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Wie man klassische Konzerte wieder attraktiver macht Die Jugend gewinnen heißt der Jugend vertrauen

Wenn man sich hinten in einen Konzertsaal setzt und auf das Publikum schaut, so sieht man – so ehrlich muss man leider sein – sehr viel Ergrautes und Lichtes auf den Köpfen. Gerade klassische Konzerte sehen sich einem überalterten Publikum konfrontiert. Viele Kulturinstitutionen haben die daraus folgende Problematik, dass das Publikum von morgen immer weniger im Konzertsaal sitzen wird, erkannt und bieten vergünstigte Tickets für Studierende, Auszubildende und Schüler an. Das, so zeigt aber die Erfahrung, bekämpft nur die Symptome und nicht das zentrale Problem: Klassische Musik droht nämlich zu einem Elitenprojekt zu werden.

Gelegentlich verlost die Süddeutsche Zeitung einige Tausend Tickets unter Studierenden für eine Generalprobe des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BR). Unterhält man sich mit diesen jungen Menschen, erfährt man, dass etwa ein Viertel von ihnen noch nie ein klassisches Konzert besucht hat. Sie würden Klassik höchstens zum Einschlafen hören oder die Großmutter hätte es einem immer vorgespielt. Der regelmäßige Konzertbesuch, vor allem der ritualisierte, ist in Zeiten von Spotify überflüssig geworden. Zudem muss man immer Angst haben, aus Versehen an den falschen Stellen zu klatschen.

Ortswechsel. Die BR-Symphoniker bieten für Schüler gelegentlich Workshops an, in welchen diese klassische Stücke selbst erarbeiten, Tänze einstudieren oder sich ganz eigene Choreografien überlegen. Dafür werden moderne klassische Stücke verwendet, die Musik wird dabei auf ihr einfachstes Element reduziert: die Emotion. Das kommt in der Regel gut an, weil den Schülern keinerlei Vorgaben gemacht werden, wie so eine Veranstaltung auszusehen hat, sondern sie frei mit den Künstlern gemeinsam an den Stücken arbeiten können.

Nimmt man diese Erfahrungen mit, kann man drei zentrale Lektionen daraus ableiten, wie man dem schleichenden Vergessenwerden klassischer Musik in der jungen Generation entgegenwirken könnte. Die Stichworte lauten: Zugang, Regeln und Vertrauen. Man mag nun vielleicht die berechtigte Frage einwenden: Warum müssen sich Jugendliche überhaupt mit klassischer Musik beschäftigen? Die Zahlen zeigen, dass das Interesse von jungen Menschen an klassischer Musik in den letzten Jahren sogar leicht angestiegen ist. Das sagt aber noch nichts über den gesellschaftlichen Wert aus. Wie jede Kunstform ist auch die Klassik kulturelles Gedächtnis und Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen gleichermaßen. Falls das noch nicht ausreicht: Klassik ist in vielen Fällen auch einfach nur schön. Wenn das Interesse der neuen, jungen Generation an der Musik aber nicht aufrechterhalten wird, schwindet auch ihre inklusive Kraft.

Die Frage des Zugangs ist dabei vielleicht die am leichtesten zu beantwortende. Wie oben beschrieben gehen viele Konzertanbieter bereits den Weg, Tickets für Studierende, Auszubildende und Schüler vergünstigt anzubieten. Die Preise liegen dabei zum Teil zwischen acht und 15 Euro, was im Vergleich zu den regulären Tarifen von teils über 70 Euro einen drastischen Preisnachlass darstellt. Zugang bedeutet allerdings nicht nur, die Schwelle für den Eintritt niedrig zu legen. Zugang meint auch, das Geschehen begreifbar zu machen. Vielerorts versuchen Konzerthäuser dies über neue Formate zu lösen. Einige stellen beispielsweise einen Stuhlkreis um das Klavier, anstatt die Pianistin auf eine Bühne zu setzen. Die Vorstellung, dass ein anderer räumlicher Aufbau Nähe herstellt, ist allerdings ein Trugschluss. Das Hierarchieverhältnis, welches aufgelöst werden muss, entsteht aus einer asymmetrischen sozialen Wechselbeziehung. Ein räumlicher Aufbau kann dieses Verhältnis manifestieren, muss es aber nicht. Sinnvoller ist es, Asymmetrien durch den Abbau von sozialen Barrieren aufzulösen. Anders gesagt: Wenn es ermöglicht wird, die Menschen hinter der Musik kennenzulernen, reißt auch die gefühlte Grenze ein. In einem Konzert sagte ein Erstbesucher, ihn habe die Dirigentin beeindruckt, weil man gemerkt habe, wie sie die Kraft der Musik aufnehme. Zum Konzert gekommen sei er, weil er auf Facebook ein Porträt ebendieser Dirigentin gesehen habe. Insofern müssen Fragen des Zugangs nicht nur über Ticketpreise gelöst werden. Vielmehr sollte man das Geschehen so aufbereiten, dass ein Transfer in den Alltag möglich wird, man also Menschen kennenlernt, Emotionen transportiert.

An der »falschen« Stelle klatschen

Ein Mittel, dieses zu erreichen, ist der Abbau von starren Regeln. Es ist zu einer beliebten Sportart geworden, diejenigen zu belächeln, die an den »falschen« Stellen klatschen oder gar Emotionen zeigen, seufzen, lachen, stöhnen. Das Individuum beugt sich einer antizipierten Erwartungshaltung des Kollektivs, einem Set an ungeschriebenen Regeln, deren Bruch gefühlt zur Ächtung führt. Diese Verunsicherung spürt man schon beim Dresscode. Ein Studierender fragte bei der oben erwähnten BR-Generalprobe ganz verunsichert, ob denn ein Pullover schick genug sei, um überhaupt ins Konzert zu kommen. Diese Regeln verfestigen die Hierarchie, an dieser Stelle allerdings zwischen dem »guten« und dem »schlechten« Publikum. Und wer will schon zu letzterem gehören? Dieses Problem setzt sich auch in der Sprache fort, welche vonseiten der Institutionen und unter den Kulturliebhabern gepflegt wird. Was soll denn eine »feinsinnige Monodie« sein, ein »gewaltiges Kettenrondo«, oder das »agogisch flexible Folgen von Phrasierungsvorstellungen«. Das Konzertvokabular – von der Ankündigung auf der Homepage bis zum Booklet – ist oft für den Laien unverständlich. Die sprachliche Übersetzung von Technokratie in Begeisterung, von Musikkritikersprech in Alltagssprache ist eine Herausforderung, der sich die Wenigsten stellen. Bei Konzerten überbieten sich die Altklugen mit geschwollenem Vokabular, wollen als besonders belesen gelten und vergessen dabei, wen diese Sprache eigentlich erreichen sollte. Für das BR-Symphonieorchester berichten gelegentlich junge Menschen von den Konzerten, keine ausgebildeten Kritiker. Bei den Generalproben, zu denen die SZ die Karten verlost, wird manchmal auch an den »falschen« Stellen geklatscht, wenn es halt gefallen hat, und man beschreibt eine gut phrasierte Stelle auch mal als »ziemlichen Kracher im zweiten Teil«.

Diese Liberalisierung von Regeln und Sprache würde dazu führen, dass Menschen Angst und Argwohn verlieren. Gleichzeitig wird damit das Signal ausgesandt: Wir trauen euch zu, ebenfalls etwas von Klassik zu verstehen, auch wenn ihr die ungeschriebenen Regeln nicht kennt. Dieses Zutrauen, das Vertrauen ins potenzielle Publikum, ist der Kern dieser Argumente. Es ist nämlich erstens allein vom Repertoire her gesprochen der falsche Weg, ein junges Publikum über den kleinsten gemeinsamen Nenner zu erreichen und die beliebtesten Stücke tot zu spielen. Das Symphonieorchester von Helsinki geht dabei einen neuen Weg. Bei einem Konzert wird im ersten Teil moderne Klassik gespielt, atonales »Zeug«, das oft nur ein paar hundert Meter weiter vom Konzertsaal in der Sibelius-Akademie, der wichtigsten finnischen Musikhochschule, entstanden ist. Die Finnen fördern damit junge Künstler und stoßen dabei das Publikum fast mit Gewalt auf die neuesten Entwicklungen auf dem Markt. Im zweiten Teil stehen dann die »Gassenhauer« auf dem Programm. Interessanterweise führt eben diese Mischung dazu, dass das Programm auch in der Außenwirkung als frisch wahrgenommen wird, was viele junge Menschen in die Aufführung treibt.

Zweitens bedeutet Zutrauen auch, mit den digitalen Entwicklungen Schritt halten zu müssen. Manche Orchester bieten Spotify-Playlisten von den Stücken in Konzerten an, um sich schon einmal einhören zu können. Andere streamen Konzerte live auf Facebook, erarbeiten Podcasts oder sparen sich ganz profan den müßigen physischen Ticketverkauf mit einem Ticketverkaufslink in die App auf dem Smartphone. Insofern funktioniert Vertrauen auch andersherum, dass eben »Bestandshörer« nicht von einer Digitalisierung oder Verjüngung abgeschreckt werden, sondern eventuell sogar Entwicklungen annehmen.

Die Veränderung von Zugang, Sprache und Erwartung ist ein Prozess und darf kein hartes Einführungsdatum haben. Erfahrungen von verschiedenen Orchestern zeigen aber, dass ein Neudenken von Bewährtem auch vor kulturellen Institutionen nicht Halt machen darf, dass gesellschaftliche Inklusion auch das Verwerfen von Konventionen bedeutet, ohne den eigenen Markenkern dabei aufgeben zu müssen. Wenn klassische Musik demokratisch bleiben möchte, niederschwellig und ohne elitären Touch, sollte man an Stellschrauben drehen, um eine gesellschaftliche Entwicklung überhaupt erst aufnehmen zu können. Nur so erreicht man diejenigen, die bisher außen vor bleiben, die bislang zwar Interesse haben, aber keine Teilhabe – eigentlich ein ganz sozialdemokratischer Ansatz.

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