die Hoffnung auf Finanzhilfen durch den Staat und die Länder.

Bis Juli dieses Jahres hat es fünf Soforthilfeprogramme des Berliner Senats für die bedrohte Clubszene mit ihren rund 9.000 Beschäftigten gegeben, bei denen im Durchschnitt 30.600 Euro pro Club beantragt, aufgrund der Vergabekriterien aber nur durchschnittlich 19.015 Euro bewilligt wurden. Zahlreiche Clubs sind durchs Raster gefallen, weil sie zu wenige Mitarbeiter haben oder bereits Darlehen beantragt wurden. Der konkrete Bedarf eines Clubs ist je nach Lage, Größe, Mietbedingungen und Liquiditätsreserven sehr unterschiedlich. So belaufen sich die monatlichen Fixkosten bei einem Club wie dem »Gretchen« auf 15.000 Euro, während der »Tresor« 25.000 benötigt. Eine Umfrage der Clubcommission hat Mitte Juli ergeben, dass von den ca. 100 Clubs und über 300 (Live-)Musikspielstätten, die es zu diesem Zeitpunkt in Berlin gab, zwei Drittel akut von der Schließung bedroht waren und mit ihrer damaligen Liquidität noch bis maximal Mitte Oktober durchhalten würden. 16 % gaben an, dass ihre Rücklagen noch eine bis vier Wochen ausreichten.

Seriöse Prognosen sind vor diesem Hintergrund schwierig. Es gibt keinerlei Planungssicherheit. Dabei sind die Clubs in Berlin und Großstädten wie Hamburg oder Köln noch vergleichsweise gut dran. Außerhalb dieser urbanen Zentren gab es bislang überhaupt keine spezifische Förderung der Clubkultur. Dringend benötigt werden nachhaltige Konzepte zur Unterstützung der Clubszenen während der Pandemie und zu ihrer Wiederbelebung danach.

Es wäre schon viel geholfen, wenn Clubs endlich auch gesetzlich als »Kulturstätten« anerkannt würden, anstatt sie weiterhin auf eine Stufe mit »Vergnügungsstätten« wie Spielcasinos oder Bordellen zu stellen. Clubs sind kulturelle Institutionen, die vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte jugend-, sub- oder popkultureller Selbstverständigungs- und Ausdrucksformen entstanden sind. Sie nehmen oftmals die Gestalt von Kunsträumen an, in denen – meist in Zusammenarbeit mit Künstlern unterschiedlicher Sparten (bildende Kunst, Licht- und Videokunst, Performance, Architektur, Bühnenbild etc.) – vielschichtige temporäre Erlebnisangebote kreiert werden.

Anders als Lokalitäten, an denen aktuelle oder vergangene Hits lediglich abgespielt werden, verfügen Clubs in aller Regel über ein programmbezogenes Profil mit kuratorischem Anspruch. Das Spektrum reicht vom oft situationsbedingten Umformen oder Dekonstruieren bestimmter Techno- oder Dancehall-Sets bis zu Themenevents zwischen Fetisch und »Feiern mit politischer Haltung«. Clubs sind Impulsgeber und Kreativlabore, in denen neue Musikstile oder Auftrittsformen erprobt werden und von denen nachweislich starke Einflüsse auf sämtliche Kunstgattungen, auf Mode und Design, die Digital- oder die Musikwirtschaft ausgehen. Zugleich sind Clubs soziale Orte, an denen sich – je nach Türpolitik – temporäre Gemeinschaften bilden, aber auch über längere Zeiträume hinweg festere Communities im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion entstehen können. Das umfasst auch die Funktion von Clubs als Schutzräume für marginalisierte Gruppen etwa der LGBTQ-Szene, die für die Entwicklung der Clubkultur immer eine wichtige Rolle gespielt hat.

All diese Merkmale gehen weit über das Feiern zu lauter Musik hinaus. Mit einer differenzierteren Betrachtung dieser kulturellen Formation als eigenständigen Teilbereich der Kultur- und Kreativwirtschaft wäre nicht nur das Phänomen Clubkultur angemessen charakterisiert, es böten sich auch viel mehr Möglichkeiten, an Förderprogrammen zu partizipieren. Die Anzeichen mehren sich, dass die aktuelle Krise in dieser zentralen Frage zu einem Umdenken bei Politik und Verwaltung führen könnte.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben