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Krieg und Frieden Editorial

Wir sind im »Krieg gegen Corona« und ich bin jetzt »Kriegspräsident«, brüstete sich der amerikanische Präsident Ende März unvermittelt, nachdem er die von COVID-19 ausgehende Gefahr noch am Vortag hinweg schwadroniert hatte. Damit war indirekt schon viel zu beiden Themen gesagt, die im Zentrum des vorliegenden Hefts stehen. Zum Thema »Corona« wurde klar, dass sich ein solcher Impuls der Natur nicht wie vieles andere politisch einfach wegtricksen lässt. Beim Thema »Krieg« erwies sich abermals,dass der politisch-metaphorische Gebrauch dieses ernsten Wortes so gut wie immer ein Missbrauch ist, wie zuletzt G. W. Bush mit seinem »Krieg gegen den Terrorismus« demonstriert hatte. Es geht dabei stets um die Vortäuschung äußerster Entschlossenheit und die Scheinrechtfertigung autoritärer Machtanmaßung. Das führt soeben auch in Europa, ohne die zweifelhafte Kriegsrhetorik zu strapazieren, der ungarische Ministerpräsident vor. Das Virus ist aber kein zielstrebiger feindlicher Akteur, der die Menschheit unterwerfen will, sondern gerade umgekehrt ein Stück Natur, das der Unterwerfung durch die Zivilisation auf zunächst ungeklärte Weise entglitten ist, vermutlich begünstigt durch die Missachtung ihrer elementaren Rechte und Regeln.

Das Virus legt vieles bloß von dem, was derzeit schiefläuft, von der Illusion grenzenloser Naturbeherrschung, der Ökonomie lastigen Organisation des menschlichen Zusammenlebens in den betroffenen Ländern, bis hin zu Schwächen und Stärken des Umgangs der Menschen miteinander. In den reichen Ländern, sogar in den halbwegs funktionierenden Sozialen Demokratien, geschweige denn in unsozialen wie den USA, beweist es, dass die Ökonomisierung, gar Privatisierung des Gesundheitssektors, wenn die Stunde schlägt, für viele Menschen vermeidbar tödliche Folgen hat und sowohl Wirtschaft wie Staat Milliardenbeiträge aufbringen müssen, um den Schaden zu begrenzen. Beides kann in Wahrheit nicht überraschen, denn es war und ist immer ein Thema der linken Kritik am sozial-ökonomischen Status quo gewesen. Nun sind die Ausreden geplatzt.

Und der »Krieg« ist in unserer Zeit schwerer fasslich geworden. Der »erklärte« Krieg zwischen Staaten tritt zurück hinter bewaffnete Auseinandersetzungen mit irregulären Gruppen und Cyber-Vernichtungsangriffen anonymer Akteure auf die zentrale Infrastruktur ihrer Gegner. Zumeist mischen sich dabei die Interessen – wirtschaftliche, strategische, ideologische – und zerbröseln die Basis für Verständigung und Friedenschluss. Deswegen muss die Weltgesellschaft auf der Hut sein, wenn sie nicht einem neuen »kalten Krieg« USA-China zum Opfer fallen will, der rasch begonnen, aber kaum beendet werden kann.

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