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Die Verkehrswende gelingt nur sozial

Verkehrspolitisch liegen vier schwierige Jahre hinter uns. Selten sind politische Ambitions- und Ideenlosigkeit aufseiten der Union so offen zutage getreten, wie in der auslaufenden Legislaturperiode. Der noch amtierende CSU-Verkehrsminister hat sein Politikfeld und sein Ministerium uninspiriert geführt. Verkehrspolitik ist auf langfristig verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen, denn die klima-, industrie- und sozialpolitischen Herausforderungen gehören zu den zentralen Gestaltungsfeldern dieses Jahrzehnts.

Die SPD hatte durch das Versagen des CSU-Ministers die Chance eigene Impulse zu setzen und hat an vielen Stellen Schlimmeres verhindert. Für die beteiligten Branchen sind die Stärken unseres Politikangebotes und die Unterschiede zu den Mitbewerbern sichtbar geworden. Das ist gut. Aber insgesamt ist zu viel liegengeblieben. Die Zeit läuft uns davon.

Die kommenden Jahre sind entscheidend, wenn wir politisch schwer kontrollierbare Entwicklungen und Debatten vermeiden wollen. Das gerade von den Grünen gepflegte Ressentiment gegen das für viele noch immer unverzichtbare Auto offenbart ein gravierendes Unverständnis für den Zusammenhang von Mobilitäts-, Industrie- und Beschäftigungspolitik. Straßenbaustopp, sprunghaft steigende CO2-Preise oder die Zerschlagung der Deutschen Bahn sind Beispiele für Forderungen, die ein leistungsfähiges und auf Teilhabe ausgerichtetes Mobilitätssystem in Deutschland eher gefährden als fördern. Hier wird deutlich, wie sich die SPD vom aktuellen Koalitionspartner und den Grünen in ihrem verkehrspolitischen Grundverständnis klar unterscheidet: Die einen hoffen auf technologischen Fortschritt, ohne ihn gestalten zu wollen und überlassen alles der Wirtschaft; die anderen leben Verbotsreflexe aus und vernachlässigen soziale Aspekte wie Bezahlbarkeit und Arbeitsplätze.

Selten hatte die Verkehrspolitik auf so viele Politikfelder direkten Einfluss. Aus einem eher technisch geprägten Bereich, der mehr etwas für Fachleute war, ist eines der zentralen Zukunftsthemen geworden. Verkehrspolitik muss heute immer auch Klima-, Industrie- und Technologiepolitik sein und auch den Städtebau miteinbeziehen. Vor allem die Ökologisierung des Verkehrssektors betrifft alle Bereiche. Der Klimaschutz hat immer noch ein enorm disruptives Potenzial. Vor allem aber ist er technologisch – und zwar über die Antriebsfrage hinaus – einer der größten Innovationstreiber. Der Umbau unseres Mobilitätssystems ist daher untrennbar mit der globalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen verbunden.

Realistisches Verhältnis zwischen Schiene und Straße

Vor diesem Hintergrund kombinieren wir Realismus und Ambition. Pragmatismus ist selten populär, aber er ist notwendig, um zu den realen Herausforderungen vorzudringen und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Ein Beispiel ist das Verhältnis zwischen Schiene und Straße. Wenn sogar der Vorstand der DB Cargo signifikantes Wachstum auf der Schiene erst für Ende dieses Jahrzehnts prognostiziert, weil technologisch und bezüglich der Kapazitäten nicht mehr gehe, dann bedeutet das nicht, dass wir unsere Ziele neu justieren müssen. Es heißt, dass wir den Ausbau und die Modernisierung endlich ernst nehmen und schneller vorantreiben sollten. Das bedeutet aber auch, dass wir die Straße ebenso weiter brauchen werden. Ideologische Debatten gegen den Straßenverkehr helfen nicht weiter, sondern sind schlicht Blendwerk. Die »urbanen Hipster« hätten es am liebsten, wenn wir den Straßenverkehr schlicht verbieten oder so verteuern, dass es für Menschen mit kleineren Einkommen einem Verbot gleichkäme.

Wir hingegen arbeiten mit den Unternehmen und den Gewerkschaften daran, den Straßenverkehr sowohl im Personen- als auch im Güterbereich zu elektrifizieren und so klimaneutral zu organisieren.

Wir müssen Mobilität neu denken. Wir brauchen einen neuen Planungsrahmen, der alle Verkehrsträger mit einbezieht und den Bundesverkehrswegeplan in seiner bisherigen Form ablöst. Dafür wollen wir einen Bundesmobilitätsplan erarbeiten, der Mobilität in Deutschland als Gesamtsystem betrachtet. Das bedeutet, dass zum Beispiel neben Schienen, Straßen und Wasserwegen auch Radschnellwege und regionale Verkehre in ihrer Wirkung miteinbezogen werden. Mit einem massiven Ausbau des ÖPNV und neu organisierten Pendlerverkehren werden diese Bereiche unmittelbare Relevanz für das gesamte Verkehrswegenetz haben.

Aus unserem Wahlprogramm lassen sich auf der Basis für die kommende Legislaturperiode drei zentrale Handlungsfelder ableiten: Innovation und Elektrifizierung, Ausbau der Schiene und die Stärkung des ÖPNV.

Den elektrifizierten Antrieben gehört verkehrs-, klima- und industriepolitisch die Zukunft. Wir wollen alle Anstrengungen darauf fokussieren, diese Herausforderung zu meistern. Es geht darum, die Verkehrswende mit technologischem Fortschritt zu verbinden. Unser Ziel ist nicht mehr nur eine Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehr, sondern die komplette Defossilisierung der Mobilität in Deutschland und Europa. 2030 müssen bereits maßgebliche Reduktionsschritte erfolgt sein, um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen. Im Bereich Pkw haben wir gemeinsam mit Autoindustrie, Herstellern und Zulieferern, aber auch mit Gewerkschaften und Betriebsräten einen verlässlichen Entwicklungspfad hin zur E‑Mobilität eingeschlagen. Unser Ziel von 15 Millionen E‑Fahrzeugen bis 2030 ist ambitioniert. Wenn der Trend des letzten Jahres aber anhält, können wir dieses Ziel sogar übererfüllen. Ein staatliches Verbot des Verbrennungsmotors wäre daher eher Symbolpolitik. Unser Ziel ist, den Verbrennungsmotor im Pkw-Bereich bis spätestens Mitte der 2030er Jahre überflüssig zu machen.

Woran es aktuell noch hakt, ist der Ladesäulenausbau. Angesichts der verfügbaren Investitionsmittel müssen wir in den kommenden vier Jahren auch bei der Zahl der Ladesäulen deutlich vorankommen. Das »Fit for 55‑Paket« der EU-Kommission hat den verpflichtenden Ausbau auch europaweit festgeschrieben. Auch im europäischen Ausland müssen wir also absehbar keine Reichweitenangst mehr haben. Das gilt insbesondere auch für den Güterverkehr. Auch hier stehen mit Batterie oder Brennstoffzelle auf Wasserstoffbasis ab Mitte dieses Jahrzehnts Alternativen mit elektrifizierten Antrieben zur Verfügung.

Die E‑Mobilität wird die sich weltweit durchsetzende Technologie sein. Deshalb werden die Batterietechnologie und der Kompetenzaufbau bei der Digitalisierung der Fahrzeuge zu einem entscheidenden Faktor für den Export und damit für Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland. Für uns ist wichtig, dass die steigenden Produktions- und Verkaufszahlen zu sinkenden Kaufpreisen führen, sodass auch ohne Kaufprämien mittelfristig E‑Fahrzeuge als bezahlbare Alternative für Durchschnittsverdiener wettbewerbsfähig sind. Das Auto wird absehbar und gerade auf dem Land Verkehrsmittel Nummer eins bleiben. Ich möchte, dass sich das auch mit der Umstellung auf E‑Fahrzeuge weiter alle leisten können, die auf das Auto angewiesen sind. Aus genau diesem Grund lehnen wir einen sprunghaften Anstieg des CO2-Preises ab. Wir haben einen verlässlichen, staatlich gesteuerten Preispfad beschlossen. Aber wir brauchen zuerst bezahlbare Alternativen.

Zentrale Voraussetzung für das Gelingen der Verkehrswende ist, die von Olaf Scholz begonnene Investitionslinie fortzusetzen und einen klaren Fokus auf mehr Mittel für den Aus- und Neubau bei der Schiene zu setzen und die Modernisierung des Fuhrparks und die Digitalisierung voranzutreiben. Gleichzeitig braucht es bei der Bahn ein ambitionierteres Vorgehen bei der Ausweitung des Betriebs in der Fläche und der Erprobung neuer Betriebskonzepte. Um das umzusetzen, muss die DB AG als integrierter Konzern besser werden, die Strukturen verschlanken und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Die Rechtsform einer Aktiengesellschaft hat sich bislang nur bedingt bewährt. Wenn wir daher sehen, dass der Konzern in seiner inneren Struktur nicht aus sich selbst heraus reformfähig ist, muss man die Frage der Rechtsform mit dem Ziel einer stärkeren Gemeinwohlorientierung erneut diskutieren.

Der Bund als Haupteigentümer muss anders als in den letzten Jahren eindeutiger steuern und lenken. Der Vorstand der DB AG muss auf die Klimaschutzziele verpflichtet, die Bahn zum Rückgrat der Mobilitätswende werden. Gewinnstreben darf dabei nicht im Vordergrund stehen, sondern z. B. die flächendeckende Anbindung aller Mittelzentren an den Schienenpersonenfernverkehr.

Gleichzeitig muss das ständige Vertagen von systemrelevanten Großprojekten beim Schienenausbau ein Ende haben. Der Erfolgsmaßstab ist das Schienennetz 2030. Dafür brauchen wir mehr Personal und schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Es hilft nur bedingt, wenn das Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz mit an die oberste Stelle setzt, wir dann aber beim Umbau unseres Verkehrssystems 20 Jahre über eine einzelne Schienenstrecke diskutieren.

Umweltverbund in den Städten, Vernetzung mit dem Umland

Die SPD ist traditionell ÖPNV-Partei. Das ist für uns auch der Anknüpfungspunkt für die Mobilitätswende vor Ort. Wir setzen auf eine Stärkung des Umweltverbundes in den Städten und vor allem auf die Vernetzung mit dem Umland. Dafür braucht es Lösungen, die auf die jeweilige kommunale und regionale Situation angepasst sind. Der ÖPNV sollte über Mobilitätsstationen an den Stadträndern den Verkehr aus der Fläche effektiv mit alternativen Mobilitätsmöglichkeiten in der Stadt verknüpfen. Mehr Flexibilität, höhere Qualität, mehr Komfort, Bedarfsverkehre und die Einbindung von Ride-/Carsharing und Pooling sind die Zukunft. Die SPD setzt sich für eine Mobilitätsgarantie ein, die allen Bürgerinnen und Bürgern sowohl in der Stadt als auch auf dem Land einen wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr bietet. Für den Umbau unserer Städte hin zu einer Neuverteilung des öffentlichen Raums haben wir das Programm »Klimamobil« ins Leben gerufen. Wir sehen, dass der ÖPNV als Gesamtsystem mehr Geld braucht, um moderner und besser zu werden. Was der Bund dabei leisten kann, was eher Länder und Kommunen, und welche neuen Finanzierungsquellen dafür in Betracht kommen, das wollen wir zu Beginn der nächsten Legislatur auf einem ÖPNV-Gipfel diskutieren.

Viele zentrale Felder, die zum verkehrspolitischen Kerngeschäft gehören, habe ich in dieser Betrachtung ausgeklammert. Die Herausforderungen etwa im Schifffahrts- und im Luftfahrtbereich, bei den zu Fuß Gehenden und Radfahrenden oder auch die Verkehrssicherheit sind deshalb aber nicht geringer. Außerdem stehen auch wichtige Finanzierungsentscheidungen an. Bei der Kfz-Steuer besteht absehbar weiterer Reformbedarf angesichts wegbrechender Einnahmen aus der Mineralölsteuer und der zunehmenden Zahl steuerbefreiter E-Fahrzeuge. Dabei müssen wir die fiskalischen Rahmenbedingungen des Verkehrs als Ganzes diskutieren. Künftig muss es heißen: »Verkehr finanziert Verkehr«. Das alte Mantra der Union »Straße finanziert Straße« hat ausgedient. Wir brauchen eine klare Investitionspräferenz für die Schiene.

Zentral über alle Verkehrsträger hinweg sind für die SPD die Arbeitsbedingungen im Transport- und Logistikgewerbe. Wir brauchen Regeln, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland schützen und auch mit unseren europäischen Nachbarn für fairen Wettbewerb sorgen. Lohndumping, schlechte Arbeitsbedingungen und Stress durch kaum zu schaffende Leistungsziele sind nicht hinnehmbar. Dafür ist die EU-Ebene entscheidend. Wir brauchen einen Schutz der deutschen Arbeitnehmer in diesem häufig mit unlauteren Mitteln geführten Wettbewerb. Angesichts der großen Transformationsherausforderungen gerät dieser Punkt bei den anderen Parteien häufig aus dem Blick. Für die SPD ist er zentral. Die ökologische Verkehrswende sozial gestalten bedeutet daher nicht nur Teilhabe und Bezahlbarkeit von Verkehrsleistungen, sondern vor allem auch die Beschäftigten der Branche bei diesem Umbau mitzunehmen und sie im Wandel zu schützen.

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