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Bücher zur europäischen Revolution 1848/49 »Echt deutsche« Märztage

»Das war ’ne heiße Märzenzeit«, hebt Ferdinand Freiligraths Lied über das Jahr 1848 an, und Christopher Clark und Jörg Bong tragen dem Rechnung, indem sie einen »Revolutionary Spring« und »Die Flamme der Freiheit« beschwören. Aber dem heißen März folgte bitterkalte Enttäuschung – trotz »Wien, Berlin und alledem«. »Fragen wir danach, wie die Zeitgenossen das ›tolle‹ Jahr in Erinnerung behielten, so stand zunächst dieser Eindruck des Scheiterns im Vordergrund«, resümiert die Historikerin Alexandra Bleyer in ihrem gleichwohl mit Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution betitelten Buch. Denn heute werde diese als »Teil eines unumkehrbaren und anhaltenden Modernisierungsprozesses gewürdigt«, als »entscheidender Schritt auf dem langen und holprigen Weg zur modernen Demokratie«.

Die von Jörg Bong aus den Perspektiven zahlreicher Zeitzeuginnen und -zeugen beschworene »Flamme der Freiheit« entzündete sich an vielen Orten – freilich ohne dass diese Brandherde sich vereinigten, bis dann die Obrigkeiten gnadenlos zurückschlugen. Bleyer spricht in Hinblick auf die französische Vorbildrolle von einem »Pariser Funkenflug«. Rüdiger Hachtmanns vorzüglich fokussierte Darstellung 1848. Die Revolution in Berlin erläutert dieses Bild, in »Phasen politischer Erhitzung« würden »Gerüchte als Nachrichtenersatz« die Eskalation der Lage befeuern. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. habe seinen berühmt-berüchtigten Aufruf »An meine lieben Berliner« in ähnlicher Metaphorik an deren »erhitzte« Gemüter adressiert, um dann eine »Rotte von Bösewichtern, meist aus Fremden bestehend« für den Aufstand vom 18. März verantwortlich zu machen.

Christopher Clark, der deren Fernwirkungen bis in sein Heimatland Australien verfolgt, spricht zunächst im Plural von »1848 revolutions«, um sie dann angesichts ihrer Spannweite »from Switzerland and Portugal to Wallachia and Moldavia, from Norway, Denmark and Sweden to Palermo and the Ionian Islands« als »the only truly Europian revolution that there has ever been« zu bewerten. Bemerkenswerterweise verwendet auch er eine flammende Metaphorik und spricht von einem »brush fire across the continent, leaping von city to city and starting numerous spot-fires in towns and villages«.

Kurzum: Es herrschte in Europa eine durch Pauperismus und Unterdrückung über Jahrzehnte hin aufgeheizte Stimmung und Brennstoff, aber auch elaborierte politische Forderungskataloge und Programme gab es in den deutschen Ländern genug. Ausführlich und quellennah lässt sich das in der im Rahmen der »Bibliothek der Demokratinnen und Demokraten« in der »edition paulskirche« herausgegebenen, umfangreich kommentierten Sammlung Frühe demokratische Programme und Texte zur Revolution nachlesen. Neben Texten von Theodor Fontane, Emma Herwegh, Friedrich Hecker und Robert Blum versammelt der Band frühe demokratische Programme – vom Offenburger aus dem Königreich Baden im Jahre 1847 bis zu Texten wie »Was ist und was will die soziale Demokratie« (1849) von Ernst Elsenhans. Während letzterer der allgemeinen »Unterdrückung und Unwahrheit« sowie dem »trostlosen Elend« der unteren Schichten ein Ende zu machen versprach, indem der Sozialismus »auf fortwährende Verbesserung des sittlichen, geistigen und körperlichen Daseins der zahlreichsten und ärmsten Klasse dringt und statt der Herrschaft des Kapitals die Herrschaft der Arbeiter oder doch deren Gleichstellung mit dem Kapital anstrebt«, hebt das Offenbacher Programm abstrakt an: »Wir verlangen, dass sich unsere Staatsregierung lossagt von den Karlsbader Beschlüssen vom Jahr 1819, von den Frankfurter Beschlüssen von 1831 und 1832 und von den Wiener Beschlüssen von 1834.«

Einigkeit und Recht und Freiheit

Das Emphatische steht hier neben der geschäftsmäßig-formalen Abwicklung antidemokratischer Beschlüsse, und so wie vieles aus solchen Forderungskatalogen sich ein Jahrhundert später in den Formulierungen des Grundgesetzes wiederfand, so brachte vor allem auch die von Frank Engehausen als »Werkstatt der Demokratie« beschriebene Frankfurter Nationalversammlung »Produkte«, ja »epochale Errungenschaften« hervor, die wie das demokratische Männerwahlrecht, die Gewaltenteilung und der Grundrechtskatalog eine repräsentative, parlamentarische und föderale Praxis der Demokratie vorwegnahmen, die ihrer realen Ermächtigung weit vorauseilte. In öffentlichen Debatten trafen exklusive, konservative, liberale, demokratische und kommunistische Konzepte aufeinander, und hier wurde auch deutlich, dass Einigkeit und Recht und Freiheit für Deutschland den besonderen Schutz von nationalen und religiösen Minderheiten voraussetzen. Engehausens Buch macht die Entwicklung des parlamentarischen Apparates anschaulich, der Voraussetzung und oft auch Problem einer repräsentativen Demokratie ist, weil dessen notwendige Komplexität und Kompromissbereitschaft dem dezidierten Willen des einzelnen Bürgers nicht immer entspricht.

Trotz Zensur − und von ihr noch beflügelt − war während der bleiernen Vormärzzeit aus dem langen Schatten des Wiener Kongresses eine neue Form von Öffentlichkeit erwachsen, die dank der Eisenbahn schon vor der Einführung der elektrischen Telegrafie aktuelle Nachrichten und politische Forderungen immer schneller unters Volk brachte. Hinter den vielen männlichen und weiblichen Zeugen und Aktivisten (und auch deren Antagonisten), deren Sichtweisen Bong zu einer polyperspektivischen Geschichtserzählung vereint, wirkte eine unpersönliche und intentionslose Macht, die Europa im 19. und 20. Jahrhundert weit stärker veränderte als die Französische Revolution es vermocht hatte. Die Industrielle Revolution hatte 1848 längst begonnen, die Arbeits- und Lebenswelt, das Verkehrswesen und die Kommunikation in Europa grundlegend umzugestalten, und der Pauperismus löst nicht nur Hungerrevolten aus, sondern förderte auch traditionelle und neue Migrationsbewegungen innerhalb Europas und darüber hinaus.

Rüdiger Hachtmann weist darauf hin, dass die öffentlichen Diskurse im Berlin des Jahres 1848 »stark handwerklich-proletarisch geprägt« waren, und wenn der Preußenkönig von fremden Bösewichtern sprach, so handelte es sich dabei wohl oft um Angehörige der notorisch wanderlustigen Handwerkerschaft. Der 1844 entstandene »Große Handwerkerverein« in Berlin habe bis Herbst 1847 schon etwa 3.000 Mitglieder gehabt und damit doppelt so viele wie die Berliner Universität Studenten. Viele Gesellen waren auf ihrer Wanderschaft weit in Europa herumgekommen und hätten etwa aus Paris »Schriften welche Aufruhr predigten« mitgebracht, die so auch in die umfängliche Bibliothek des Vereins gelangten. Seit 1846 habe es dort auch die vom Verleger und Journalisten Gustav Julius gegründete »Berliner Zeitungshalle« gegeben, in der man »die jeweils aktuellen Ausgaben von fünfhundert (sic!) Tages- und Wochenblättern einsehen« und diskutieren konnte. Noch nicht in Echtzeit, aber doch schnell genug, um die revolutionären Flammen von Paris nach Wien, von Wien nach Berlin und von dort bis in den verschlafenen Oderbruch zu tragen. Ein Fackelträger war ein approbierter Apotheker und freier Mitarbeiter des Publikationsorgans der Berliner-Zeitung-Halle namens Theodor Fontane.

Nachdem sein spontan geplantes Sturmläuten an der verschlossenen Tür der Berliner Georgenkirche gescheitert war – »protestantische Kirchen sind immer zu« − und auch seine persönliche Bewaffnung aus dem Fundus des Königstädter Theaters den Mächten der Reaktion keinen Einhalt geboten hatte, besann er sich und griff wieder zur Feder. Sein Brief an den Vater im Oderbruch, den er am Sonntag dem 19. März 1848 am Stettiner Bahnhof einem Postwagon anver-traute, sei wohl der erste Bericht über den Berliner Aufstand gewesen, »der in die Welt ging«, rühmt der alte Mann den jungen in seinem 1898 erschienenen Lebensrückblick. Fontane ironisiert mit der eigenen Rolle zugleich die Ereignisse vom März 1848, und ein darauffolgender, biografisch nicht ganz korrekter Hinweis auf die Einmaligkeit seines politischen Engagements in diesem Jahr unterstreicht das Episodische seines radikaldemokratischen Engagements, obwohl er selbst immerhin noch Wahlmann für die Nationalversammlung wurde. Die Märzereignisse haben ihn wie auch die meisten anderen Berliner, Deutschen und Europäer nicht auf Dauer zu politischen Aktivisten gemacht, während man die Frankfurter Nationalversammlung nicht nur als Werkstatt, sondern auch als (Vor-)Schule des demokratischen Berufspolitikers verstehen kann.

Gescheiterte Revolution? Anfang demokratischer Politik!

Wenn das Ergebnis nicht den Intentionen entspräche, müsse man vom Scheitern einer Unternehmung sprechen, räsoniert Clark, aber die Revolutionen von 1848 seien die Summe »of many potentially dissonant or even contradictory intentions« gewesen, geprägt durch »polyvocality, lack of coordination and the layering of many cross-cutting vectors of intention and conflict«. Man könnte also sagen, der März 1848 sei keine kurzfristig gescheiterte Revolution gewesen, sondern der Anfang demokratischer Politik, die begann, sich einer Welt anzunehmen, deren rapider Wandlung die überkommene ständisch-feudale Ordnung längst in deren groteske, doch auf verheerende Weise zählebige Parodie verwandelt hatte.

Der demokratische Sinn der Protagonisten von 1848 war jedoch stärker als ihre Machtinstinkte. »Ihr habt Eure, Ihr habt unsere Geschichte verpfuscht«, urteilte in Bongs Buch ein Georg Herwegh von Paris aus Ende März 1848 über deren »echt deutsche« Art der Revolution: »Ihr habt zu kämpfen aufgehört in einem Augenblicke, wo ein Ruf au château für Euch und Deutschland Alles entschieden hätte«. Ob Einigkeit und Recht und Freiheit, ob Demokratie dem Königsmord auf dem Fuße gefolgt wäre, darf freilich bezweifelt werden. Misstöne, einander widersprechende Ziele, Vielstimmigkeit, Koordinationsprobleme und die Überkreuzung von vielen Intentionen und Konflikten haben die Revolutionen von 1848 scheitern lassen, weil es in einer sich stetig wandelnden Welt keinen buchstäblichen Königsweg mehr gab, doch diese Faktoren sind zugleich auch die Arbeitsfelder, auf denen Demokratie sich immer wieder aufs Neue bewähren muss.

Alexandra Bleyer: Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution. Reclam, 336 S., 26 Euro. Jörg Bong: Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1948/49. Kiepenheuer & Witsch, 560 S., 29 Euro. Christopher Clark: Revolutionary Spring. Fighting for a New World 1848–1849. Allen Lane, 873 p., 42,50 Euro. Frank Engehausen: Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1948/49. Campus, 355 S., 34 Euro. Rüdiger Hachtmann: 1848. Revolution in Berlin. BeBra, 240 S., 26 Euro.

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