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Bücher zur organisierten Kriminalität Die Parallelwelt der Mafiaclans

Bei kaum einem sozialen Phänomen ist die Wahrnehmung so stark durch Literatur und Film vorgeprägt wie bei jener Form der organisierten Kriminalität, für die der Ausdruck »Mafia« steht. Sie verdankt ihre besondere Effizienz familiären, lokalen, ethnischen und kulturellen Verbindungen der Mitglieder bei gleichzeitiger Abschottung nach außen. Beginnend mit seinem Klassiker Der Tag der Eule aus dem Jahre 1961 hat der sizilianische Autor Leonardo Sciascia dies in mehreren Romanen aus dem Stammland der Mafia beschrieben. Mario Puzo hat mit seinem Weltbestseller Der Pate 1969 das US-amerikanische Gegenstück geschaffen – die Geschichte des aus Sizilien nach New York ausgewanderten Clans der Corleones. Deren Verfilmung durch Francis Ford Coppola war nicht nur ungemein erfolgreich und erlebte zwei Fortsetzungen, sondern wurde auch als Glorifizierung des organisierten Verbrechens kritisiert.

Tendenzen dazu gab es freilich auch in der Wissenschaft, etwa in Eric Hobsbawms im selben Jahr wie Puzos Pate erschienener Schrift Bandits, deren Verfasser Banditen als »Sozialrebellen« ansah. Tatsächlich hatten die Mafiosi Siziliens aber schon bei Sciascia beste Kontakte nach Rom und zur hohen Politik entwickelt.

Ein Beispiel solcher Kooperation lieferte auch die kubanische Mafia, deren Erfolgsgeschichte in den Vereinigten Staaten T. J. English The Corporation Aufstieg und Fall der kubanischen Mafia darstellt. Die traditionelle organisierte Kriminalität in den USA – »in der Hauptsache irisch, italienisch und jüdisch« – hat ihre Wurzeln in den frühen Dekaden des 20. Jahrhunderts, führt English dazu aus: »Die Prohibitionszeit führte zu einer engen Verflechtung von Verbrechen und Politik und zu einer Institutionalisierung der Unterwelt.« Schon in den Jahren vor Fidel Castros Revolution hatte es florierende kubanische Filialen gegeben, deren Vertreter dann Heimat und Geschäft verloren hätten. »Das Anti-Castro-Erbe« habe »den Kontext für das organisierte Verbrechen kubanischer Provenienz in den USA« gebildet, »das in seinem Umfang und der Zahl der Todesopfer kaum hinter der italoamerikanischen Mafia zurücksteht«.

Zwar ließ Präsident John F. Kennedy die Invasoren in der Schweinebucht 1961 im Stich, doch es habe eine Tradition gegeben, auf die die CIA nunmehr zurückgreifen konnte: »Im Zweiten Weltkrieg beispielsweise setzte die US Naval Intelligence (Marineaufklärung) auf die Hilfe der Mafia, um deutsche Spione und Saboteure in den Häfen an der Ostküste aufzuspüren.« Als sich das Castro-Regime stabiler erwies als erwartet, habe man bei der CIA die Idee entwickelt, »für ein politisches Attentat auf die Dienste der Mafia zurückzugreifen (…) Und es war der Startschuss für eine Zweckallianz zwischen CIA, Mafia und Exilkubanern, die ein halbes Jahrhundert andauern und den Gang der US-Geschichte verändern sollte.«

Politik und Verbrechen

Über die militärische Fortbildung, die man den Veteranen in Fort Benning (einer Basis der United States Army) angedeihen ließ, erzählte einer der Teilnehmer: »Von der CIA haben wir alles gelernt … wie man mit Sprengstoff umgeht, wie man tötet, wie man Bomben legt, wie man Sabotageakte begeht.« Der Protagonist des Buches, José Miguel Battle, stieg schließlich vom kubanischen Polizisten zu einem der reichsten Männer der USA auf. Bemerkenswerterweise aber begann sein Aufstieg auf dem Festland im besten Einvernehmen mit den dort herrschenden Familien, indem er das von der Insel stammende Bolita-Glücksspielsystem dort neu organisierte. Schon 1966 und keine zwei Jahre nach dem Einstieg ins Bolita-Geschäft habe Battles Organisation täglich zwischen 30.000 und 60.000 Dollar kassiert.

Das war schon eine beeindruckende Summe für eine Lotterie der kleinen Leute und kleinen Einsätze, deren Organisierung von ganz unten bis ganz oben reichte und jenes Geflecht von Abhängigkeiten, Loyalitäten und Sanktionsmöglichkeiten schuf, das mafiöse Kriminalität auszeichnet. Battles Karriere endete 2004 mit seiner Festnahme, und auch wenn der 2007 verstorbene Pate in Englishs als »True Crime-Epos« vermarktetem Buch noch einmal aufersteht, hatte im Reich des organisierten Verbrechens doch eine andere Zeit begonnen.

Misha Glenny versteht dessen globale Ausweitung in seinem erstmals 2008 erschienenem Buch McMafia als eine Folge der Liberalisierung der internationalen Finanz- und Warenmärkte in den 80er Jahren, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus »ein exponentielles Wachstum der Schattenwirtschaft« ausgelöst habe. In den 90er Jahren hätte es noch eine Chance gegeben, diese in den Griff zu bekommen: »Aber seit der Jahrtausendwende haben die ablehnenden Vereinigten Staaten, eine unfähige Europäische Union, ein zynisches Russland und ein gleichgültiges Japan in Verbindung mit dem unaufhaltsamen Ehrgeiz Chinas und Indiens dafür gesorgt, dass sowohl die Weltkonzerne als auch das international organisierte Verbrechen einen lebhaften neuen Frühling erlebt haben.« In dessen Sommer habe dann 2004 ein bekannter Ölmanager in einem Schloss nahe Paris eine »Sowjetunion-Nostalgieparty« gegeben, berichtet Glenny: »Es war eine aufsehenerregende, ironische Feier jenes Systems, dessen Niedergang dem Ölmagnaten die Anhäufung unglaublicher Reichtümer ermöglicht hatte.« Dass der »Raub des sowjetischen Staatsvermögens« vor allem das russische Volk getroffen hatte, scheint keinem seiner Gäste die Laune verdorben zu haben.

Reichtümer als leichte Beute

Noch auf niedrigerem Niveau, doch mit demselben Hang zur Protzerei, operieren heute Familienclans, die in Deutschland durch organisierten Raub und Betrug, auch Sozialbetrug, für Schlagzeilen sorgen. »Der deutsche Staat interessiert mich nicht«, zitiert Ralph Ghadban in seinem Buch Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr einen Berliner Kokain-Dealer, der mit seiner Großfamilie in Neukölln lebt: »Wir haben unsere eigenen Gesetze.« Der 1949 im Libanon geborene Ghadban lebt seit 1972 in Deutschland und hat neben seiner wissenschaftlichen Ausbildung als Philosoph und promovierter Politikwissenschaftler auch umfassende praktische Erfahrungen mit arabischen Clans aus seinen Tätigkeiten als Sozialarbeiter, ehemaliger Leiter der Beratungsstelle für Araber des Diakonischen Werks in Berlin und als Anstaltsbeirat der JVA Tegel.

Ghadban warnt davor, dass sich in Deutschland Familienclans etabliert hätten, deren alleiniger Rechtsmaßstab das islamisch geprägte Recht der Familie sei. Gerade die Versuche zur Verschärfung des Asylrechts dürften deren Mitglieder dazu bewogen haben, sich eher darauf als auf die immer vagere Chance einer erfolgreichen Integration zu verlassen. Ghadban sieht aber vor allem den Multikulturalismus als »Hauptgrund für das Versagen der Integration« an, als Aushöhlung und Relativierung des europäischen Werteuniversalismus. Ein Sinn für das deutsche Recht fehle den Clans vollständig; »wenn sie in die Landschaft blicken, sehen sie Reichtümer, die mehr oder minder ungesichert herumliegen, und vereinzelte Personen, deren Schutz durch die Staatsgewalt lückenhaft ist. Unter diesen Umständen ist es leicht, an Beute zu gelangen. Stehlen wird vielen zu einem Beruf, und die Enteignung der Einzelpersonen wird zu einem Spiel.«

Ihre Waffe sei »der Gruppenauftritt, auch Rudelbildung genannt. Wenn man sich mit einem von ihnen anlegt, dann bekommt man es mit der ganzen Sippe zu tun«. Das bekämen auch Polizei und Justizvertreter zu spüren, wenn Beamte von einem rasch herbeigerufenen Mob beleidigt, attackiert und an der Festnahme Verdächtiger gehindert werden. Unter solchen Umständen ist es auch kaum möglich, gerichtsfeste Beweise zu sammeln oder gar Zeugen zu finden. Fänden eindeutig ermittelte Täter dann auch noch allzu verständnisvolle Richter, dann zeige das »das gestörte Verhältnis von Polizei und Justiz« in Deutschland.

Die Behörden hätten »noch nicht ganz realisiert, dass diese Mischform von ethnisch-religiöser Kriminalität mit ihrer Einbettung in die islamische Parallelgesellschaft gefährlicher ist als die übliche organisierte Kriminalität«, schreibt der Autor und postuliert: »Die staatliche Aufgabe besteht darin, den Clan zu sprengen, um die Clanmitglieder einzeln zu integrieren.«

Das klingt martialischer als es gemeint ist, denn Ghadban ist überzeugt: »Die Zerschlagung der Clans ist möglich, wenn man den Hauptgrund für ihre Bildung auflöst: Das ist der Profit, besser gesagt die Beute.« Wie beim kubanischen Bolita-System beruht die Macht der Paten auf der Beherrschung der Geldströme. Am 1. Juli 2017 trat deshalb das »Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung« in Kraft, das es erlaubt, Vermögen unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen Tat einzuziehen.

Das hat in jüngster Zeit bereits zur Beschlagnahme erheblicher Immobilienvermögen geführt und auch mitteleuropäische Familienclans empfindlich getroffen, deren Bestände an Luxuswagen und -waren sich aus ihren Hartz-IV-Bezügen nicht glaubhaft erklären ließen. Im Spiegel heißt es dazu: »In diesen Kreisen ist Sozialbetrug eigentlich eine Selbstverständlichkeit, ›da wird gar nicht groß drüber nachgedacht‹, sagt ein Kriminalist aus Norddeutschland, der sich seit Jahren mit kriminellen Strukturen in Roma-Clans befasst. (…) Unrechtmäßig bezogene Sozialleistungen seien fest einkalkuliertes Einkommen in einem häufig auf Straftaten beruhenden Geschäftsmodell.«

Mag die Vermögensabschöpfung oder auch eine bessere internationale Vernetzung von Finanz- und Sozialämtern mit der Justiz erfolgversprechende Ansätze zur Bekämpfung der organisierten und der Clankriminalität bieten, so haben sich beide doch bereits als kulturprägend erwiesen. McMafia ist auch der Titel einer BBC-Serie, und Misha Glennys Werk wird als »Das Sachbuch zur TV-Serie« angepriesen, an der der Autor als Berater der Drehbuchschreiber mitgewirkt hat. Deutsche Rapper kokettieren mit Kontakten zum Clanmilieu, und seit Ende Oktober läuft auf TNT Serie die zweite Staffel von 4 Blocks, die in einschlägigen Kreisen Berlins spielt. An vorderster Front des Aktuellen scheinen die ins Bild gesetzten Fiktionen dem Sachbuch und selbst der journalistischen Reportage bisweilen vorauszueilen und die Kriminellen anzuregen, selbst filmreife Akzente zu setzen. So wurde im November in Dänemark der Radiomoderator und ehemalige Bandenchef Nedim Yasar erschossen. Er kam gerade von einer Feier anlässlich der Veröffentlichung seines Buchs Rødder (»Wurzeln«), in dem er seinen Versuch beschrieb, sich aus der kriminellen Szene zu lösen.

T. J. English: The Corporation. Aufstieg und Fall der kubanischen Mafia. Heyne, München 2018, 704 S., 28 €. – Ralph Ghadban: Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr. Econ, Berlin 2018, 304 S., 18 €. – Misha Glenny: McMafia: Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens. 2. Aufl., Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 599 S., 14,95 €.

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