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Lateinamerika – wohin? Editorial

Die USA bieten uns dieses beklagenswerte Schauspiel in ungezählten einzelnen Akten ihres obersten Politikdarstellers nun schon seit Beginn des Jahres und nähren in vielen Teilen der Welt das Verlangen, am 3. November dieses Jahres möge der Vorhang fallen. Weniger spektakulär in der öffentlichen Wahrnehmung, aber weit tragischer in der Sache sind die Verhältnisse im Hinterhof der USA, auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Nur die Zahlen und einzelne Berichte aus Brasilien erreichen uns, weil dort Jair Bolsonaro, Donald Trumps kleiner Bruder im Geiste, mit vergleichbaren Rezepten noch größeren Schaden anrichtet: die Pandemie leugnen, wegschwatzen und dem Unheil seinen Lauf lassen. Dabei gilt Ähnliches fast für den gesamten riesigen Kontinent. Die zahlreichen Länderanalysen in der vorliegenden Ausgabe, fast alle von Autoren aus der Region, lassen das eindrucksvoll deutlich werden.

In Ihrem Überblicksartikel zieht Valeska Hesse eine Bilanz des Schreckens: fünf Millionen Infizierte, zig Millionen Menschen ohne Arbeit und Einkommen, Millionen, die mit der Infektion an ihren Arbeitsplatz müssen, um nicht zu verhungern und damit die Spirale der Ansteckungen in Gang halten. Der überall sehr hohe Anteil informeller Beschäftigung zwingt sie dazu und lässt die Betroffenen ohne jeden sozialen Schutz. Zu besichtigen sind in den meisten Ländern die verheerenden Folgen des auf ganzer Linie gescheiterten neoliberalen Experiments der letzten Jahrzehnte: der Mangel an soliden Arbeitsplätzen, krass ungerechte Steuersysteme, das Fehlen sozialer Sicherung und die Abwesenheit funktionierender Gesundheitsversorgung. Die Pandemie offenbart unbarmherzig die Realität und die Folgen der skandalösen Ungleichheit: Die Gesundheitsversorgung, ja, das Überleben selbst sind nur noch Fragen des Geldbeutels. Es sollte sich für Europa lohnen, auf diese Entwicklung zu schauen und ihre Ursachen zu verstehen, handelt es sich bei fast allen der betrachteten Länder doch um Demokratien, deren Institutionen für sich betrachtet in Ordnung zu sein scheinen. Wie ist, so müssen wir auch im Hinblick auf unsere eigene Lage fragen, ein solcher Verfall möglich? Und vor allem: Wie kann, wie muss ihm beizeiten entgegengewirkt werden?

Im aktuellen Teil werfen wir einen Blick auf den Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der Grünen und fragen danach, welche Chancen es für die Klärung des Profils der Sozialdemokratie und für ein neues Mitte-Links-Bündnis bietet.

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