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Editorial

Ideen für einen neuen »europäischen Frühling«, mit deren Realisierung schon morgen begonnen werden könnte, wenn entschiedene Europäerinnen und Europäer es wirklich wollten, präsentiert eine Gruppe namhafter internationaler Autorinnen und Autoren in der vorliegenden Ausgabe. Die Wirklichkeit des politischen Kontinents ruft gegenwärtig zwar eher herbstliche Gefühle hervor, aber vielleicht gibt die bedrohliche Lage nun endlich den Einflussakteuren den nötigen Anstoß zum Handeln. Das gilt speziell für Deutschland, wo das Regierungsprogramm der Großen Koalition den großen europäischen Aufbruch, der inzwischen überfällig geworden ist, emphatisch beschwört. Mit der populistischen Haushaltspolitik der amtierenden italienischen Regierung, die sich um die gemeinsam beschlossenen Regeln der Union keinen Deut mehr scheren will, ist eine dritte brandgefährliche Krisenfront eröffnet, bei der es am Ende um alles gehen könnte. Allmählich wird deutlich, dass das politische Gefüge und die Kompetenzen der EU vor allem auf Vertrauen gegründet sind und wenig enthalten, was die Durchsetzung der geltenden Regel garantiert, wenn es einzelne, gar mehrere Mitgliedsländer auf deren Bruch abgesehen haben. Das Gemeinschaftsprojekt könnte an die Grenze der Überforderung geraten, wenn Letzteres gleichzeitig von verschiedenen Akteuren in unterschiedlichen, jedoch immer zentralen Bereichen betrieben wird. Das ist aber heute der Fall.

Die schleichende Entliberalisierung der Visegrád-Staaten unter dem Vorwand, es ging ihnen nur um eine etwas andere, volksnähere Variante von Demokratie, trifft die Union in Wahrheit an ihrer empfindlichsten Stelle: der Glaubwürdigkeit ihrer gemeinsamen politischen Grundwerte. Ein ungeregelter Brexit, dem die EU nichts Nachhaltiges entgegenzusetzen hätte, würde neben all den anderen gravierenden Nachteilen für die Gemeinschaft unter dem Ansturm des Rechtspopulismus in allzu vielen Ländern, den Übermut der Wackelkandidaten unter den Mitgliedsländern aufheizen. Und ob der Euro, das symbolische Einheitsband der EU, die von den italienischen Abenteurern angekündigte Haushaltpolitik dieses ehedem so europatreuen Gründungsmitglieds überlebt, steht gegenwärtig in den Sternen.

Vermutlich ist in dieser Lage das Zusammenrücken der verbliebenen Europatreuen zu einem handlungsfähigen und handlungswilligen Kerneuropa, das für alle, die mitmachen wollen, offen bleibt, der beste nächste Schritt. Deutschland, Frankreich und Spanien – im Bund mit anderen – müssten den Anfang machen.

Für eine hilfreiche Erörterung des zweiten Schicksalsthemas dieser Monate, dem bedrohlichen und anhaltenden Schwächeanfall der Sozialdemokratie, enthält der Beitrag von Johano Strasser klare und kundige Orientierungen.

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