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Svenja Schulze »Die ökologische Transformation muss zu einem Mitmach-Projekt für viele werden«

 

NG|FH: Die erschreckenden Bilder aus den vom Hochwasser zerstörten Landesteilen führen zu der Frage, inwieweit der Klimawandel uns in Zukunft häufiger mit solchen Extremwettersituationen konfrontieren wird?

Svenja Schulze: Wie sich das Wetter in unseren Breiten genau verändern wird, lässt sich heute noch nicht sicher sagen. Fakt ist, Wetterextreme werden zunehmen: anhaltende Hitzeperioden, Phasen längerer Trockenheit oder auch Starkregen. Das haben uns die letzten Jahre bereits gezeigt. Und das kann teilweise dramatische Folgen haben.

Die verheerende Flutkatastrophe rund um die Ahr und die Hochwasser in so vielen Orten Deutschlands zeigen, mit welcher Wucht die Folgen des Klimawandels uns alle treffen können. Selbst mit der besten Vorsorge wird man nicht alle Extremwetterfolgen abwenden können. Freilich muss Deutschland alles dafür tun, bestmöglich vorbereitet zu sein. Bund und Länder koordinieren ihre Anstrengungen bereits seit 2008 erfolgreich unter dem Dach der Deutschen Klima-Anpassungsstrategie. Jetzt müssen wir einen Schritt weiter gehen. Klimaanpassung muss zur staatlichen Daueraufgabe werden…

NG|FH: …aber sind die Möglichkeiten des Bundes, Hochwasser- oder Dürrevorsorge zu unterstützen, nicht durch die Verfassung begrenzt?

Schulze: Das stimmt, aber deshalb bin ich ja dafür, die Anpassung an den Klimawandel als neue Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern im Grundgesetz zu verankern. Damit könnten wir eine dauerhafte Finanzierung für diese wichtige Aufgabe sicherstellen. Bund und Länder können dann auch gemeinsam abstimmen, wie wir die staatliche Extremwettervorsorge noch fitter machen und welche Regionen im Fokus stehen sollten. Mittelgebirgsregionen zum Beispiel, wo Starkregenereignisse künftig häufiger und extremer auftreten werden, werden wir bei der Vorsorge auf jeden Fall intensiver unterstützen müssen.

NG|FH: Ist diese Entwicklung, auch durch eine vielleicht noch ambitioniertere Umweltpolitik, zu stoppen?

Schulze: Der Klimawandel findet statt. Es liegt an uns, ihn abzudämpfen. Dafür müssen wir es schaffen, die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Das geht nur mit wirkungsvoller Treibhausgasminderung. Das ist die beste Vorsorge. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist klar, Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden – also deutlich früher als das Pariser Abkommen es vorsieht, auch deutlich schneller als andere Länder. Das ist unser Beitrag dafür, den Klimawandel so stark wie möglich zu bremsen. Und da muss allen klar sein: Für ein Industrieland wie Deutschland ist das eine riesige Herausforderung. Für Industriebranchen, die viel Energie benötigen, wie die Stahl- oder Zementhersteller, gilt das umso mehr. Deshalb unterstützen wir in energieintensiven Branchen klimafreundliche Innovationen mit einem Förderprogramm. Dass wir die Klimaneutralität bis 2045 erreichen ist jedenfalls gesetzlich festgeschrieben und zusätzlich durch ein wissenschaftliches Monitoring abgesichert.

NG|FH: Die Umwelt- und Klimadebatte rückte in den letzten Jahren, durch die Fridays-for-Future-Bewegung, dann aber auch durch Hitzesommer und Hochwasserkatastrophen, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Angesichts des immer kleiner werdenden Zeitfensters erscheint es zunehmend schwierig, die notwendige ökologische Transformation doch noch zu schaffen. Bei Ihnen spürt man aber eher Optimismus, dass die Umgestaltung doch noch gelingt. Ist dieser Eindruck richtig?

Schulze: Ja, es ist nicht mehr ganz einfach, aber wir haben auch schon einen Teil des Weges geschafft. Seit 1990 haben wir 40 % unseres CO2-Ausstoßes reduziert und jetzt haben wir einen festen Plan formuliert, wie wir den Rest schaffen. Wenn wir bis 2030 noch einmal 25 % reduzieren, zwischen 2030 und 2040 dann noch einmal 23 %, werden wir 2045 klimaneutral sein. Einen solchen Plan hat die SPD und dieser unterscheidet sich deutlich von den Vorstellungen der anderen Parteien.

NG|FH: Die Große Koalition war ja ziemlich unfreiwillig zustande gekommen, hat aber doch rückblickend in der Umweltpolitik eine Menge auf den Weg gebracht. Wie fällt Ihre Gesamtbilanz der letzten Jahre aus?

Schulze: In einer Regierung mit der Union kann man leider keine durchgehend progressive Politik machen. Dafür kann die Sozialdemokratie auf die Gesamtbilanz sehr stolz sein. Wir sind beim Klimaschutz entscheidende Schritte vorangekommen, mit dem Klimaschutzgesetz, mit dem Kohleausstieg, auch eine gewisse Verankerung des Artenschutzes mit mehr Schutz von Insekten war in dieser Legislaturperiode möglich.

Gleichzeitig haben wir dafür gesorgt, dass die Industrie diese enormen Veränderungen mitgeht. Es gibt beispielsweise ein großes Dekarbonisierungsprogramm, um die Industrie CO2-frei zu machen, wir haben den CO2-Preis eingeführt und zwar so, dass er auch sozialverträglich ist, also mit vernünftigen Abfederungen ausgestattet ist. Wir haben den Ausbau erneuerbarer Energien weiter vorangetrieben, sicherlich nicht so sehr, wie wir das als SPD gerne gewollt hätten, aber immerhin einen Riesenschritt voran. Auch beim Thema Plastik, da könnte ich jetzt eine Menge aufzählen, hat sich einiges getan.

Der krönende Abschluss war in dieser Legislaturperiode das nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil sofort beschlossene verschärfte Klimaschutzgesetz.

NG|FH: Klimaneutralität bis 2045, 65 % Treibhausgasminimierung bis 2030. Es wird kritisiert, das seien nur Ziele, noch keine konkreten Maßnahmen.

Schulze: Beide sind wichtig, Ziele und Maßnahmen. Bei den Zielen ist jetzt ja das Neue, dass sie gesetzlich verbindlich sind. Meine Vorgängerin Barbara Hendricks musste noch dem Wirtschaftsminister, dem Verkehrsminister und dem Landwirtschaftsminister auf die Füße treten, damit die sich überhaupt bewegten. Jetzt gibt es einen gesetzlichen Rahmen. Barbara Hendricks hat das Pariser Klimaschutzabkommen verhandelt und jetzt habe ich erstmals ein deutsches Klimaschutzgesetz eingeführt, welches das alles verbindlich macht und dafür sorgt, dass jeder handeln muss.

Es gibt außerdem ein riesiges Maßnahmenprogramm. Olaf Scholz hat mit fast 90 Milliarden Euro so viel Geld für den Klimaschutz mobilisiert, wie noch niemals zuvor. Man bekommt zum Beispiel einen Zuschuss, wenn man die alte Ölheizung rausschmeißt; es gibt Mittel für den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Im Konjunkturpaket sind dann weitere Mittel für den Klimaschutz enthalten. Und es gibt ein Sofortprogramm, das eine Brücke in die nächste Legislaturperiode baut. Es gibt also sowohl Ziele als auch Maßnahmen. Die eine oder der andere von den Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsparteien möchte die Maßnahmen nur nicht sehen, aber sie sind da und sie wirken.

NG|FH: Die anderen Parteien, das ist ein gutes Stichwort. Man wundert sichja ein wenig, dass manche Grüne unbedingt mit der Union regieren wollen. Wie sind denn die umweltpolitischen GroKo-Erfahrungen der Bundesumweltministerin mit der CDU? Da wurde ja schon einmal von Blockade gesprochen oder von Kompromissen, die nicht sozialdemokratische Politik widerspiegeln.

Schulze: Das stimmt, wir haben die Erfolge beim Klimaschutz mühsam gegen die Union durchgerungen. Ohne die SPD wären wir niemals so weit gekommen, wie wir jetzt sind. Man kann das schon am Koalitionsvertrag ablesen. Die Union wollte dort noch nicht einmal das Wort »Klimaschutzgesetz« haben, weshalb dort die wirklich verschwurbelte Formulierung »Gesetzliche Maßnahmen zum Klimaschutz« steht. Heute stellen sie sich aber hin und sagen, dass sie das alles miterrungen hätten. Nein, es ist wegen uns Gesetz geworden und ich setze deshalb sehr darauf, dass es nach der Bundestagswahl eine fortschrittliche Mehrheit diesseits der Union unter Führung der SPD gibt. Dann kommen wir viel schneller vorwärts. Wir müssen zum Beispiel den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, dafür braucht es so etwas wie einen Zukunftspakt zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Bei der CDU und CSU weiß man sehr genau, was sie nicht wollen: keine erneuerbaren Energien vor Ort. Übrigens kommt auch bei den Grünen in Baden-Württemberg der Ausbau nicht voran. Andere Länder, wie Brandenburg, haben massiv erneuerbare Energien ausgebaut und gezeigt, wie das geht. Auch Rheinland-Pfalz hat sich sehr Großes vorgenommen und das auch Schritt für Schritt eingelöst. Die Union war stets der absolute Blockierer in dieser Regierung.

NG|FH: Warum soll eigentlich jemand, dem Klimapolitik wichtig ist, die SPD und nicht die Grünen wählen? Olaf Scholz hat letztens gesagt: »Ökologische Politik darf nicht Verzichtspolitik sein.«

Schulze: Ja, mit reinem Verzicht kommen wir nicht weiter. Das ist zu kurz gedacht. Es geht doch mehr darum, die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft umzubauen. Das bedeutet, die Mobilität der Zukunft wird anders sein, wir werden CO2-frei unterwegs sein, wahrscheinlich in erster Linie mit elektrischen Antrieben. Beim Fliegen und bei der Schifffahrt wird wahrscheinlich Wasserstoff die Hauptenergiequelle sein. Die Gebäude müssen anders beheizt werden, Infrastruktur muss aus- und umgebaut werden. Das ist ein riesiges Modernisierungsprogramm für die gesamte Gesellschaft und das heißt, dass Klimaschutz nicht nur eine ökologische Frage ist, es ist auch eine soziale und eine wirtschaftliche.

Das immer zusammen zu denken, das macht die Sozialdemokratie und darum sollte man die SPD wählen. Wie wir das konkret machen, kann man gut an dem Programm der SPD für die energieintensive Industrie sehen. Denn für das Klima wäre nichts gewonnen, wenn der Stahl, den wir für die Windkraftanlagen brauchen, in Indien oder China produziert würde. Das müssen wir hier in Deutschland und Europa CO2-frei hinbekommen. In dem Programm für die Dekarbonisierung der Industrie ist jetzt bereits sehr viel Geld in die Hand genommen worden, um das zu ermöglichen. Den Umstieg auf klimaschonende Produktionsprozesse werden wir weiter staatlich unterstützen. Das ist klassische sozialdemokratische Politik, wir sehen die verschiedenen Perspektiven und Dimensionen der Entscheidungen und gehen sie ambitioniert an.

NG|FH: Was man auch im Blick haben muss ist, dass sich gesellschaftliche Spaltungen durch die ökologische Politik nicht vertiefen dürfen. Gerade wenn man an ländliche Regionen denkt. Gibt es also zum Beispiel bei Teilen der Grünen eine Art Ökologiepolitik als Eliteprojekt für besser verdienende Städter, um es mal zuzuspitzen? Den Begriff Sozialökologie hat jedenfalls die Sozialdemokratie erfunden.

Schulze: Eine soziale und ökologische Transformation, die wir jetzt vor uns haben, muss klassischerweise von uns oder von den Gewerkschaften kommen. Es ist mir wirklich wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass es sich alle leisten können müssen. Jemandem, der im ländlichen Raum lebt, zu sagen, verzichte auf dein Auto und nutze den öffentlichen Personennahverkehr, funktioniert nur da, wo es diesen auch mit ausreichendem Angebot gibt; zu sagen, steig um auf ein E-Auto, geht nur da, wo es eine entsprechende Ladesäuleninfrastruktur gibt. Das Gleiche gilt für den Industriebereich, den Gebäudebereich usw. Und das ist klassische sozialdemokratische Politik, solch ein Zukunftspaket zu schnüren. Olaf Scholz nennt das »Missionen«. Nur über Verbote und Verzicht kommen wir nicht weiter, man muss den Umbau gestalten, etwa durch staatliche Innovationsförderung. Der Markt richtet es nicht, er ist auf dem ökologischen Auge blind.

NG|FH: Im SPD-Zukunftsprogramm hat die Ökologie wieder einen zentralen Stellenwert, wie vielleicht seit dem Berliner Grundsatzprogramm nicht mehr. Und deutlicher als damals als weitreichendes gesellschaftliches Modernisierungsprojekt.

Schulze: Es ist ein großes Modernisierungsprojekt, denn wenn wir unsere Infrastrukturen vernetzen, verändert sich auch etwas in der Gesellschaft: Es wird modernisiert und zwar in die richtige Richtung. Mir haben viele Menschen in den Städten gesagt, sie hätten in der Corona-Pandemie das erste Mal wahrgenommen, wie viel Natur es dort gibt, weil es plötzlich so leise war. Wenn wir es in der Zukunft schaffen, den Verkehr so leise zu machen, dass das Leben in den Städten wieder attraktiver wird, wenn wir es schaffen, den ländlichen Raum so anzubinden, dass die Menschen dort ganz selbstverständlich CO2-frei unterwegs sein können, wenn wir die Infrastruktur so aufbauen, dass es überall schnelles Internet gibt und man überall auch mal mobil arbeiten kann, wie das jetzt in der Pandemie für viele notwendig war, dann verändert und modernisiert das unsere Gesellschaft insgesamt. Das läuft nicht alles bruchlos und ohne Probleme. Aber es stecken auch unglaubliche Chancen in dieser Modernisierung, die wir unbedingt nutzen müssen, denn die Konkurrenz schläft nicht und wir sind ein exportorientiertes Land und wollen das auch in Zukunft bleiben.

NG|FH: Aber wie sollte man das kommunizieren? Beispiel Benzinpreiserhöhung. Da wird dann plötzlich so diskutiert, als ob diejenigen, die ökologische Ansätze verfolgen, die Lebensrealitäten der nicht so Reichen in diesem Land, derjenigen, die aufs Auto angewiesen sind, nicht wahrnähmen.

Schulze: Die Diskussion um den CO2-Preis ärgert mich auch sehr, weil so, wie sie im Moment geführt wird, kann man dieses Instrument auch kaputtmachen und das machen gerade übrigens Grüne und Schwarze gleichermaßen. Der CO2-Preis soll doch helfen, das ökologisch Vernünftige zu fördern und finanziell attraktiver zu machen als das, was schlecht ist fürs Klima. Wer also mit dem SUV und hohem Spritverbrauch durch die Gegend fährt, der soll das auch spüren und einen Anreiz bekommen umzusteigen auf die Mobilität der Zukunft. Es geht um Anreize für die nächste Kaufentscheidung, nicht um kurzfristige Bestrafung an der Zapfsäule. Deshalb finde ich Planungssicherheit dabei so wichtig.

Wir haben mit dem CO2-Preis einen verlässlichen Pfad vereinbart, mit allen demokratischen Parteien, mit Bundesrat und Bundestag zusammen. Und jetzt gibt es Einzelne, die wollen diesen Pfad schon wieder verlassen. Was würde das bedeuten? Also bevor die Ladesäuleninfrastruktur da ist, bevor man auf andere Alternativen umsteigen kann, hebt man schon mal den Preis an. Ist damit etwas gewonnen fürs Klima? Nein, man setzt nur diejenigen unter großen Druck, die keine Alternativen haben. Ich will, dass Bürgerinnen und Bürger ihr Verhalten in einem realistischen Zeitraum verändern können, also CO2-frei unterwegs sind oder die alte Heizung austauschen oder ihr Vermieter das macht. Dafür muss er allerdings auch einen klaren Impuls bekommen. Deshalb bin ich auch für die Beteiligung der Vermieter am CO2-Preis.

Das hat die Union letztlich verhindert. Der großen Mehrheit in der Union sind die Mieterinnen und Mieter in Deutschland egal. Den CO2-Preis will die Union auch, aber sie will ihn nicht sozial und fair gestalten. Das ist etwas, was mich sehr stört, und was man im Wahlkampf auch immer wieder betonen muss: Die Union ist die Partei für die großen Hausbesitzer, für die Immobilienfonds, für die mit dem vielen Geld. Wer Mieterin oder Mieter ist, wer ein kleines Häuschen hat, wer es sich nicht leisten kann, mal eben alles umzubauen, der ist auf Seiten der SPD richtig aufgehoben.

NG|FH: Was ist denn für Svenja Schulze persönlich die wichtigste umweltpolitische Herausforderung, die es in den nächsten Jahren zu bewältigen gilt?

Schulze: Für mich ist das Allerwichtigste, dass wir aus dieser Zukunftsmission ein Mitmach-Projekt machen. Ich kann das sehr genau am Beispiel eines Bürgermeisters bei mir aus dem Münsterland erklären. Der hat mal gesagt: Solange die Windkraftanlage jemand anderem gehörte, habe er sich den ganzen Tag geärgert, weil die die ganze Zeit diese Geräusche gemacht hat: »schlapp, schlapp, schlapp«. Jetzt gehört sie der Kommune, sie gehört den Leuten selber und seitdem macht diese Anlage »kling, kling, kling«, weil viel Geld dadurch reinkommt und man sich damit vieles leisten kann. Solche Mitmach-Möglichkeiten, dass es nicht zu einem Projekt für wenige wird, sondern für viele, das ist das, was mir wichtig ist und was man für eine erfolgreiche Veränderung unserer Gesellschaft auch wirklich braucht.

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