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»Die SPD brennt für Europa«

Im Gespräch mit der NG|FH erläutert sie, welche Antworten die Sozialdemokratie auf die europäischen Herausforderungen hat, wie der Gefahr von rechts begegnet werden sollte und was sie selbst immer wieder für Europa begeistert. Die Fragen stellte Thomas Meyer.

NG|FH: Es gibt ja einen breiten politischen Konsens der gemäßigten Bundestagsparteien über die europapolitischen Fragen. Was sind die Hauptthemen der Sozialdemokratie für den gegenwärtigen Wahlkampf?

Katarina Barley: Bei der Europawahl geht es um eine Richtungsentscheidung und um die Frage, wie wir künftig zusammenleben wollen: weltoffen, solidarisch und gemeinsam stark? Oder alle für sich, nach dem Motto »Ich zuerst«? Für uns bedeutet Europa Zusammenhalt und ein friedliches Miteinander. Wir treten an für ein soziales Europa, das den Menschen Schutz bietet – durch die Einhaltung fairer Löhne und gleicher Arbeitsbedingungen für alle und durch einen europäischen Mindestlohn. Wir wollen ein Europa, das für Steuergerechtigkeit sorgt. Dafür werden wir eine Mindestbesteuerung für Unternehmen einführen und auch die großen Internetkonzerne in die Pflicht nehmen. Wir wollen in die Zukunft investieren und in den Umwelt- und Klimaschutz, denn Herausforderungen wie die Digitalisierung und den Klimawandel werden wir nur gemeinsam meistern. Und wir wollen auch international geschlossen auftreten. Unser Europa sichert den Frieden und schafft ein neues Miteinander. Unser Zusammenhalt ist der Schlüssel zur Erfolgsgeschichte Europas. Wir wissen, dass wir zusammen stärker sind, und dass wir mehr erreichen, wenn wir mit einer Stimme sprechen – mit einer selbstbewussten Stimme, die in der Welt Gewicht hat. Europa ist die Antwort.

NG|FH: Worin bestehen die wesentlichen Differenzen zwischen den sozialdemokratischen Positionen und denen ihrer politischen Rivalen?

Barley: Meine Partei brennt für Europa seit ihrer Gründung. Für die »Vereinigten Staaten von Europa« hat die SPD schon mit ihrem Heidelberger Programm von 1925 geworben. Wie viel weiter wären wir heute, wenn sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten damit durchgesetzt hätten? Was uns von anderen unterscheidet, ist die tief verwurzelte Idee von einem gemeinsamen, starken und vor allem einem sozialen Europa als einer einzigartigen Gemeinschaft, die den Menschen in Europa Frieden und Zusammenhalt garantiert. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Zusammenhalt in Europa der Schlüssel ist, um Zukunftsängste und krisenhafte Entwicklungen in einzelnen Mitgliedstaaten zu begegnen...

NG|FH: …und das sehen etwa die Konservativen anders?

Barley: Die Konservativen leisten keinen Beitrag, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen. Im Gegenteil: Sie setzen auf nationale Alleingänge, ihr Programm ist ohne Vision und ohne Leidenschaft für Europa. Es geht ihnen nicht um Mindeststandards für eine soziale Sicherung, nicht um einen europäischen Mindestlohn, nicht um die Stärkung von Arbeitnehmerrechten. Statt zukunftsweisender Ideen, die die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern, setzt die Union auf Flugzeugträger. Unsere sozialdemokratische Antwort auf die globalen Herausforderungen ist ein soziales, ein geeintes, ein starkes Europa.

NG|FH: Wie buchstabieren wir in der aktuellen Krise und angesichts der sich abzeichnenden Risse in der Union »europäische Solidarität«? Muss die EU für die Sicherung ihres Zusammenhalts einige deutliche Schritte in Richtung Fiskalunion gehen, einschließlich der Bereitschaft zu einem echten Haushalt für die Eurozone, einem europäischen Finanzminister und – in der Sache, vielleicht nicht im Namen – einer Art Eurobonds?

Barley: Die Europäische Union wurde als Wirtschaftsunion gegründet, das hat vielen Menschen mehr Wohlstand gebracht. Damit haben wir zwar schon viel erreicht, aber wir wollen mehr: Ein gemeinsames Budget der Euroländer soll für mehr Investitionen sorgen, die erforderlichen Produktivitätssteigerungen und Anpassungen der Wettbewerbsfähigkeit befördern und die Stabilität der Eurozone sichern. Aus einem solchen parlamentarisch kontrollierten Eurozonenhaushalt sollen die Mittel auch und gerade in Schwächephasen zur Stabilisierung zur Verfügung stehen.

NG|FH: Aber woher sollen die benötigten finanziellen Mittel kommen?

Barley: Das, was für die Angleichung der Lebensbedingungen notwendig ist, wird u. a. gesichert durch die neu zu schaffenden Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer. Gleichzeitig wird die Effektivität der Kohäsionspolitik erhöht.

NG|FH: Müsste Deutschland dann nicht einen höheren Beitrag leisten?

Barley: Ja, aber wir sind auch bereit, höhere Beiträge Deutschlands zum EU-Haushalt beizusteuern, um gemeinsam mit unseren europäischen Partnern nach dem Brexit die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union zu sichern und den Ausbau der europäischen öffentlichen Güter zu befördern, was wiederum die nationalen Haushalte perspektivisch entlastet.

NG|FH: Welche Projekte verficht die SPD in den Bereichen Demokratisierung der EU und Herstellung einer echten Sozialunion?

Barley: Die Europäische Union steht unter großem Druck von innen und von außen, weshalb sie auch unbedingt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger braucht. Alle müssen spüren, was Europa konkret für sie verbessert. Die innerhalb Europas herrschenden, teils gravierenden Unterschiede bei der sozialen Absicherung der Beschäftigung müssen abgebaut werden. Deshalb ist es ganz wichtig, die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken. Wir brauchen faire Löhne: gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Und natürlich die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen. Wir fordern verbindliche europäische Standards für existenzsichernde Mindestlöhne.

NG|FH: Woran sollten sich diese orientieren?

Barley: Am Pro-Kopf-Einkommen oder dem Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Landes. Wenn 60 % des mittleren Einkommens des jeweiligen Landes als Untergrenze verankert würden, kämen wir in Deutschland auf einen Mindestlohn von zwölf Euro. In Europa soll wirklich jeder von seiner oder ihrer Arbeit leben können, egal, wo er oder sie zu Hause ist. Der Schutz der Beschäftigten soll durch europäische Regeln für angemessene Arbeitsbedingungen sowie Gesundheit und Sicherheit verbindlich festgelegt werden. Das verstehe ich unter einem sozialen Europa, das Vertrauen schafft.

NG|FH: Funktioniert so etwas immer nur sozusagen top-down, indem auf europäischer Ebene verabschiedet wird und die Bürgerinnen und Bürger damit klarkommen müssen?

Barley: Aus unserer Sicht müssen die Menschen natürlich viel stärker an inhaltlichen Debatten und Prozessen teilhaben und Entscheidungen besser nachvollziehen können. Es geht zum einen um bessere Informationen der Menschen über »ihr« Europa, aber auch um einen regelmäßigen Dialog und um echte Beteiligung über europäische Netzwerke.

NG|FH: Können Sie ein Beispiel nennen?

Barley: Mit der Europäischen Bürgerinitiative etwa können Bürgerinnen und Bürger die Europäische Kommission auffordern, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen. Zudem wollen wir mehr junge Menschen an Wahlen beteiligen, sie sollen über ihre Zukunft mitentscheiden. Dafür senken wir die Altersgrenze auf 16 Jahre. Auch das gehört für mich zu einem demokratischen Europa der Bürgerinnen und Bürger.

NG|FH: Es sieht ja so aus, als ob die rechtspopulistische EFDD-Fraktion und sogar auch die rechtsextreme ENF-Fraktion bei der Europawahl Zugewinne verzeichnen könnten. Da stellt sich die Frage, wie denn der »richtige« Umgang mit Rechten hier bei uns und europaweit aussehen könnte – sollte man sie eher ignorieren oder attackieren?

Barley: Wichtig ist, dass wir unsere eigene klare Haltung haben und glaubwürdig vertreten. Nationalisten und Rechtspopulisten schüren die Ängste der Menschen und ziehen daraus ihren Nutzen. Sie haben aber keine Lösungen, sondern schaffen Probleme. Mit gezielten Falschinformationen und Hetzerei wurde auch die Entscheidung über den Brexit beeinflusst. Vieles haben die Menschen geglaubt, das war fatal. Was nun passiert, hilft weder den Britinnen und Briten noch den anderen EU-Staaten. Der Brexit rüttelt aber auch viele Menschen auf und weckt das Bewusstsein für den Wert der EU. Aktuell sehen wir, dass die Umfragen für die Populisten europaweit zurückgehen.

NG|FH: Wie erleben Sie ganz persönlich die Haltung der Menschen zu Europa?

Barley: Bei meinen Begegnungen stelle ich immer wieder fest, dass die Begeisterung für Europa groß ist und dass Viele verstanden haben, dass es diesmal um eine Richtungsentscheidung geht. Ich suche den Kontakt zu den Menschen, um einen echten und ehrlichen Dialog zu führen. Wenn wir uns mehr zuhören und miteinander reden, finden wir als Gesellschaft auch wieder stärker zusammen. Es geht um Zusammenhalt und ein friedliches Miteinander in Europa. Das wird sich auch bei der Wahlbeteiligung zeigen, da bin ich sicher.

NG|FH: Was sind heute die Hauptelemente eines begeisternden europäischen Narrativs? Worauf gründet sich auch Ihre eigene Begeisterung für Europa?

Barley: Meine Begeisterung gründet sich auf meiner Familiengeschichte. Sie ist eine europäische Geschichte, geprägt von zwei Weltkriegen, Vertreibung, Flucht. Das hat Spuren hinterlassen, bis in meine Generation hinein. Als Tochter eines Briten und einer Deutschen sieht man mir meine ausländischen Wurzeln zwar nicht an, aber meine beiden Staatsangehörigkeiten haben mein Leben geprägt. Mein ganzes Leben war und ist überhaupt erst möglich geworden durch dieses freie, friedliche, grenzenlose Europa.

NG|FH: Sie haben Ende der 80er Jahre in Paris studiert, in einer Zeit, als das auch noch nicht ganz selbstverständlich war.

Barley: Richtig. In dieser Zeit habe ich auch meinen späteren Mann kennengelernt, unsere Kinder haben Großeltern aus vier europäischen Ländern. Wir wohnen im Vierländereck, dort, wo sich Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien berühren. Grenzen sind hier nicht viel mehr als Linien auf der Landkarte. Für mich bedeutet Europa Vielfalt und Zusammenhalt, Fortschritt und Freiheit. Europa ist für mich vor allem eins: unsere Zukunft. Ich weiß aber auch, dass dieses friedliche Europa alles andere als selbstverständlich ist. Nie war die Einheit Europas so sehr gefährdet wie jetzt. Meine Antwort ist ein Europa des Zusammenhalts, ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Ich habe gemeinsam mit meiner Partei nach meiner Wahrnehmung einen zupackenden und mitreißenden Wahlkampf geführt und führe ihn bis zum Wahltag, für ein starkes Europa!

NG|FH: Wir danken für das Gespräch und viel Erfolg für den 26. Mai!

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