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Editorial

Es ist schon erstaunlich, mit welchem Gottvertrauen die Massenmedien – trotz massiver Erfahrungen des Gegenteils – bei jeder Wahl aufs Neue Einbrüche in den Umfragewerten bestimmter Kandidaten als vorgezogenen Wahlausgang kommunizieren, mit seitenfüllenden Deutungen, Spekulationen und Kommentaren. Altkanzler Gerhard Schröder hat in seiner Dortmunder Parteitagsrede am 25. Juni an ein paar Tatsachen zu diesem Thema aus dem Wahljahr 2005 erinnert. Vier Monate vor der Wahl lag seine Partei in den Umfragen rund 20 % hinter CDU/CSU zurück – für die Medien ein hoffnungsloser Fall. Aber nicht für Schröder, denn der hat in den Monaten danach einen so fulminanten Wahlkampf hingelegt, großteils vorbei an den Massenmedien auf den Marktplätzen der Republik, dass er den Wahlsieg am Ende nur um ein knappes Prozent verfehlte. Eine Erfahrung, die sich seither bei vielen Wahlen eindringlich wiederholt hat. Martin Schulz hat auf demselben Wahlparteitag in Dortmund nach der halben Distanz die Jacke ausgezogen und einen beachtlichen Endspurt in seiner kämpferischen Rede hingelegt und dann begonnen, seine »Mitbewerberin« gezielt zu attackieren – und zwar in drei Kernfragen, die es in sich haben: Die schon bei den vergangenen Wahlen praktizierte Strategie der Kanzlerin, ihre »asymmetrische Demobilisierung«, bei der sie selber über ihre Pläne möglichst schweigt, nannte Schulz einen »Anschlag auf die Demokratie« durch systematische Verweigerung der Debatte über die Zukunft und Schwächung der Wahlbeteiligung. Das bezog er dann konkret auf die Rentenfrage, bei der die Union die anderen Parteien scheinbar staatsmännisch ermahnt hatte, das Thema sei zu wichtig, um es in den Wahlkampf zu ziehen. Das »enttarnte« er als aktuellen Fall des Demobilisierungsmanövers mit der Bemerkung, hier sollten Wähler dazu verführt werden, bei einer der zentralen Gerechtigkeitsfragen der Zeit »die Katze im Sack zu kaufen«, nämlich einen viel späteren Rentenbeginn, wieder ohne Debatte vor der Wahl. Und beim Thema vereintes Europa, der »Idee seines Lebens«, spitzte er zu, dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nie Skrupel gezeigt hätten, ihre harten ökonomischen Forderungen auch zulasten der Armen und Ärmsten durchzusetzen, aber wenig gegen die Entliberalisierung wie etwa in Ungarn getan hätten, wo eine Schwesterpartei der CDU regiert – beides empfindliche Beiträge zur Spaltung der EU.

Nun fängt also der Wahlkampf mit Schwung und gehöriger Zuspitzung erst richtig an. Alles kommt neu in Bewegung. Wir bringen in dieser Ausgabe neben allgemeinen Analysen zur Lage auch Beiträge von Autoren der Grünen, der Linkspartei und der FDP.

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