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Aktuelle Literatur über Wohnungspolitik und den Kampf um bezahlbare Mieten Die neue soziale Frage

Von Sozialwissenschaftlern wird eine Mietbelastung – gemeint sind hier Miete und Nebenkosten, aber keine Kosten für Heizung, Wasser und Strom – von über 30 % des Nettoeinkommens als »problematisch« angesehen, bleibt doch dann für die sonstigen Kosten der Lebensführung schlicht zu wenig übrig. Laut einer aktuellen Studie der Berliner Humboldt-Universität ist diese problematische Mietbelastung für gut 5,6 Millionen Haushalte in Deutschlands Großstädten bittere Realität, wobei etwa eine Million Haushalte gar auf eine Mietbelastung von mehr als 50 % ihres Nettoeinkommens kommen. Die Miete spielt dabei in Deutschland eine besonders große Rolle, da hier die Wohneigentumsquote mit deutlich unter 50 % im internationalen Vergleich sehr niedrig ist. Zwar ist Wohnraum keine allgemeine Mangelware, so ist in weiten Teilen Ostdeutschlands und auch in einigen ländlichen Regionen des Westens im engeren Sinne keine Knappheit des gesellschaftlichen »Basisguts Wohnen« festzustellen, für die Großstädte und Ballungsräume allerdings gilt, dass für eine immer größere Zahl von Menschen bezahlbare Wohnungen fehlen.

Befunde dieser Art hat der Wirtschaftswissenschaftler Heinz J. Bontrup, viele Jahre Professor an der Westfälischen Hochschule in Recklinghausen und vor einigen Monaten emeritiert, in seiner aktuellen Veröffentlichung Wohnst Du noch …? zusammengetragen. Bontrup, der einer breiteren Öffentlichkeit auch als einer der Sprecher der »Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik« bekannt ist, geht es in seinem Buch aber nicht nur um »steigende Mieten und Verknappungen auf den bundesdeutschen Wohnungsmärkten, sondern auch um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Immobilienwirtschaft«. Folgerichtig spannt er auch einen breiten thematischen Bogen von der Analyse der Preisbildung am Wohnungsmarkt, über die detaillierte Beschreibung der größten deutschen Immobilienunternehmen (Vonovia und Deutsche Wohnen) bis hin zu Vorschlägen für eine alternative Wohnungsbaupolitik.

Die Gründe für Mietpreissteigerungen und Wohnungsknappheit in den Großstädten und Ballungsräumen sind laut Bontrup vielfältig. Der Ökonom nennt hier u. a. den Megatrend, in Großstädten leben zu wollen (Stichwort Landflucht), die starke Zunahme von Singlehaushalten (Anstieg seit 2000 um fast 25 %) sowie die unter dem Strich stark abnehmende Bautätigkeit in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre. Es gibt »schlicht ein zu geringes Wohnungs- und Häuserangebot«, fasst der Autor zusammen und konstatiert auch ein weitgehendes »Versagen der Mietpreisbremse«.

Zur Linderung der beschriebenen Problematik schlägt Bontrup ein Wohnungsbauprogramm im öffentlichen Eigentum vor, »finanziert über immobilienaffine Steuererhöhungen«. Genannt werden hier im Hinblick auf die Vererbung von Grund und Boden die Erbschaftsteuer sowie eine erhöhte Grunderwerb- und Grundsteuer; dabei dürften die Steuererhöhungen nicht auf die Mieter umgelegt werden. Auf diese Weise ließen sich ohne eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Haushalte und der Mieter die erforderlichen Mittel gewinnen, um rund 200.000 Wohnungen neu zu bauen.

Der Wirtschaftswissenschaftler nimmt aber auch die weiteren Dimensionen einer »sozialen Wohnungspolitik« in den Blick und weist darauf hin, dass die Mietbelastung »immer nur eine relative Größe aus absoluter Miethöhe in Relation zum Einkommen/Vermögen« ist. Bontrup fordert folgerichtig eine »gerechtere Einkommens- und Vermögenspolitik«: »Hier sind sowohl die Gewerkschaften mit einer zumindest verteilungsneutral ausgerichteten Tarifpolitik als auch der Staat mit einer veränderten Steuer- und Vermögenspolitik gefordert«. In diesen Zusammenhang gehören auch die Forderungen nach einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns oder der Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Bereits im Titel der Veröffentlichung von Thomas Eberhardt-Köster, Wolfgang Pohl und Mike Nagler wird die Absicht einer grundsätzlichen Betrachtung der zu behandelnden Thematik deutlich: Wohnen ist ein Menschenrecht. Dieses im Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte normierte Recht, so führen die Autoren in der Einleitung aus, »wird in Deutschland zunehmend infrage gestellt« und sie belegen dies mit den 1,2 Millionen Wohnungslosen in der Bundesrepublik, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe für 2018 ermittelt hat.

Als zentralen Grund für diese Misere geben der Betriebswirt und Politikwissenschaftler Eberhardt-Köster, der Referent der Heinrich-Böll-Stiftung Pohl sowie der Architekt Nagler die Abschaffung der Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugesellschaften durch die Bundesregierung von Helmut Kohl im Jahr 1988 an, die eine wohnungspolitische Wende einleitete und »mittel- bis langfristig drastische Folgen für den Mietwohnungsmarkt« hatte. Die Auflagen der Gemeinnützigkeit hatten bis zum Ende der 80er Jahre nämlich als eine Art Sperrriegel gegen die heute im gesamten Immobiliensektor vorherrschende Vermarktlichung gewirkt. So aber konnten z. B. in der Zeit von 1995 bis 2010 in Deutschland über eine Million öffentliche Wohnungen privatisiert werden: »Hätte es die Auflagen der Gemeinnützigkeit noch gegeben«, so Eberhardt-Köster, Pohl und Nagler, »wäre dies nicht möglich gewesen«. Und auch das in der Veröffentlichung von Bontrup beschriebene strikt auf Gewinnmaximierung und somit Mieterhöhungen ausgerichtete Geschäftsgebaren von Deutsche Wohnen und Vonovia wäre vielen Zehntausend Mietern erspart geblieben, da diese Immobilienriesen erst im Gefolge dieser Politik »Zugriff auf erhebliche Teile des Mietwohnungsbestandes« bekamen und auf ihre jetzige Größe anwachsen konnten. Als besonders eklatantes Beispiel für die Privatisierung öffentlichen Eigentums gilt hier der Komplettverkauf des Wohnungsbestands der Stadt Dresden (47.000 Wohnungen) an einen US-amerikanischen Hedgefonds im Jahr 2006; durch Weiterverkäufe gehört dieser Wohnungsbestand mittlerweile auch zur Vonovia.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation fordern Eberhardt-Köster, Pohl und Nagler eine Art Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik und führen hierzu aus: »Es ist eine öffentliche Aufgabe, eine angemessene Wohnungsversorgung im Interesse des Gemeinwohls gegen wirtschaftliche Einzelinteressen durchzusetzen. Das gelingt umso besser, wenn ein hoher Anteil von Wohnungen in öffentlicher Hand und unter öffentlicher Kontrolle ist (…). Darum wäre ein umfangreiches Programm zur Re-Kommunalisierung von Wohnungen und die Stärkung kommunaler Wohnungsgesellschaften notwendig (…).« Die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum, so fordern die drei Autoren, soll somit wieder mehr als Teil der sozialen Infrastruktur und der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden werden. Als Beispiel im positiven Sinne führen sie die österreichische Hauptstadt Wien an, in der rund 60 % aller Mietwohnungen einer Sozialbindung unterliegen und somit den Marktkräften entzogen sind.

Dementsprechend schlagen die Autoren auch die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit durch den Bundesgesetzgeber vor. Dies würde zu einer »steuerlichen Entlastung kommunaler oder genossenschaftlicher Bauträger, die gemeinwohlorientiert Wohnraum schaffen, führen und den Bau von Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen fördern«.

Neben dem Bund weisen Eberhardt-Köster, Pohl und Nagler hinsichtlich der Wohnungspolitik vor allem den Kommunen die größte Verantwortung zu. Diese könnten in vielerlei Hinsicht Wohnungspolitik gestalten: »Sie können darüber entscheiden, ob sie eher Einfamilienhäuser zulassen oder Geschosswohnungsbau, und sie können für ein neu zu bebauendes Gebiet auch einen Mindestanteil von preisgedämpften Mietwohnungen festlegen. Dieses Instrument nutzen die Städte bisher viel zu zaghaft und schöpfen ihren Gestaltungsspielraum zu wenig aus«, so ihr Resümee.

Die Journalistin Utta Seidenspinner aus München lässt sich in ihrem Buch Wohnwahnsinn vor allem von den folgenden Fragestellungen leiten: Wer kauft den »Markt leer und sorgt für bundesweite Mietsteigerungen weit über der Inflationsrate? Wem gehören eigentlich unsere Wohnungen und Häuser? Wer oder was treibt den Immobilienmarkt?« Ihr Problem bei der Beantwortung dieser Fragen ist allerdings, dass es in der Bundesrepublik kein zentrales Grundbuchregister gibt und Grundbücher aus Gründen des Datenschutzes – anders als in anderen Ländern – auch grundsätzlich nicht uneingeschränkt öffentlich einsehbar sind. Niemand weiß, »welcher Anteil des deutschen Immobilienmarktes insgesamt in ausländischer Hand ist, wie viel Prozent in Aktiengesellschaften stecken, ob es sich um Briefkastenfirmen, Finanzinvestoren oder Einzelpersonen handelt; es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass es Drogenhändler, Terroristen oder Waffendealer sind. Jedenfalls nicht durch die deutschen Behörden, die Kommunen, die Politiker oder die Bürger«, schreibt Seidenspinner.

Sie nimmt diesen Befund zum Anlass, um mit journalistischen Mitteln ein wenig Licht ins Unterholz des deutschen Immobilienmarktes zu bringen und Eindrücke von dessen Funktionsweise zu vermitteln. So stellt sie einen jungen Ägypter vor, der bereits in einer Shoppingmall in Dubai deutsche Wohnungen an solvente Kunden verkauft hat und nun im Auftrag eines Berliner Maklers Luxusimmobilien in der Hauptstadt an reiche Araber verkauft. Sie trifft sich mit einer in Frankfurt am Main ansässigen Chinesin, die in großem Stil Wohneigentum an Neureiche aus der Volksrepublik vermittelt. Und sie stellt anhand eines Beispiels dar, in welcher Weise russisches Schwarzgeld in den deutschen Immobilienmarkt gelangt. Investoren aus allen Ländern suchen in der Bundesrepublik »einen sicheren Hafen für ihr Geld«, so die Autorin. Deutschland als die größte Wirtschaftsmacht in der Europäischen Union gilt in Investorenkreisen als äußerst attraktiv.

Als strukturelle Ansatzpunkte für eine Entspannung der Situation auf den deutschen Wohnungsmärkten nennt Seidenspinner u. a. die ihrer Meinung nach bislang zu wenig ausgeschöpften Möglichkeiten der baulichen »Nachverdichtung« in den Städten sowie eine Reduzierung der Bauvorschriften, die das Bauen aus ihrer Sicht in Deutschland unnötig verteuern. Zudem zitiert sie zustimmend den Deutschen Städtetag, der eine Abkehr von der gängigen Praxis fordert, öffentliche Flächen meistbietend zu verkaufen. »Wenn Höchstpreise für die Grundstücke bezahlt werden, bleibt den Bauträgern gar nichts anderes übrig als Luxuswohnungen zu errichten, damit sich die Investition lohnt«, schreibt sie dazu.

Letztlich fordert die Münchner Journalistin vehement ein zentrales Grundbuchregister: »Unsere Behörden, die Finanzämter, die Politik und vor allem wir müssen wissen, wem die Dächer über unseren Köpfen gehören. (…) Zahlen und Fakten sind die Basis für Politik. Wie will man irgendetwas gestalten ohne Informationen über die Ausgangslage?«

Am Ende ihres Buches erörtert Seidenspinner unter der Überschrift »Mieten bis Kaufen« auch individuelle Strategien gegen die Misere auf dem Wohnungsmarkt, vom Kauf einer Eigentumswohnung oder eines Hauses über die Mitgliedschaft in einem Mieterverein bis hin zu Wohnungsbaugenossenschaften und Mietshäuser-Syndikaten. An dieser Stelle bekommt die Veröffentlichung fast schon den Charakter eines Ratgebers.

Jährlich fallen zwischen 100.000 und 130.000 Sozialwohnungen aus der für diesen Wohnungstyp geltenden Mietpreisbindung, während nur etwa 11.000 Wohnungen dieser Art neu entstehen. Das Problem der Unterversorgung mit preisgünstigem Wohnraum wird tendenziell also eher größer. Alles weist darauf hin, dass die Wohnungspolitik eines der auf Jahre hinaus zentralen sozialpolitischen Themen in der Bundesrepublik sein wird und Wohnen somit zur neuen sozialen Frage wird. Dies deutet sich auch schon bei den ordnungspolitisch höchst brisanten Diskussionen um die Enteignung der großen privaten Wohnungsunternehmen sowie um den sogenannten »Mietendeckel« an. Wer Wahlen künftig gewinnen will, wird sich auch im Themenfeld Wohnen profilieren müssen. Alle drei hier vorgestellten Veröffentlichungen können mit Gewinn als Beiträge zu den nun notwendigen Diskussionen gelesen werden.

Heinz J. Bontrup: Wohnst Du noch …? Immobilienwirtschaft und Mieten kritisch betrachtet. VSA, Hamburg 2018, 152 S., 13,80 €. – Thomas Eberhardt-Köster/Wolfgang Pohl/Mike Nagler u. a.: Wohnen ist ein Menschrecht. Fortschrittliche Wohnungspolitik und was Kommunen dazu beitragen könnten. VSA, Hamburg 2018, 96 S., 7 €. – Utta Seidenspinner: Wohnwahnsinn. Warum Mieten immer teurer und Eigentum unbezahlbar wird. Piper, München 2018, 208 S., 18 €.

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