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Wie das »Metaverse« die demokratische Gesellschaft gefährdet und wie man dem begegnen kann Digitaler Spaltung widerstehen

Seit Mark Zuckerberg sein Unternehmen im Herbst 2021 von Facebook in »Meta« umbenannt hat und zweistellige Milliardenbeträge in die technische Entwicklung des sogenannten »Metaverse« investiert, ist dieser Begriff in aller Munde. Das Metaverse kann als eine erweiterte digitale Realität (XR) beschrieben werden, in der die virtuelle Realität (Virtual Reality, VR), die sogenannte erweiterte Realität (Augmented Reality, AR), der Cyberspace, das Internet und die echte physische und psychische Welt verschmelzen.

Zuckerberg spricht vom »verkörperten Internet«, das wie ein dreidimensionaler Raum erlebbar wird. Es ist dabei einerseits ein sozialer Raum, in dem man arbeiten, Freunde treffen, spielen, lernen, Freizeitbeschäftigungen nachgehen und immersive neue Sinneseindrücke erleben kann. Die User:innen können dabei mithilfe von Avataren miteinander in Kontakt treten.

Andererseits ist es ein wirtschaftlicher Raum, in dem man mit Kryptowährungen shoppen, Grundstücke erwerben und diverse Investitionen zum Beispiel in Form von Non-Fungible Tokens (NFTs), einzigartigen digitalen Vermögenswerten, tätigen kann. Technische Spielereien für die User:innen wie VR-Headsets oder haptische Anzüge werden dabei eine Rolle spielen, genauso Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain, Internet of Things (IOT) oder 5G, da sie die Nutzungsszenarien im Metaverse ermöglichen, erweitern und verbessern.

Der Begriff »Metaverse« stammt aus der Science-Fiction: Zuckerberg hat ihn dem dystopischen Roman Snow Crash von Neil Stephenson aus dem Jahr 1992 entliehen, in dem sich demokratische Strukturen aufgelöst haben, Konzerne die Welt regieren und diejenigen, die die Möglichkeit dazu haben, sich aus der tristen und brutalen Realität in ebenjenes Metaverse flüchten. Dass Zuckerberg sein Unternehmen und seine Vision als bekennender Science-Fiction-Fan danach benannt hat, lässt also tief blicken. Science-Fiction-Visionen sind aber weniger Zukunftsvorhersagen als vielmehr Gegenwartskommentare. Die Frage ist also nicht, ob und welche Science-Fiction-Version sich bewahrheiten wird, sondern welchem Narrativ wir für die aktuellen Entwicklungen folgen wollen.

Snow Crash ist dem Science-Fiction-Subgenre des »Cyberpunk« zuzurechnen. »Cyber« steht dabei für alle denkbaren digitalen Technologien, von Künstlicher Intelligenz über virtuelle Welten (Cyberspace) bis hin zu Computer-Hirn-Schnittstellen; »Punk« steht für die Kritik am Establishment. Der Stil von Cyberpunk wurde vor allem durch Filme wie Blade Runner (1982) oder William Gibsons Roman Neuromancer (1984) geprägt, später durch die Ghost in the Shell-Mangas und das Matrix-Franchise weiter popularisiert, bis zu dem 2020 erschienenem Computerspiel Cyberpunk 2077.

Kennzeichnend für Cyberpunk sind düstere Schauplätze, die oft in schäbigen Megacities angesiedelt sind. An die Stelle von gemeinwohlorientierter Politik sind die wirtschaftlichen Interessen großer Tech-Konzerne getreten. Das Cyberpunk-Narrativ kann man als »High-tech, but low life« zusammenfassen. Trotz fortschrittlicher Erfindungen und Technik ist das Leben doch prekär und deprimierend: Daten machen süchtig und abhängig, Zugänge sind kommerzialisiert und zentralisiert, Technologie wird eingesetzt, um andere zu unterdrücken. Die Gesellschaften sind geteilt zwischen arm und reich, machtlos und mächtig, unqualifiziert und technisch versiert, unfrei und frei.

Einem Cyberpunk-Narrativ entspricht die Idee von zentralisierten und kommerzialisierten Metaversen, die nur von wenigen Betreiberfirmen bereitgestellt werden, die alle Plattformen, Apps, Tools, Transaktionen und Bewegungen beobachten und nachverfolgen können. Da alles aus einer Hand kommt, wird es den User*innen erschwert, zu anderen Anbietern zu wechseln – man spricht von einem »Lock-in-Effekt«. Kommerzialisiert bedeutet, dass die Geschäftsmodelle auf dem Weiterverkauf von Nutzerdaten an Werbetreibende oder auf der Weiterverwendung für andere gewinnbringende Zwecke beruhen, wie wir es bereits von der Facebook-Plattform des Meta-Konzerns und vielen anderen Unternehmen kennen.

Menschen werden zu Produkten

So werden Zugang, Funktionsweise und Algorithmen derart gestaltet, dass die Menschen so viele Daten wie möglich produzieren. Kernelement ist dabei, die Aufmerksamkeit der User*innen zu steuern und festzuhalten, was durch die zunehmende Immersion – das Erleben der digitalen Welt wie die echte Welt – immer effektiver wird. Dabei geht es nicht nur darum, dass die User*innen auf der Plattform lediglich mehr Daten produzieren, sondern auch darum, durch neue technische Mittel mehr Daten aus neuen Nutzerzuständen abzugreifen.

In einer solchen Welt sind Menschen keine Bürger*innen mehr, sondern nur mehr Produkte. Schreiben wir die negativen Effekte, die bereits von bestehenden Social-Media-Plattformen bekannt sind – Fake-News und Filterblasen, Hate-Speech und Polarisierung, Verzerrungen und Diskriminierung, Überwachung sowie gezielte Werbung und Angebote – auf einer neuen Ebene zunehmender Immersion im Metaverse fort, dann scheint eine immer stärker werdende Spaltung der Gesellschaft vorprogrammiert.

Am bewussten Gegenentwurf versucht sich Solarpunk. Der Name der jungen, erst etwa zehn Jahre alten Science-Fiction-basierten Bewegung setzt sich zusammen aus »Solar«, was für alle Formen der nachhaltigen Energiegewinnung steht, und wiederum aus »Punk«. Darunter soll aber nicht nur eine über den Cyberpunk hinausgehende Systemkritik verstanden werden, sondern eine tatsächliche Umgestaltung der Strukturen.

Solarpunk ist als Label für Wertvorstellungen einer nachhaltigen, gerechten und positiven Zukunft zu verstehen. Die hellen Technikzukünfte und einladenden städtischen Umgebungen basieren auf einem starken Sinn für Gemeinschaft und Zusammenarbeit. Das Solarpunk-Narrativ kann man als »Nicht oder, sondern und« zusammenfassen. Gemeint ist damit, dass wir technischen und sozialen Fortschritt brauchen, um gemeinsam ein neues Verständnis einer Mensch-Natur-Technikbeziehung zu schaffen. So sind Systeme dezentralisiert und entkommerzialisiert, Zugänge interoperabel, Daten werden geteilt, Technologie ermöglicht Befreiung und Befähigung – und die Energiegewinnung funktioniert nachhaltig, effizient und umweltschonend.

Wo liegen also Möglichkeiten für ein »Und«? Wie ließe sich ein Metaverse mit technischem Fortschritt und Gemeinsinn realisieren? Einem Solarpunk-Narrativ entspricht zunächst eine europäische Idee mit technischen Standards, interoperablen Plattformen sowie einer ermöglichenden Regulierung. Doch jenseits größer angelegter politischer Verfahren, die zwar jetzt von verschiedenen Akteuren angeschoben werden müssen und dies bereits auch werden, können alle Anbieter*innen und Betreiber*innen von Metaverse-Plattformen ganz konkret an einem positiven, demokratischen Metaverse arbeiten.

Schließlich existiert aktuell schon eine Vielzahl an Metaverse-Anwendungen in den unterschiedlichsten Bereichen von Wartungsunterstützung bei Industriemaschinen über kollaborative Arbeitsumgebungen bis hin zu verschiedenen Bildungsangeboten, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Das Metaverse eröffnet für alle Akteure, die eine Metaverse-Plattform aufbauen beziehungsweise betreiben möchten, die Chance, eigene Räume eines demokratischen Werteverständnisses mit Mitbestimmung und Beteiligung auszuprobieren und zu schaffen. Jede und jeder kann die eigenen Ziele transparent machen, Zuständigkeiten definieren und so für Vertrauen sorgen. Im Sinne eines demokratischen, gemeinschaftlichen Prozesses sollten Formen der Partizipation gefunden werden, die die Möglichkeiten bieten, verschiedene Stimmen anzuhören und so zu mehr Diversität und Inklusion führen.

So kann man sich beispielsweise vorstellen, dass das Metaverse auch insbesondere Chancen für die aktive Teilhabe von Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen bietet. In diesen sensiblen Bereichen ist eine Verbindung zwischen technischer Expertise und sozialer Kompetenz sowie der Austausch mit den Betroffenen selbst unerlässlich. Diese Voraussetzungen gestatten auch einen souveränen Umgang mit dem Metaverse als soziotechnischem System. Denn Technik, ob in der Entwicklung oder in der Anwendung, steht nicht für sich allein, sondern ist immer eingebettet in die dynamische Wechselwirkung zwischen Technik und dem sozialen Kontext.

Zukunft ist nicht determiniert

Cyberpunk erzählt Geschichten von gesellschaftlicher Spaltung, während Solarpunk optimistische Zukünfte schildert, in denen Technik für das Allgemeinwohl eingesetzt wird und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Bei den beiden Science-Fiction-Genres handelt es sich nicht um reale und sich gegenseitig ausschließende Zukünfte, sondern um narrative Möglichkeitenräume, in die wir unsere Überzeugungen einordnen und an denen wir unser Handeln ausrichten können.

Es ist wichtig zu sehen, dass die Zukunft nicht determiniert ist. Das bedeutet zum einen, dass wir uns verschiedene Zukünfte vorstellen und positiv gestalten können. Andererseits bedeutet es aber auch, dass Unvorhergesehenes und bisher nicht Vorstellbares geschehen kann. Der Meta-Konzern beispielsweise erhält viel Aufmerksamkeit ob seines erklärten Ziels, ein Metaverse zu errichten, sorgt aber auch für Belustigung und Spott wegen der kinderbuchhaften Avatare und virtuellen Kulissen. Vielleicht entsteht das Metaverse anderswo und ganz anders als wir es uns jetzt ausmalen können und bietet mit neuen Technologien und Strukturen die Chance, die Demokratie neu zu erfinden sowie gerechter und integrativer zu gestalten – dafür müssen wir aber auch neue Geschichten erzählen.

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