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Gleichstellungspolitisches Engagement in Zeiten des Rechtspopulismus Die fetten Jahre sind vorbei

In den letzten Jahren sind einige wichtige gleichstellungspolitische Fortschritte erzielt worden, u. a. durch die Reform des Sexualstrafrechts, die Einführung der Quote für Aufsichtsräte, den Mindestlohn und die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende, auch wenn nicht jede dieser Maßnahmen ausdrücklich und explizit auf »mehr Geschlechtergerechtigkeit« gerichtet war. Diese Erfolge konnten durch die Regierungsbeteiligung der SPD vorangetrieben und umgesetzt werden. Zum Feiern ist vielen Sozialdemokrat/innen aktuell trotzdem nicht zumute. Abgesehen von den Turbulenzen rund um die Frage nach einer Regierungsbeteiligung ist zu Beginn des Jahres 2018 auch der Blick auf die Zukunft der Gleichstellungspolitik im Lichte der Zusammensetzung des 19. Bundestages getrübt: Mit der AfD ist eine ausgesprochen gleichstellungsfeindliche Partei in den Bundestag eingezogen.

Das Ergebnis der Bundestagswahl im letzten Herbst muss dabei nicht nur als Warnzeichen, sondern bereits als handfester Rückschritt mit Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter gewertet werden. Nun hat auch eine Entwicklung die deutsche Parteienlandschaft erreicht, die in vielen europäischen Ländern längst Realität ist. Die Auseinandersetzung mit einer rechtspopulistischen Partei wird künftig Regierung wie Opposition auf Trab halten. Inwieweit sich Debattenkultur und politische Inhalte im Bundestag verändern werden, lässt sich aktuell noch schwer einschätzen. Doch betrachtet man die Aussagen einzelner AfD-Mitglieder, aber auch die offiziellen Positionen der Partei, kann man zumindest in der Familien- und Gleichstellungspolitik recht gut erahnen, wohin die Reise geht. Als aktuell zu erwartende Oppositionsführerin wird die AfD dabei eine gute Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen und damit (nicht nur) gleichstellungspolitische Debatten zu prägen.

Im 19. Deutschen Bundestag sitzen 219 Frauen und 490 Männer. Damit sinkt der Frauenanteil auf rund 31 % und verringert sich im Vergleich zum vorhergehenden Parlament um mehr als fünf Prozentpunkte. Im internationalen Vergleich verliert Deutschland dadurch, zuvor noch auf Rang 23 liegend, ganze 20 Plätze und ordnet sich – weit am unteren Ende des oberen Viertels – auf Platz 43 ein (hinter Ländern wie Algerien und Tunesien). Soweit waren wir schon einmal 1998: Willkommen also zurück auf dem Niveau der 90er Jahre! Die gerade begonnene Legislaturperiode wirft somit von Beginn an gleichstellungspolitisch dunkle Schatten voraus und diese Entwicklung haben wir ganz wesentlich der AfD zu »verdanken«. Die Partei bildet mit zehn Frauen bei 92 Abgeordneten hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses klar das Schlusslicht im Fraktionen-Ranking und knüpft damit nahtlos an ihre familien- und gleichstellungspolitischen Positionen an. Auch wenn an der Parteispitze in den letzten Jahren durchaus Frauen prominent vertreten waren bzw. sind – etwa mit Frauke Petry, Beatrix von Storch und Alice Weidel –, so ist die AfD doch extrem männerdominiert. Aber auch bei Union und FDP ist die Partizipation von Frauen in den jeweiligen Fraktionen gering. Bei der Union fällt dieser Wert deutlich auf nunmehr unter 20 % (49 von 246 Abgeordneten) und auch die FDP-Fraktion bringt es bei 80 Abgeordneten auf nur 19 Frauen und folglich auf einen Anteil von unter einem Viertel.

Auch wenn die Parteien des linken Spektrums insgesamt besser abschneiden – die Linkspartei und DIE GRÜNEN stellen mehr Frauen als Männer –, ist auch bei der SPD noch etwas Luft nach oben: Bei 64 Frauen von insgesamt 153 Abgeordneten (41,8 %) fehlt noch ein ganzes Stück zur Parität. Eine starke SPD wird in dieser Repräsentationsfrage noch besser werden müssen, mit Frauen nicht nur in der zweiten Reihe, sondern auch am Ruder (mit Andrea Nahles als erster Parteivorsitzenden könnte nunmehr ein wichtiger symbolischer Schritt vollzogen werden). Eine Erkenntnis, die sich insbesondere vor dem Hintergrund gewinnen lässt, dass die Union bei der Bundestagswahl ganz wesentlich bei den Wählerinnen erfolgreich war: Laut Nachwahlbefragungen wählten 36 % der Frauen Angela Merkel und damit die CDU/CSU. Ob es sich dabei um einen reinen »Merkel-Effekt« handelt, wird sich vielleicht schon bei der nächsten Bundestagswahl zeigen. Wie dem auch sei: Künftig könnte sich hier für die SPD eine große Chance bieten. Dafür braucht es allerdings ein glaubwürdiges Profil, mit dem sich Frauen für die Sozialdemokratie gewinnen lassen. Sowohl als Wählerinnen als auch für die Wahllisten.

Diese Glaubwürdigkeit aufzubauen und zu verteidigen, darum wird es auch inhaltlich in dieser Legislaturperiode gehen. Dabei wird man sich darauf einstellen müssen, dass mit der AfD der reaktionäre Gegenwind mit Blick auf moderne Gleichstellungspolitik und den angeblichen »Genderwahn« (was auch immer das sein soll) stärker werden wird. Gleichstellungspolitische Instrumente wie die Frauenquote sind der AfD jedenfalls zuwider. Und auch die Debatten rund um das Infragestellen der Genderforschung zeigen, wie feindselig von rechter und rechtspopulistischer Seite gekämpft wird (und wie weit die absurden Positionen dabei zum Teil in der Mitte der Gesellschaft verfangen).

Es bleibt abzuwarten, inwiefern Teile der Union auf den Anti-Gender-Zug aufspringen. Wird man auch hier stellenweise versuchen, die »rechte Flanke« zu schließen? Die der CDU nahestehende Konrad-Adenauer-Stiftung scheint in ihrer Vertretung in Rheinland-Pfalz zumindest schon einmal mit dem Anti-Gender-Diskurs, der auch im Umfeld der verschleiernd als »Demo für Alle« titulierten Kampagne der Gendergegner gepflegt wird, auf Kuschelkurs zu gehen. Im Programm ist unter der Überschrift »Gender ist gegen die Familie gerichtet« immerhin die familienpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag vertreten. Untersuchungen der »Argumente« und Positionen der AfD im Bereich Familien- und Gleichstellungspolitik haben gezeigt, dass sich hier Schnittstellen zwischen den völkisch-nationalistischen und christlich-fundamentalistischen Flügeln der AfD finden. Vielleicht führt die Ablehnung von »Gender« und moderner Gleichstellungspolitik daher zukünftig auch zur inhaltlichen Annäherung zwischen AfD und erzkonservativen Teilen der Union im Bundestag. Erste Vorboten solcher Annäherungen zeigen sich auf Landesebene bereits bei anderen Themen: So fand ein Antrag der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt zur Untersuchung des »Linksextremismus« auch die Unterstützung einiger CDU-Abgeordneter. Für die progressiven linken Parteien gilt es in jedem Fall, diesen Anti-Gleichstellungstendenzen entschlossen entgegenzutreten. Dazu wird es einer starken Zusammenarbeit der Fraktionen, auch über Koalitions- und Oppositionsgrenzen hinweg, bedürfen.

Hört die Signale!

Dabei wurden gleichstellungspolitische Positionen auch in den sozialdemokratischen Reihen zuletzt verstärkt infrage gestellt. So lässt sich zumindest in Teilen die Kritik an der »Fokussierung auf Identitätspolitik der Linken« interpretieren, die angeblich zur Vernachlässigung von Fragen der sozialen Gerechtigkeit und ökonomischer Ungleichheit geführt hätte. Sicher gibt es viel begründeten Anlass zur Selbstkritik und auch die Frage nach der Vernachlässigung sozialer Gerechtigkeit muss gestellt werden – aber ein Ausspielen der beiden Bereiche gegeneinander ist der falsche Weg und gefährlich. Nur eine Rückbesinnung darauf, wo man herkommt, ohne die veränderten sozialen Realitäten in Rechnung zu stellen, wird sich für die Sozialdemokratie nicht auszahlen.

Auch vernahm man nach der Bundestagswahl vermehrt Stimmen, die die Fokussierung auf soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf für das schlechte Abschneiden der SPD verantwortlich machten. Dabei sollte man allerdings bedenken, dass mit dieser Schwerpunktsetzung der »Schulz-Hype« seinen Anfang nahm – vielmehr stellt sich die Frage, was im Laufe der Wochen und Monate auf der Strecke geblieben ist. Dass der Wahlkampf der SPD letztendlich nicht erfolgreich war, lässt sich einerseits mit der fehlenden Machtoption erklären. Andererseits ist es gleichzeitig auch eine Frage von Glaubwürdigkeit. Diese wiederum könnte zukünftig aus einer langfristigen programmatischen Ausrichtung resultieren.

Wir haben bereits an anderer Stelle argumentiert, dass vielen AfD-Wähler/innen – die zu großen Teilen angeben, aus Protest für diese Partei gestimmt zu haben – das Thema »soziale Gerechtigkeit« wichtig zu sein scheint. Ob es hierbei um eine abstrakte Enttäuschung geht, deren Ursachen auch in der geringen politischen Polarisierung in Deutschland zu suchen sind, oder ganz konkret um Alltagsbezüge und eigene Erfahrungen, ist schwer zu beurteilen. Klar ist jedoch auch: Wenn nur abstrakte und keine direkten Interessen potenzieller Wähler/innen angesprochen werden, reicht es am Ende nicht, um glaubhaft zu erklären, was man als Partei tatsächlich voranbringen möchte. Es wird beides brauchen: das Angebot einer klaren politischen Alternative und konkrete Lösungsansätze, um Vertrauen zurückzugewinnen. Dann wird man es auch schaffen – um auf die Frage nach dem Verhältnis von Identitätspolitik und sozialer Gerechtigkeit zurückzukommen –, Politik für alle Menschen zu gestalten, denen Chancengleichheit und echte soziale Gerechtigkeit wichtig sind.

Konkret werden kann eine Politik für diese Themen gerade auch in der Familien- und Gleichstellungspolitik. Problemlagen, denen sich sozialdemokratische Politik annehmen muss, liegen dabei zum Teil weiter auf der Hand: Armut – und zwar von Familien, Kindern und auch Frauen (gerade alleinerziehenden) sowie im Alter – ist zum Beispiel ein Thema, das durchweg in der Gesellschaft Empörung hervorruft. Die steigenden Mieten in den städtischen Räumen, die gerade für Familien immer mehr zum Problem werden, ein weiteres. Aber ebenso sind die Verfügbarkeit und die Qualität von Bildungsangeboten (auch im Sinne von Geschlechtergerechtigkeitsaspekten) sowie das Verhältnis von Zeit für Erwerbsarbeit, Familie und andere Interessen weitere wichtige politische Baustellen. In diesem Kontext werden auch Fragen der »Partnerschaftlichkeit« und die Konzentration auf (Arbeits-)Zeitpolitik weiterhin gute Ansatzpunkte sein, um an den Bedürfnissen und an der alltäglichen Lebensrealität von Frauen, Männern und Familien anzuknüpfen. Dabei muss aber gleichzeitig die Anschlussfähigkeit an eine Vielzahl von Lebensentwürfen gewährleistet werden, die mit unterschiedlichen Bedürfnissen einhergehen. Das ist sicher keine einfache Aufgabe, aber mehr tatsächliche Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich des Zusammenlebens in Familien oder Paarbeziehungen, im Alltag und im Berufsleben sind hier wichtige Ankerpunkte.

Konservative Parteien widmen sich diesem Bereich kaum oder lediglich auf familienpolitischer Ebene. Damit werden allerdings große Teile der Bevölkerung vernachlässigt. Wenn es darum geht, Selbstbestimmtheit und ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen und zu befördern, sind wir nah dran an dem, worum es bei Geschlechtergerechtigkeit geht. Unsicherheiten dürfen jedenfalls nicht in einer Retraditionalisierung von (vermeintlich sicheren) Rollenbildern resultieren. Hier gilt es ein klares positives Angebot zu unterbreiten, das Sicherheit in der Differenz bietet. Und wenn es in Zeiten der Digitalisierung ein etwas größerer Wurf sein darf: Wie wäre es dann vielleicht mal wieder mit einer Diskussion über allgemeine Arbeitszeitverkürzungen und flexiblere (nicht prekäre!) Arbeitsverhältnisse statt über ein bedingungsloses Grundeinkommen?

In diesem Artikel bringen die Autor/innen ihre persönliche Meinung zum Ausdruck.

 

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