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© Foto: picture alliance / Westend61 | Steve Brookland

Chancen, Anforderungen und Widerständigkeiten des Homeoffice Digitale Arbeitskulturen

TV-Serien, Modemagazine, Social Media spiegeln es eindrucksvoll: Arbeit findet derzeit – wenn möglich – zu Hause statt. Serienheld/innen sitzen am Küchentisch, räumen schmutziges Geschirr und LEGO-Berge gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Videokonferenz aus dem Blickfeld der Kamera, Katzen-Memes tragen Kopfhörer und jammern über schlechte Internetverbindungen und die Bekleidungsindustrie wirbt mit Gemütlichkeit, die die Models alle auf »Homeoffice-Tauglichkeit« getestet hätten. Arbeit findet, nicht erst seit dem entsprechenden Regierungsappell zur Pandemiebekämpfung, zunehmend digital und zu Hause statt.

Arbeit im Homeoffice ist grundsätzlich für diejenigen Menschen möglich, deren Arbeitsmittel mobil sind. In den Sinn kommen dabei zunächst computergestützte Tätigkeiten: Modellierungen, Berechnungen, Planungen und grafische Arbeiten, Texterstellung oder Webcontent-Pflege. Aber auch Gesprächsarbeit via Telefon, Lehre oder Coaching finden im Homeoffice statt. Nicht nur Angestellte, auch viele Selbstständige unterschiedlichster Berufe erledigen ihre Arbeit oder Teile davon zu Hause. Für viele von ihnen sind Privat- und Geschäftsräume hochgradig vermischt. Eine klare Bestimmung, wo Homeoffice beginnt bzw. endet, erscheint daher schwierig. Denn nicht unbedingt die Arbeitstätigkeit zu Hause ist zentral, sondern vielmehr die Verlagerung von Bürotätigkeiten in den privaten Raum. Entscheidend hierfür ist die Digitalisierung.

Als Alltagskulturwissenschaftler:innen verstehen wir Digitalisierung nicht einfach als gegeben, sondern vielmehr als menschengemacht, als planvoll und dynamisch. Sie wird initiiert, genutzt und auch verweigert. Richtet man den analytischen Blick auf Alltagshandlungen und ganz konkrete Arbeitskontexte, so wird deutlich, dass sich die Digitalisierung von Arbeit in unterschiedlichen Dimensionen zeigt, geradezu exemplarisch sichtbar wird das mit Blick auf das Homeoffice und dessen pandemiebedingte und künftige Relevanz. Konkret unterscheiden wir drei Perspektiven: Fokussieren wir erstens auf digitalisierte Arbeitskulturen, so interessieren wir uns vor allem für die arbeitenden Personen, deren Motivationen (»Ich will nicht krank werden« oder »Endlich muss ich nicht mehr so oft zur Arbeitsstelle pendeln«) und Techniken (räumlich distantes, aber dennoch gemeinsames Arbeiten über E-Mails, Videochats oder dem Teilen von Dokumenten via Cloud). Zweitens: Unter digitalen Arbeitskulturen verstehen wir Tätigkeiten, die vornehmlich im Web stattfinden und deren Arbeitskraft dort wirksam wird (Pflege von Intranet oder CMS-Systemen, Erstellung von Inhalten für Blog- oder Wiki-Plattformen, Suchmaschinen-Optimierung, Social-Media-Marketing). Die digitalisierenden Arbeitskulturen bezeichnen schließlich drittens das spannende Feld der Herstellung und Aufrechterhaltung der digitalen Arbeit: Das Einrichten von Computern, auch im »Büro zu Hause«, das Einfügen neuer Werkzeuge oder Warten von anonymisierten VPN-Zugängen und Cloud-Diensten, um überhaupt digital arbeiten zu können. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive lautet in Bezug auf das Homeoffice die im Moment spannendste Frage: Wie werden Arbeitsalltage im Homeoffice hergestellt, umgesetzt und gedeutet?

Flexibilisierung und Entgrenzung

Nicht alle Arbeiten können aus dem privaten Raum heraus erledigt werden. Homeoffice-Tätigkeiten unterliegen speziellen Voraussetzungen, die oft in den weiten Bereich der Wissensarbeit fallen. In der Regel sind dies relativ gut bezahlte Tätigkeiten, häufig haben die Ausführenden höhere Bildungsabschlüsse. Mehr Freiräume also für bereits privilegierte Arbeitnehmende? Ganz so einfach ist es nicht. Viele Selbstständige, die ihre Einkommen in tendenziell prekären Arbeitsverhältnissen erwirtschaften, arbeiten ebenfalls von zu Hause aus, beispielsweise im Bereich des Paid Crowdsourcing oder als Erstellende von Web-Content. Hinzu kommt einschränkend für alle: Die theoretische Möglichkeit, einen gewissen Teil der Arbeitstätigkeit zu Hause durchführen zu können, misst sich immer auch an den heimischen Realitäten.

Dabei fallen zunächst räumliche Einschränkungen ins Gewicht: Steht ein eigenes, ruhiges Arbeitszimmer, ein Dienst-Notebook oder ein privater PC zur Verfügung? Muss der Wohnzimmertisch zum Arbeitstisch umgenutzt werden? Eng damit verbunden sind technische Einschränkungen. Ist die Internetverbindung stabil? Sind die notwendigen Programme und Dateien zu Hause verfügbar und die Arbeitstätigkeiten nahtlos digitalisiert? Oder kommt ein Arbeitsfluss abrupt zum Erliegen, weil ein Dokument im Büro abgeheftet ist? Schließlich: Inwieweit sind Anpassungen der Büroarbeit im Homeoffice nötig, um kollegialen Austausch zu gewährleisten und Wissen fließen zu lassen, ohne technische Sicherheitsvorkehrungen außer Acht zu lassen?

Die Herstellung von sozialen wie emotionalen Beziehungen erweist sich als besondere Herausforderung des digitalen Arbeitens. Der Arbeitsort Büro bietet da zweifelsfrei Vorteile: kollegialer, direkter Austausch, Vergemeinschaftung in Meetings und Mittagspausen, sowie gewisse Verbundenheit zu Arbeitsort und Arbeitgebenden, schließlich auch die Rahmung »bei der Arbeit zu sein«, die entsprechend professionelle Haltungen und Normen mit sich bringt. Zu Hause wird das Soziale schnell zur Einschränkung: Wenn die eigenen vier Wände zum Großraumbüro werden, sind auch dort Ruhe und Konzentrationsfähigkeit nötig. Wer ist home – und nicht im office? Gerade Familien mit verteilter Nutzung des Wohnraums haben einen größeren Koordinationsbedarf und somit deutlich mehr Hürden zu nehmen als Personen, die ihren Arbeitstag eigenverantwortlich einteilen. Mit diesen räumlichen, technischen und sozialen Einschränkungen untrennbar verbunden sind die Begriffe von Flexibilisierung und Entgrenzung.

Im Homeoffice scheinen Arbeitende mehr Hoheit über ihre Arbeitszeit zu gewinnen. Sie können sich ihre Arbeit – vermeintlich – selbst einteilen und an eigene zeitliche Bedürfnisse anpassen. Diese Flexibilisierung verspricht größere Freiheit. Den Nachwuchs von der Schule abholen, vormittags einen medizinischen Termin wahrnehmen oder passendere Pausen einlegen – all das ist jenseits der gewohnten Arbeit im Büro leichter vereinbar. Arbeitsphasen können anders über den Tag verteilt werden, auch weil beispielsweise Anfahrtswege zur Arbeitsstelle entfallen. Dennoch bleibt am Ende des Tages nicht notwendigerweise mehr Zeit durch die gewonnene Flexibilität.

Die Verlagerung beruflicher Tätigkeiten in den Rahmen des Privaten lässt deren Trennung verschwimmen. E-Mails, die noch spät abends geschrieben werden, oder Arbeit, die am Wochenende nachgeholt wird, sind Beispiele für den Übergriff dienstlicher Tätigkeiten in den Rahmen des Privaten. Noch deutlicher wird das in Arbeitsalltagen, in welchen das eigene Leben zum Gegenstand des Kapitalerwerbs wurde, wie etwa bei Lifestyleblogger:innen, die ihren Alltag mit digitalen Techniken in sozialen digitalen Netzwerken präsentieren – ohne das aber als Arbeit zu verstehen. Arbeit, die in anderen Bereichen bislang klar von Ort und Zeit gerahmt wurde, wird durch das Homeoffice und weitere Facetten digitaler Arbeit entgrenzt. Die zunehmenden Freiheiten bergen so gesehen auch Gefahren der Dysbalance und der Entprivatisierung des Privaten.

Alltag und Arbeit: Was bleibt vom Homeoffice nach der Pandemie?

Bereits während der COVID-19-Pandemie arbeiten längst nicht alle Arbeitnehmende, die dies auch könnten, im Homeoffice. Potenziell möglich ist Arbeit aus dem Homeoffice nur an etwa jedem zweiten Arbeitsplatz, wenngleich das Homeoffice-Potenzial allein nichts darüber aussagt, ob Arbeiten auch tatsächlich von zu Hause erledigt werden – und in welchem zeitlichen Umfang. Welche Zukunft hat das Homeoffice, wenn der Infektionsschutz nicht mehr im Zentrum steht?

Selten erfolgt der Wechsel ins Homeoffice in Vollzeit. Dies legt den Schluss nahe: Homeoffice kann auch nach der Pandemie ein ergänzender Arbeitsmodus bleiben. Gerade in Unternehmen, die digitale Arbeit zu Hause bereits praktizieren, ist ein hybrider Workflow aus Büropräsenz und Homeoffice eingeübt. Videokonferenzen sind zur Normalität geworden, neue Kommunikationsalltage haben sich etabliert. Erfahrungswerte zur Arbeitsleistung, zur individuellen Zufriedenheit, aber auch zur Entgrenzung und Vermischung von Arbeits- und Privatleben bestehen – und damit lässt sich situationsbezogen einschätzen, welche Versprechungen das Homeoffice tatsächlich auch einlöst. In entsprechenden Berufen kann es auch in Zukunft eine ernstzunehmende Option sein, Arbeitsalltage mehr nach den Vorstellungen der Beschäftigten zu gestalten.

Gewiss besteht eine Schwierigkeit auch darin, gesellschaftliche Ungleichheiten durch das Homeoffice nicht weiter zu verstärken und Berufsfelder, die an Präsenz am Arbeitsplatz gebunden sind, äquivalent attraktiv zu halten – hierbei wären vor allem Arbeitgebende gefordert. Zugleich ist festzuhalten, dass Arbeitsstellen, die nicht Homeoffice-tauglich sind, keinesfalls weniger attraktiv sind! Das zeigt etwa der erhöhte Strukturierungsbedarf, den Arbeit im Homeoffice mit sich bringt.

Denn Flexibilität als Ausdruck des prinzipiell Möglichen wird schnell eingezäunt: Disziplinierungsmechanismen wie geteilte Terminkalender, differenzierte Zeitbuchungssysteme oder tägliche Telefonkonferenzen, die die Anwesenheit aller Beteiligten zu einer bestimmten Uhrzeit erfordern, lassen die scheinbare Eigenverantwortlichkeit der Arbeit zu Hause schnell wieder in kollektiven Notwendigkeiten aufgehen. Doch sind digitale Arbeitskontexte keineswegs als starre Systeme zu verstehen. Vielmehr haben in all diesen Abläufen und Systemen auch die Anwendenden und Nutzenden, die Arbeitnehmenden und -gebenden je spezifische Handlungsmacht, um ihrem »Eigensinn« entsprechend ihren Arbeitsmotivationen und -rhythmen zu folgen.

Sicherlich funktioniert Vieles in gegenwärtigen Homeoffice-Situationen nicht reibungslos. Arbeit von zu Hause ist nicht die eine Antwort auf alle Herausforderungen der gegenwärtigen Arbeitswelt. Sie ist aber in wohldosierter Form ein Angebot, das vielen arbeitenden Personen durch angemessene Flexibilität entgegenkommen kann. Unter kritischer Beobachtung individueller Situationen und Verhältnisse zeigen unterschiedliche Ansätze wie Kontingentmodelle von Homeoffice-Tagen, wie Homeoffice zu einer echten Option wird, um Arbeitswelten an künftige Anforderungen anzupassen – die auf Gemütlichkeit getestete Mode und Präsenz des Homeoffice in Fernsehserien und Social Media markieren erste Schritte aus unserer Gegenwart in Richtung einer solchen Zukunft.

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