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© Tianyi Ma/Unsplash

Rechtsextremismus in Büchern und im Internet Die große Umdeutung

Wer sich mit aktuellen Buchveröffentlichungen zum Thema Rechtsextremismus beschäftigt, erlebt, wie die Wirklichkeit alle Analysen und selbst Fiktionen überholt, denn das Internet ist weit schneller als das Buch – eine allgegenwärtige Bühne, auf der sich die Grenzen zwischen Worten und Taten auflösen.

Als die Staatsanwaltschaft Schwerin im Juni bekannt gab, dass Polizisten größere Mengen Munition entwendet und sie einem Kollegen überlassen hätten, der der »Prepper«-Szene angehöre, war freilich das Buch zum Thema schon gedruckt. In Berlin Prepper zeichnet Johannes Groschupf ein düsteres Stimmungsbild der deutschen Hauptstadt und ihrer Umgebung. Dass diese literarische Fiktion der Wirklichkeit so erschreckend nahekommt, liegt daran, dass sie auch abbildet, was sich im Netz zusammenbraut: »Gut so, wieder einer von diesem nutzlosen Gesindel weniger.« Ihr Protagonist Walter Noack nämlich arbeitet am Bildschirm. Er sortiert in einem Verlagshaus Hassmails aus, die dort zu Tausenden eingehen und finanziert damit sein Dasein als Prepper, was vom englischen Ausdruck »to be prepared« für »vorbereitet sein« abgeleitet ist. Prepper bereiten sich auf den Notfall vor, legen Essens- und Brennstoffvorräte an und horten bisweilen auch Waffen für einen Bürgerkrieg.

Noack selbst ist ein einzelgängerischer Aussteigertyp, gerät aber an einen militanten Waffenhehler, der ihm erklärt, Männer wie er hätten eine Mission: »Die Jungs da oben in Mecklenburg, die sind schon weiter. Die sind untereinander vernetzt bis in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz hinein, da sitzen ja auch noch vernünftige Leute. Dadurch haben sie Zugriff auf Daten und auf Waffen, von denen unsereins nur träumen kann. Die haben Einsatzpläne bis ins Detail ausgearbeitet, (…) haben sich schon die Schuppen ausgeguckt, wo sie die linken Bazillen, die Volksverräter unterbringen können, wenn dieses verbrecherische Regime gestürzt ist. Die Laster stehen bereit, mit denen man die Zecken aufsammeln, wegkarren und entsorgen kann. Bei der Truppe sind die Listen mit den betreffenden Personen und Adressen schon in Umlauf.«

Weltweite Netzwerke

Auch rhetorisch wird aufgerüstet. Enno Stahl beschreibt in seinem Buch Die Sprache der Neuen Rechten deren populistische Strategie, den öffentlichen »Konsensdiskurs« durch begriffliche Verschiebungen und Verfälschungen zu unterwandern. Noacks Gewährsmann liefert dafür ein anschauliches Beispiel und beruft sich beim Kampf gegen Einwanderung aufs Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4: »Alle Deutschen haben das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.« Auf dessen Einwand, dies gelte gegen jeden, der es unternehme, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, reagiert er mit einem triumphalen: »Sag ich doch. Was macht Merkel sonst? Die schafft unser Land ab, (…) da wird Widerstand zur Pflicht.« Das klingt schneidig, übersieht aber, dass dieser Widerstand sich im Rahmen der Verfassung zu bewegen hätte, was die erwähnten »Einsatzpläne« gerade nicht tun. Doch das Prinzip ist klar. Man reagiert auf Missliebiges, indem man sich selbst zu legitimieren sucht, kurzen Prozess zu machen.

Bereits in den ersten Berichten über das Massaker im texanischen El Paso vom 4. August fiel ein Stichwort, mit dem sich der Attentäter explizit auf den rechtsextremen Anschlag von Christchurch im März dieses Jahres bezog: »Great replacement«. Der Ausdruck »großer Austausch« (grand remplacement) geht auf einen Aufsatz des französischen Vordenkers der »Identitären Bewegung«, Renaud Camus, zurück, der unterstellte, »die Regierungen würden bewusst das eigene Volk durch Migranten austauschen, um es auszulöschen«, wie Christian Fuchs und Paul Middelhoff in ihrem Buch Das Netzwerk der Neuen Rechten ausführen. Vorwürfe, an einer »Islamisierung« und »Umvolkung« Deutschlands zu arbeiten und einschlägige Drohungen hatten auch den am 2. Juni 2019 ermordeten CDU-Regionalpolitiker Walter Lübcke wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik erreicht.

Wer glaubt, solchen Schlagworten argumentativ begegnen zu können, verkennt, dass es dabei nicht um Argumentation, sondern um Emotionalisierung geht. Der Anschlag von El Paso zeigt, dass dies selbst – und vielleicht auch gerade – unter Donald Trump funktioniert, der die entschlossene Abwehr ungewollter Immigranten auf seine Fahnen und in seine Tweets geschrieben hat. Weltweit durchs Internet geisternde Kampfparolen wirken als Kondensationskeime für Hassgefühle, und so ist das Netzwerk der Neuen Rechten längst größer als das, was der faktenreiche Band von Fuchs und Middelhoff zu erfassen vermag.

Historische Kontinuitäten

Es reicht auch weiter zurück als bis zu Armin Mohlers Buch Die konservative Revolution von 1950, das die Autoren als Vorlage für eine »Kulturrevolution von rechts« sehen. Während Fuchs und Middelhoff die nationalen und internationalen Verbindungen der intellektuellen und politischen Vertreter einer »Neuen Rechten« analysieren, untersuchen Andrea Röpke und Andreas Speit deshalb in Völkische Landnahme ein Milieu, in dem »nationale Graswurzelarbeit« betrieben werde: »Sie bewirtschaften Bauernhöfe, pflegen Land und Vieh, ökologisch und artgerecht, bringen sich in Vereinsleben, Eltern- und Umweltinitiativen ein, bemühen sich um Gemeinwohl, Kultur, Naturschutz. Sie pachten Jagdgründe, hegen den Wildbestand und pflegen den Wald.« Und sie preisen ihre Dorfgemeinschaft, wie auf dem Titelbild ersichtlich, in deutschen Lettern als »frei – sozial – national«.

»Völkische Siedler und das dazugehörige Milieu der antimodernen Aussteiger planen nicht von Wahlperiode zu Wahlperiode, sondern denken in viel größeren Zeiträumen«, schreiben die Autoren: »Es geht ihnen um eine nachhaltige politische Wende, um das ›Ende der Party‹ wie es ein führender Kader der Identitären Bewegung in einem Image-Video von Götz Kubitschek formuliert.« Dass dies auf fruchtbaren Boden fällt, belegt die Studie Persistence and Activation of Right-Wing Political Ideology von David Cantoni, Felix Hagemeister und Mark Westcott aus dem Jahre 2019, welche Fuchs und Middelhoff mit Cantonis Worten umreißen: »Man sieht, dass es eine starke Korrelation gibt zwischen den Orten, in denen in den Dreißigerjahren vermehrt NSDAP gewählt wurde, und Orten, in denen heute stärker die AfD gewählt wurde.« Sichtbar wurde diese Persistenz erst nach der sogenannten Flüchtlingskrise, als die AfD dies als ihr eigentliches Erfolgsthema erkannte.

Fremdenfeindlichkeit ist tiefer verwurzelt als gemeinhin angenommen. Und sie lässt sich schwer überwinden, zumal in einem jahrzehntelang geteilten Land, dessen erfolgreicher westlicher Teil faktisch schon 30 Jahre lang Einwanderungsland war, als ihm der Osten beitrat. Was in der BRD während dieser Zeit noch ein Tabuthema gewesen war, wurde den Ex-DDR-Bürgern dann als Faktum präsentiert.

Man sollte die von Tanjev Schultz umfassend recherchierte und »Der Terror von rechts und das Versagen des Staates« untertitelte Studie über den »NSU« deshalb einmal auch gegen den Strich lesen. Aus der Sicht eines Menschen, dem es schwerfällt, einen Zusammenhang zwischen einem scheinbar harmlosen Trio junger Ostdeutscher im Campingmobil, einer Serie von Bankrauben und einer gegen arglose Einwanderer gerichteten Mordserie zu verstehen. Zwar zeigt Schultz ausführlich, dass die drei in ihrem Milieu weit aggressiver auftraten als auf Campingplätzen, wo sie sich harmlos gaben. Und er gibt Beispiele für deren Ausländerhass, doch zwischen Parolen und Taten klafft ein großer Unterschied. Oder doch nicht?

Was rechte Parolen angeht, so liefert Enno Stahls Studie zwei Beispiele für deren Umdeutung gängiger Begriffe. Aus ausländischen Fachkräften werden »Fachkräfte für Messerattacken«, während das Schlagwort »Masseneinwanderung« durch die Verwandlung in »Messereinwanderung« noch zugespitzt wird. Doch man kann nicht ernsthaft annehmen, mit solchen Wortspielen ließe sich Fremdenangst schüren. Hier wird vielmehr ein Jargon der Abschätzigkeit eingeübt, der dem Reden über Zuwanderung einen abfälligen Beiklang anheftet.

Verbale Abrüstung im Netz

So unbestreitbar es ist, dass auch schwerkriminelle Banden und gewalttätige Männer nach Deutschland eingewandert sind, zeigen rechte Aggressoren und Attentäter doch eine rätselhafte Scheu gerade vor denen, vor denen rechte Politiker ihre besorgten Wähler warnen. Die »NSU«-Studie von Schultz zeigt peinlich genau, wie hartnäckig und aufwendig die Polizei auf Seiten der Opfer nach kriminellen Hintergründen suchte, die es nicht gab. Die Opfer waren ehrbare und harmlose Menschen, und ihre Schicksale offenbaren auf tragische Weise einen fundamentalen Irrtum beim Thema Integration. Wer gewisse »besorgte Bürger« mit dem Beispiel bestens integrierter, beruflich und gesellschaftlich erfolgreicher Einwanderer zu beruhigen sucht, wird feststellen, dass es gerade das ist, was ihnen Sorgen bereitet. Man denke dabei an das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, das 1933 loyale, patriotische deutsche Staatsbürger aus ihren Ämtern vertrieb, weil sie Juden waren – und wackere Parteigenossen scharf auf ihre Ämter.

So entlarvend und polemisch wirksam solche Vergleiche mit dem Nationalsozialismus sein mögen, so greifen sie vielfach zu kurz, denn was Röpke und Speit wie auch Fuchs und Middelhoff beschreiben, erinnert bisweilen an den kaum überschaubaren Mischmisch aus politischen Hasardeuren und Umstürzlern, Lebensreformern, Freikorpskämpfern, Anarchosyndikalisten und Nationalbolschewisten, Satanisten, Spiritisten und Esoterikern aller Couleur, von dem es in der Weimarer Republik wimmelte. Als im September 2018 der »Orphische Kreis« unter dem Motto »Ernte unterm Bronze-Mond II« zu einem Fest mit »Folk und Poesie« einlud, wo unter anderem das deutsch-russische Konzert »Brudervölker« dargeboten werden sollte, muss das wie dessen Neuinszenierung vor überschaubarem Publikum gewirkt haben.

Was damals als Alternative für die Weimarer Republik nicht funktionierte, wird auch heute nicht gelingen – der Verlust religiöser Bindungen im Zuge der Aufklärung sowie die Öffnung von Horizonten und Grenzen, die Moderne und Globalisierung mit sich gebracht haben, lässt sich weder gewaltsam noch mit Mondfesten umkehren. Was angesichts schwindender gesellschaftlicher und politischer Bindungskräfte heute dringend nötig ist, wäre hingegen eine verbale Abrüstung im Netz. Neben einer Ächtung anonymer Hassbotschaften zählt dazu auch die Abkehr von einer politischen Rhetorik der Alternativlosigkeit, die Probleme negiert, indem sie ein Gelingen (der »Klimawende«) und einen Konsens (»Wir schaffen das«) immer schon voraussetzt.

Christian Fuchs/Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Rowohlt Polaris, Hamburg 2019, 288 S., 16,99 €. – Johannes Groschupf: Berlin Prepper. Suhrkamp, Berlin 2019, 236 S. 14,95 €. – Andrea Röpke/Andreas Speit: Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos. Ch. Links, Berlin 2019, 208 S., 18 €. – Tanjev Schultz: NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates. Droemer, München 2018, 576 S., 26,99 €. – Enno Stahl: Die Sprache der Neuen Rechten. Populistische Rhetorik und Strategien. Kröner, Stuttgart 2019, 200 S., 14,90 €.

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