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Editorial

Der von vielen geteilte Traum, die kollektive Erfahrung mit der todbringenden Gefahr COVID-19 – der sich ja niemand allein entziehen kann – würde den Kräften der Solidarität in der ganzen Gesellschaft einen kräftigen, womöglich nachhaltigen Schub verleihen, scheint sich nicht zu erfüllen. In wichtigen gesellschaftlichen Bereichen deutet die beharrlich egoistische Weigerung großer Gruppen, die für alle geltenden Hygieneregeln zu befolgen, auf das Gegenteil. Eher scheint sich die pragmatische Weisheit zu bestätigen, dass in solch extremen Lebenssituationen beides zu erwarten ist: Die soziale Orientierung wächst bei den einen, beispielhaft im Gesundheitswesen und vielen Nachbarschaften ins fast Heldenhafte und bei anderen tritt der latente Egoismus beim Feiern und der Verweigerung des Tragens einer Maske unkontrolliert zutage. Natürlich ist wahr, dass die Freiheit unser höchster Wert ist – aber eben die Freiheit aller, d. h. mit Immanuel Kant derjenige Gebrauch der Freiheit, der mit der nachhaltigen Sicherung der Freiheit aller anderen verträglich ist, also zumal mit dem Schutz ihrer Gesundheit und ihres Lebens. Dies wollte immer schon allzu vielen nicht einleuchten – daher gab es im Namen der Freiheit immer schon umfassende gesetzliche Beschränkungen und Verhaltenserwartungen. Dass diese entsprechend der Zunahme aktueller Risiken für die meisten durch den Missbrauch der Freiheitsrechte durch gar nicht so wenige in vernünftigem Maße erweitert oder verschärft werden müssen, solange Gefahr im Verzuge ist, liegt auf der Hand – wenn Gerichte und Parlamente darüber wachen.

Zu denen, die von den teils hohen beruflichen und persönlichen Kosten solcher Beschränkungen in besonderem Umfang betroffen sind, gehören sehr viele Menschen in den Berufen des Kunst- und Kulturbereichs. Das dringt wegen der Art ihrer Tätigkeit und deren Wahrnehmung durch die Massenmedien nur höchst sporadisch ins öffentliche Bewusstsein. Das ist eines der diskutierten Probleme im Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe. Wir haben aber den Blick auf die Bedeutung der häufig als eine Art Sonntagsthema unterschätzten Kultur auf ihre Rolle in so gut wie allen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erweitert. Zu unseren Themen gehören auch grundlegendere Fragen wie die nach den kulturellen Voraussetzungen kollektiver sozialer und politischer Orientierungen, nach dem Zusammenhang zwischen Glaubensfragen, Alltagskultur und der Bildung sozial-kultureller Milieus. Aktuell besonders interessant sind die Analyse Wolfgang Thierses zur Rolle der Kultur im deutschen Einigungsprozess und seine Vorschläge für einen offenen und konstruktiven Umgang mit diesem heiklen Thema.

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