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Nach der Krise Editorial

Das sind große neue Chancen, gegenwärtig natürlich nicht mehr als das. Was in dem grausamen Geholze, zu dem sich der US-amerikanische Wahlkampf aller Voraussicht nach jetzt wohl entwickeln wird, an Vernunft, Anstand und Urteilskraft am Ende noch übrigbleibt, ist ungewiss. Ungewiss ist auch, ob diese Wahl überhaupt die vorgesehenen demokratischen Folgen haben oder sich als der Auftakt zu einer juristischen Schlammschlacht erweisen wird, an deren Ende der von allen Skrupeln freie Amtsinhaber samt seiner entmündigten Partei das hohe Amt unter dem Deckmäntelchen einer hergeholten Legitimität entschlossen kapert. Die ohnehin in mehr als einer Hinsicht defekte Demokratie der USA schließt das jedenfalls nicht klar aus, wenn sich Anlässe finden lassen, das Wahlergebnis als nicht sicher oder uneindeutig brandmarken zu können. Daran arbeitet der Amtsinhaber ja schon systematisch. Natürlich kann auch das Duo Biden/Harris die schweren Schäden an dem zerrissenen Land nicht in kurzer Frist reparieren, aber doch einen neuen Anfang machen, der jenseits und diesseits des Atlantiks wieder hoffen lässt.

Auch Olaf Scholz gibt berechtigten Anlass zu neuer Hoffnung – durchaus nicht für die Sozialdemokratie allein. Die Erwartung, dass er das Amt des Bundeskanzlers »kann«, ist in seinem Falle besser belegt als bei all seinen jetzt erwartbaren Rivalen der Konkurrenzparteien. Dass er ein guter Sozialdemokrat ist, hat er in der gegenwärtigen Krise noch einmal eindrucksvoll vorgeführt. Seine Hamburger Art muss, wie die jetzige Amtsinhaberin so hartnäckig demonstriert, im Amt nicht unbedingt von Nachteil sein. Allerdings erwarten die eigene Partei, die wahrscheinlichen Koalitionspartner und auch die Gesellschaft von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, verstärkt auch schon vom Kandidaten im Wahlkampf, mehr Analyse der Lage und Wegweisung als das kärgliche »Auf-Sicht-Fahren«, mit dem wir bisher abgespeist wurden. Das kann Scholz auch – wenn er will.

Hans-Jochen Vogel, der große Staatsmann und vorbildhafte Sozialdemokrat, der auch im programmatischen Bereich fortgeltende Ideen auf den Weg gebracht hat, ist am 26. Juli dieses Jahres verstorben. Die vorliegende Ausgabe beginnt mit Würdigungen seiner weniger bekannten, aber bedeutenden Beiträge zur Deutschen Einheit und zur programmatischen Erneuerung der Sozialdemokratie.

Kommentare (1)

  • Horst Berndt
    Horst Berndt
    am 07.10.2020
    Sehr geehrter Herr, Meyer,

    Zum Absatz über die Lage in den USA bekommen Sie meine vollste Zustimmung. Zum Absatz über Olaf Scholz dann komplett nicht. Er war daran beteiligt die Agenda 2010 in die Tat umzusetzen und ist ein eingefärbter Neoliberaler SPD´ler. Der Seeheimer Kreis läßt grüßen. Zu Scholz gäbe es ja aktuell noch mehr auf den Tisch zu bringen, es sei aus der Liste nur der Wirecard Skandal zu nennen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Horst Berndt / Berlin

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