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Die Rückkehr des Westernfilms

Jede Geschichte muss irgendwo spielen, und im Western ist dieser Ort so bedeutsam, dass durch seine Auswahl entschieden wird, ob es sich überhaupt um einen Western handeln kann. In den besten dieses Genres gelingt das Kunststück, die regionale Markierung, die extreme Ortsverbundenheit – und das heißt auch: die Begrenztheit – mit einer universellen Aussage zu verbinden. Dass diese universelle Aussage oft national kodiert ist, oder auch umgekehrt: dass mit der im Grunde nationalen Aussage ein universeller Anspruch erhoben wird, bildet den spezifischen Hintergrund, um über die aktuelle Renaissance des Westernfilms und die Rolle einer national gedeuteten Heimat nachzudenken.

Die nationale Kodierung der Western rührt von drei Bedingungen seiner Erzählweise her: Western sind erstens jenem Raum-Zeit-Gefüge gewidmet, welches im 19. Jahrhundert im Westen der heutigen USA existierte, daher der bereits ortsspezifische Name des Genres. Zum Zweiten wird parallel dazu eine Nationalisierung, hier in Gestalt einer neu entstehenden Nation beschrieben. Damit hängt die berühmte Einschätzung des bedeutenden französischen Filmkritikers André Bazin zusammen, der Western sei das amerikanischste aller Filmgenres, denn das bedeutet, eine symbolische Form hervorgebracht zu haben, die so ganz und gar mit diesem Raum, dessen Kulturisierung und Nationalisierung verbunden ist und nicht auf einem eingeführten, von den Migrierenden mitgebrachten Genre beruht. Zum Dritten wirkt dies auf das heutige und künftige Selbstverständnis innerhalb des US-amerikanischen Raumes weiter.

Wenn mit dem Western das Genre des US-amerikanischen Heimatfilms gerade eine Renaissance erlebt, nachdem es einige Jahrzehnte als nahezu tot galt, dann verweist dies auf eine, angesichts vielfältiger Verunsicherungen als notwendig angesehene, massenmedientaugliche und vermarktbare Befragung der eigenen nationalen Identität, deren Grundlagen mit den Mythen des Wilden Westens formuliert wurden. In den letzten beiden Jahren kamen mit The Revenant und The Hateful Eight (beide 2015) sowie mit Jane Got a Gun und dem Remake The Magnificent Seven (beide 2016) vier Hollywoodwestern in die Kinos, bei denen im genannten Rahmen nationaler Mythen verschiedene Konventionen bearbeitet werden, die mit der Eigenart des Westerngenres und aktuellen Spannungsfeldern zugleich verbunden sind, darunter die Rolle ethnischer Konflikte, die Rolle körperlicher Gewalt, die Rollen der Geschlechter und die Rolle des Ländlichen gegenüber der Stadt.

Dass Western lange als kaum relevantes Genre galten, liegt nicht nur daran, dass es ein historisches und insofern anachronistisches Genre ist, sondern auch daran, dass es ein Landschaftsgenre ist, und Landschaft wird oft, durch die intellektuelle Bevorzugung des Urbanen, mit dem Verdacht des Provinzialismus belegt.

In der Rede vom Provinzialismus wird das Dasein in einem bestimmten Raum als tendenzielle Bewegungslosigkeit aufgefasst, obwohl, im paradoxen Gegensatz dazu, der provinzielle Raum – und dies ist hier der ländliche Raum – wegen seiner physikalischen Weite und seiner geringeren sozialen Dichte, die er gegenüber der Stadt aufweist, einen größeren Bewegungsumfang sowohl bietet als auch nötig macht. Die Form der Bewegungslosigkeit, die mit dem Begriff des Provinzialismus gemeint ist, ist immer eine ideologische, die sowohl auf eine vermutete physikalisch räumliche Unbewegtheit als auch eine soziale, intellektuelle Starre bezogen wird. Die Rede vom Provinzialismus dient also dazu, den Lebensstil einer Gruppe parallel zu ihrem Lebensraum zu denunzieren. Wenn Donald Trumps Wahlerfolg pauschal den Menschen vom Land angelastet wurde, die man dafür als mindergebildet und weiß schilderte, so hatte auch diese Argumentation die Form einer Diskriminierung.

Das negierte Zentrum

Die Bedeutung von Westernlandschaften liegt darin, dass sie karg, weit und ohne Zentrum sind. Karg müssen sie sein, um den Wert des Überlebens darin zu einer Tugend zu steigern. Weit müssen sie sein, damit alle Wege offen bleiben. Ohne Zentrum müssen sie sein, um Ideale wie Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und Kampfbereitschaft zu dienen, die, als quasi ureigene US-amerikanische Werte propagiert, zu einem spezifischen Patriotismus überleiten. Wenn in Western die Existenz eines Zentrums negiert wird, so ist damit jede mögliche Urbanität ausgeschlossen, faktisch aber auch mutwillig, denn ein Zentrum ist auch ein Ort der Abhängigkeiten und gerade die Abhängigkeiten gilt es in den wichtigen, männlichen Heldenfiguren auszuschließen. In Trumps Wahlkampf wurde sowohl dieses Motiv – das negierte Zentrum als Motiv einer nationalen Identität der Eigenverantwortung – als auch dessen Gegenteil beworben. Denn Trump setzt sich selbst als Zentrum, mit dem entsprechende Hierarchien und Ausschlussverfahren etabliert werden.

In dem Western Jane Got a Gun von Gavin O’Connor wird mit dem Fehlen des Zentrums ein Dasein inszeniert, das aus existenziellen Erfahrungen besteht. Abseits einer zeitgenössischen sozialen Segmentierung wird hier die allgemeingültige Bedeutsamkeit des Lebens einer Frau dadurch gesichert, dass sie in einer weiten, einsamen Landschaft ihr Kind und ihren Mann beschützt, ihr Haus nicht aufgibt und sich einem tödlichen Konflikt stellt. Als Jane für einen Moment im Rahmen ihrer Haustür steht, nach draußen schaut und einen Reiter kommen sieht, ist diese Sequenz deutlich an dem ikonischen Western The Searchers von 1956 orientiert. In jenem Vorbild verliert, wie in vielen Western, das Haus als die minimale Version einer Heimat seinen Schutzcharakter, als die an das Haus gebundene Frau, ihr Mann und eines ihrer Kinder getötet und zwei weitere Kinder entführt werden. Demgegenüber ist das Neue an Jane, dass sie, angesichts einer offenkundigen Bedrohung, Waffen und Munition beschafft, einen Mann anheuert, der ihr bei der Verteidigung hilft und dass sie am Ende tatsächlich jenen, der sie bedrohte, selbst erschießt. Der Film ist mit seinem Titel identisch: Jane hat eine Waffe. Womit vermutlich beabsichtigt war, für Frauen eine emanzipatorische Rolle in diesem Genre zu definieren. Doch schließt sich die Aussage an ein weiteres Muster an, nämlich die Vorstellung, sich zum erfolgreichen Schutz mit Schusswaffen ausstatten zu müssen. Die emanzipierte Jane kann darum auch für jene Schicht von Konsumenten vorbildlich sein, welche die National Rifle Association (NRA) und die mit ihr liierte Waffenindustrie für Waffen zu begeistern sucht, nämlich Frauen und Kinder, darunter ausdrücklich auch Mädchen, denen mit einem rosa Schaft versehene Gewehre und Pistolen mit rosa Holstern offeriert werden.

Vergleicht man die Frauenfigur aus Jane Got a Gun mit der dominierenden Frauenfigur aus The Hateful Eight von Quentin Tarantino, so werden in diesen Filmen Frauen den Männern gleichgestellt, indem auch sie töten oder lustvoll getötet werden dürfen. Besonders das Letztere war entweder ein Tabu oder ein als Zivilisationsbruch markierter Vorfall in klassischen Western, in denen weiße Frauen die Rollen von Zivilisationsbringerinnen einnahmen, die bestimmte kulturelle Konventionen einforderten und Gewalt ablehnten. Was nun in dem Moment, in welchem Frauen die gleichen gewalttätigen Rechte wie Männern eingeräumt werden, entfällt, ist die Aufgabe, einen Ausgleich zu suchen und eine andere als eine gewaltsame Kommunikation zu etablieren. Auch wenn diese Aufgabe in klassischen Filmen geschlechtsspezifisch und darum mit diskriminierenden Auswirkungen besetzt war, so fehlt doch in neueren Filmen, wenn alle das gleiche Recht auf Gewalt besitzen, eine von anderen eingenommene ausgleichende Position.

Gewalt als vorherrschende Kommunikationsform

In The Hateful Eight geht es nicht nur um die offensichtliche Obsession des Regisseurs Gewalt zu zeigen, nicht nur um sein Interesse an ihren stofflichen, farblichen und skurrilen Begleitformen, sondern es geht um Gewalt als Kommunikationsform, oder besser gesagt als vorherrschende Kommunikationsform. Wenn es in klassischen Hollywoodwestern auch ein Zurückschrecken und Zögern gab, wenn Gewalt als letztes Mittel oder die gewalttätige Konfliktlösung als zeitlich begrenztes Frühstadium einer Gesellschaft behandelt wurde, dann wenden sich in Tarantinos Film alle dieser Kommunikationsform zu, um sie jederzeit recht emotionslos einzusetzen (ein Element, welches seine Filme unter anderem den europäischen sogenannten »Spaghettiwestern« verdanken) und um ein gesellschaftliches Klima vorzuführen, in dem alle allen misstrauen und potenziell verfeindet sind.

Erstaunlicherweise führt er in einer Rückblende das Idyll eines friedlichen, ethnisch und geschlechtlich korrekten Zusammenlebens vor. Er legt also das, was in der westlichen Welt als weithin gültiges, zu erreichendes Ideal gilt, in die Vergangenheit und kommentiert es mit Bildern von Zuckerstangen und bunt gefüllten Bonbongläsern. Diese weihnachtlich naive, heile Welt, welche er in einer eingeschneiten Postkutschenstation ansiedelt, wird mit dem Eintreffen einer Mörderbande in die gewalttätige Filmgegenwart überführt und dabei ausgelöscht. Die Zukunft aber bleibt offen, denn am Ende sind auch die Zerstörer, genau wie ihre nicht weniger zerstörerischen Gegner, tot oder werden bald sterben.

Das Problem verschwiegener ethnischer Vielfalt zugunsten von teilweise falschen homogenen, einseitig hierarchischen oder ausschließlich antagonistischen Figurenkonstellationen wird sowohl in diesem wie in Tarantinos vorherigem Western Django Unchained (2012) als auch in dem Remake The Magnificent Seven von Antoine Fuqua bearbeitet. Alle drei bieten eine im Genre bisher ungewöhnliche schwarze Hauptfigur. In Tarantinos neuestem Gruppenbild aus acht hasserfüllten Personen agiert ein schwarzer Kopfgeldjäger als böser Geist, der durch selbst erlebte, ethnisch motivierte Demütigungen und Gräuel letztlich zu dem Recht gelangt, eine eigene überschießende Gewaltbereitschaft zu kultivieren. In The Magnificent Seven werden die Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen zu einer erfolgreichen Vielfalt nivelliert, als sich ihre Vertreter für eine gemeinsame Aktion zusammenschließen.

In The Revenant von Alejandro G. Iñárritu hingegen bewegen sich deutlich gegeneinander abgegrenzte, ethnisch nahezu homogene Gruppen in einer lebensfeindlichen Umgebung. Ihre Begegnungen sind konfliktbeladen, doch zeigen sich, trotz der beibehaltenen Abtrennung, mehrere Übergänge, darunter einer, der auffällt, weil er selten gezeigt wird. Hier spricht ein Weißer in einer misstrauisch begonnenen Begegnung über erlebtes Unglück und endet mit der Aussage, dass seine Familie getötet wurde. Erst dieser letzte Satz erweckt in seinem indianischen Gegenüber wirkliche Empathie und er erwidert, dass auch seine Familie getötet worden sei. Die beiden Männer verständigen sich also durch die Ähnlichkeit einer Erfahrung und den gleichen Schmerz, den sie erleben, um die gefährlich besetzten Unterschiede zwischen den Gruppen zu überwinden.

Was die Zukunft betrifft, so hält das Westerngenre Gifte für fatale Entwicklungen bereit, für die Trumps Wahl symbolisch stehen kann: das Gutheißen selbst ausgeübter Gewalt, die Stigmatisierung von Eliten, mittels Rassismus zu erreichende Ziele, eine unsinnige Ökonomie des Beleidigtseins. Es bietet aber auch wirksame Gegengifte an: ethnischen Austausch, Emanzipation diskriminierter Gruppen und neu zu belebende, erfolgreiche Figuren der Gewaltlosigkeit. Im besten Fall nutzen positive Kräfte den mit Western vorgetragenen kreativen Anachronismus. Denn bei Western handelt es sich um historisierende Fiktionen, mit denen sich die außergewöhnliche Gelegenheit bietet, die Vergangenheit als einen Möglichkeitsraum zu verstehen, in dem das scheinbar Unveränderliche, da Vergangene, auf seine Erzählbarkeit zurückgeführt wird, um es so zu berichten, dass abgelegene und unterdrückte Erinnerungen ins Zentrum gerückt und bedenkliche Mythen konterkariert werden. Geht man davon aus, so ist mit den neuen Western eine mögliche Katharsis nicht in die Zukunft verlegt, sondern in die Vergangenheit, in jenen mythischen Raum, aus dem sich das nationale Gedächtnis speist und in welchem Verwerfungen angelegt sind, die heute deutlich zutage treten.

 

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