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Editorial

Dass eine herrschaftsfreie und allgemein zugängliche Öffentlichkeit die eigentliche Grundlage der Demokratie ist, wissen heutzutage fast alle, besonders gut leider auch jene, die sie von außen her zum zentralen Angriffsziel groß angelegter Störungs- und Fälschungskampagnen machen, um ihre eigenen politischen Ziele zu fördern. Einer der Meister dieses Fachs ist in Europa neuerdings Russland. Welche tiefen Deformationen eine in wichtigen Teilen korrumpierte Öffentlichkeit sogar einer institutionell und historisch gefestigten Demokratie zufügen kann, führen soeben die USA der Welt vor. Dort wirkt eine toxische Mischung aus drei Komponenten, die gemeinsam die Vitalkräfte der Demokratie zunehmend lähmen: ein skrupelloser Präsident, der seine Gemeinde rund um die Uhr ungefiltert online mit unterhaltsamen Provokationen gegen seine vermeintlichen Widersacher im In- und Ausland blendet und damit vom Gebrauch der seriösen Medien ablenkt, diese aber dadurch gleichzeitig zwingt, sich fortwährend mit ihm zu beschäftigen. Ein wahrhaft genialer Trick. Dazu noch deren ununterbrochene Schmähung als »Fake News«, um der Wertung »fake«, die in potenziell vernichtendem Ausmaß vor allem ja ihn selber trifft, durch abstumpfende Gewohnheit jedes Gewicht zu nehmen. Als tägliche Rahmung, verlässlicher Resonanzboden und unerschöpfliche Energiequelle dieser tödlichen Konstruktion dient der weit verbreitete, mit dem Präsidenten stets eng verbundene private Fernsehsender Fox. Ein geschlossener Kreislauf systematisch verfälschender Öffentlichkeit, der kein Schlupfloch für den Zutritt der Realität oder für ernsthafte Kritik mehr offenlässt. Freilich schließt er bislang »nur« die knappe Hälfte der Gesellschaft ein, sodass die Chance eines rechtzeitigen Erwachens des Landes noch nicht gänzlich verbaut ist. Aber die Defekte, die diese Art demolierter Öffentlichkeit der amerikanischen Demokratie in wachsender Dosis zufügt, gehen ins Mark. Das ist weit mehr als nur ein »Strukturwandel der Öffentlichkeit«. Die in wachsendem Maße beklagten Defizite und Deformationen der Öffentlichkeit hierzulande, vor allem infolge der Auswüchse in den sozialen Medien, sind nicht vom gleichen Kaliber, aber doch sehr besorgniserregend. Von beiden handelt das Schwerpunktthema dieser Ausgabe.

Die Redaktion gedenkt an dieser Stelle mit großem Dank unserer langjährigen hochgeschätzten Autorin und Beirätin Karin Priester. Von ihren Forschungen als Soziologieprofessorin an der Universität Münster über rechten und linken Populismus sowie neuere politische Ideen und Bewegungen in Europa, hat die Leserschaft unserer Zeitschrift immer wieder profitiert, zuletzt noch in der Aprilausgabe dieses Jahres. Sie ist am 25. April verstorben. Wir vermissen sie sehr.

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