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Über die Kluft zwischen kosmopolitischen und kommunitaristischen Einstellungen in der Gesellschaft Distanzierung, Mobilisierung, Politisierung

Seit einiger Zeit wird verstärkt über eine mutmaßliche neue Spaltung der Gesellschaft debattiert: zwischen jenen, die sich international orientieren, weltoffen und kulturell liberal zeigen und denjenigen, die sich in einer zunehmend global vernetzten Welt verunsichert und abgehängt fühlen. Mit anderen Worten: zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. Als Kosmopoliten werden Personen bezeichnet, die die zunehmende Durchlässigkeit nationaler Grenzen und die steigende Bedeutung von supranationalen politischen Institutionen befürworten. Sie fühlen sich moralisch und politisch gegenüber den Menschen verpflichtet, die durch ihre Handlungen beeinflusst, oft beeinträchtigt werden. Dabei betrachten sie sich als Weltbürger/innen. Kommunitaristen dagegen sind Menschen, die sich weitgehend dichte nationale Grenzen und einen einflussreicheren Nationalstaat wünschen. Im Gegensatz zu den Kosmopoliten identifizieren sie sich stärker über ihre Nationalität.

Diese Spaltung wird an zwei zusammenhängenden Phänomenen festgemacht. Zum einen wurde eine generelle Spaltung der Bevölkerung beobachtet. Zudem gibt es laut Befund eine Kluft zwischen traditionellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger/innen und der übrigen Bevölkerung. Während erstere zu kosmopolitischen Ansichten tendieren, weist letztere kein solch homogenes Profil auf. Wieso vertreten aber traditionelle Entscheidungsträger/innen eher kosmopolitische Einstellungen?

Kosmopolitische Einstellungen werden von Sozialwissenschaftlern zunehmend als eine Form von kulturellem Kapital verstanden: Mit ihrem Kosmopolitismus signalisieren Entscheidungsträger/innen demnach, dass sie einer bestimmten sozialen Gruppe mit hohem Status angehören. Neben den politischen Einstellungen können Kosmopoliten durch ihre Identität als Weltbürger/innen sowie durch einen spezifischen Geschmack und Lifestyle charakterisiert werden. Die Erklärung für kosmopolitische Einstellungen liegt weitgehend in der Sozialisation. Entscheidende Rollen können dabei das Elternhaus, internationale Schulen oder transnationale Netzwerke spielen. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass sich die Einstellungen von traditionellen Entscheidungsträger/innen in unterschiedlichen Ländern und gesellschaftlichen Bereichen kaum voneinander unterscheiden. Diese Homogenität kann, so der amerikanische Soziologie Robert Putnam, mit dem sozialen Umfeld und sich ähnelnden Milieus erklärt werden. Denn Freundschaften und persönliche Kommunikationsnetzwerke können dazu beitragen, einen Konsens über Werte und Meinungen zu finden. Diese Netzwerke lassen sich nicht nur zwischen Führungspersonen innerhalb einzelner Organisationen, sondern auch im internationalen Kontext finden. Insbesondere diejenigen, die viele transnationale Kontakte pflegen, haben starke kosmopolitische Einstellungen. Kosmopolitische Positionen scheinen zudem teilweise die Statussicherung von Entscheidungsträger/innen zu gewährleisten. Zudem ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen Kosmopolitismus und höheren Bildungsabschlüssen zu beobachten. Bildung hat zudem einen erheblichen Einfluss bei der Herausbildung liberaler sowie progressiver politischer Einstellungen.

Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern sind die homogenen kosmopolitischen Positionen in Deutschland vermutlich stärker ausgeprägt. Durch das Trauma des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg war die Entwicklung einer neuen deutschen Identität besonders stark auf die europäische und globale Ebene fokussiert. Die Verantwortung Deutschlands ist elementarer Bestandteil des Diskurses unter deutschen traditionellen Entscheidungsträger/innen. Damit lässt sich auch ihr Ideal kosmopolitischer Einstellungen erklären.

Während die Einstellungen unter den traditionellen Entscheidungsträger/innen vergleichsweise homogen sind, zeigt sich die allgemeine Bevölkerung zum Beispiel in Bezug auf die (weitere) Öffnung von nationalen Grenzen sehr gespalten. Ein Teil vertritt weitgehend kosmopolitische Ansichten. Diese Bürger/innen zeichnen sich im Allgemeinen durch ein höheres Einkommen, einen hohen Bildungsstand, ein niedrigeres Alter und ein hohes Maß an gelebter Internationalität (wie ausländische Bildungs- und Arbeitserfahrung, häufige Kontakte mit Menschen aus anderen Ländern) aus. Der Soziologe Craig Calhoun bezeichnet sie daher pointiert als frequent travellers. Darüber hinaus leben sie vergleichsweise oft in Großstädten. Neben diesen strukturellen Merkmalen teilen Bürger/innen mit kosmopolitischen Einstellungen auch Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre subjektive Wahrnehmung: Sie tendieren dazu, sich nicht als sozial benachteiligt wahrzunehmen, betrachten Globalisierung als Chance und identifizieren sich stark als Europäer/innen und Weltbürger/innen.

Verunsicherung und verbreitete Abstiegsängste

Auf der anderen Seite gibt es einen Teil der Bevölkerung, der kommunitaristische Einstellungen aufweist. Dieser Teil der Bevölkerung ist durch die voranschreitende Europäisierung und Globalisierung verunsichert. Er nimmt die zunehmende Durchlässigkeit nationaler Grenzen als Bedrohung wahr. Darüber hinaus fühlt er sich stark mit seiner lokalen und nationalen Gemeinschaft verbunden und zeigt keine ausgeprägte europäische oder globale Identität. Bezüglich ihrer strukturellen Merkmale haben Bürger/innen mit ausgeprägten kommunitaristischen Einstellungen überwiegend einen niedrigen Bildungsstand und wohnen ländlicher. Sie sind älter, häufiger arbeitslos, qualifizierte oder unqualifizierte Arbeiter/innen.

Es wäre allerdings ein Irrtum, daraus zu schließen, dass nur Bürger/innen in prekären ökonomischen Verhältnissen kommunitaristische Einstellungen vertreten. Nicht nur eine objektiv gemessene prekäre ökonomische Lage, sondern auch eine subjektiv als misslich wahrgenommene Situation oder ein Sicherheitsverlust hängen mit kommunitaristischen Einstellungen zusammen. Gemäß verschiedener Studien entwickelt ein immer größer werdender Teil der Mittelschicht Ängste vor einem Statusverlust. Die Verbreitung von Abstiegsängsten führt innerhalb der sozialen Schichten zu einer immer stärkeren Verbreitung von kommunitaristischen Einstellungen. Kurzum: Bürger/innen, die kommunitaristische Positionen vertreten, bilden eine Gruppe mit sehr heterogenen sozioökonomischen Profilen. Ein Merkmal, das in dieser Gruppe allerdings sehr einheitlich zu beobachten ist, ist die subjektive Wahrnehmung, in prekären ökonomischen Verhältnissen zu leben oder die Befürchtung, den sozialen Status nicht aufrechterhalten zu können.

Welche gesellschaftlichen Implikationen hat diese Spaltung der Bevölkerung? Was bedeutet die Spaltung zwischen traditionellen Entscheidungsträger/innen und einem Teil der Bevölkerung, wenn es darum geht, die nationale Souveränität bzw. nationalstaatlichen Grenzen für übergeordnete politische Instanzen (z. B. die Europäische Union) oder Menschen (z. B. Migranten) zu öffnen? Die Polarisierung zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen innerhalb der allgemeinen Bevölkerung kann zu einer verstärkten Politisierung von Globalisierungsthemen führen. Der zunehmende Dissens innerhalb der allgemeinen Bevölkerung bezüglich Globalisierungsthemen kann wiederum zu sozialen Mobilisierungen führen, wie die »Fridays for Future«-Bewegung oder die Pegida-Demonstrationen deutlich zeigen. Beide Ideologien streben danach, dass ihre Positionen in der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs auf Resonanz stoßen.

Darüber hinaus führt die Kluft zwischen dem Teil der Bevölkerung, der kommunitaristische Einstellungen vertritt, und den weitgehend kosmopolitischen Entscheidungsträger/innen zu einem Repräsentationsdefizit. Kommunitaristische Bürger/innen fühlen sich in Debatten zur zunehmenden Durchlässigkeit nationaler Grenzen nicht ausreichend repräsentiert, da die traditionellen Entscheidungsträger/innen aus Medien, Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und den traditionellen Parteien überwiegend kosmopolitische Positionen vertreten. Die fehlende Übereinstimmung zwischen ihnen und den Bürger/innen mit kommunitaristischen Einstellungen in Hinblick auf Globalisierung, Migration oder Freihandel führt zu einem Vakuum im politischen Spektrum. Es entsteht eine Nische für neue politische Bewegungen und Parteien. Aus diesem Grund ist das in Europa beobachtete Erstarken rechtspopulistischer Parteien nicht verwunderlich. Sie greifen die Ängste sowie Unsicherheiten der Bevölkerung auf, versuchen diese zu verstärken und speisen sie in den politischen Diskurs ein. Gleichzeitig fördern rechtspopulistische Parteien gezielt die Distanzierung der Bevölkerung (bzw. eines Teils davon) von den traditionellen politischen Parteien. Die Spaltung der Gesellschaft in Kosmopoliten und Kommunitaristen wird so weiter vorangetrieben. Die Herausforderung für die traditionellen politischen Parteien besteht nun darin, die Verunsicherung jenes Teils der Bevölkerung glaubhaft aufzugreifen, ohne jedoch der Versuchung zu erliegen, scheinbar einfache, den komplexen globalen Zusammenhängen nicht gerecht werdende Lösungen anzubieten.

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