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Editorial

Die Sozialdemokratie hat den alten Begriff in neuer Zuspitzung jedenfalls zum Leitmotiv ihres Wahlprogramms erhoben und der Kanzlerkandidat Olaf Scholz legt in einem weiteren Beitrag politisch sehr konkret dar, welche programmatische Neuorientierung und politischen Reformprojekte sich für die Sozialdemokratie damit verbinden. Wir beobachten hier einen der eher seltenen Fälle, in denen ein politischer Grundbegriff spontan aus den Erfahrungen der Gesellschaft selbst hervorgeht und sich rasch in der politischen Arena durchsetzt. Diese Erfahrungen und die anschließenden Debatten sind eine der eigentlich kaum überraschenden Folgen der Corona-Pandemie und der Art, wie unsere Gesellschaft mit ihr umgegangen ist. Die Pandemie hat uns ja unter anderem auf unbarmherzige Weise, die das sonst übliche Deuteln und Schönreden nicht mehr zuließ, einen Vergrößerungsspiegel vorgehalten, der Versäumnisse und Versagen drastisch sichtbar machte. Heraus stechen dabei die gravierenden Personaldefizite in der Altenpflege und in den Krankenhäusern, weil es dabei ganz unmittelbar um Leben und Tod geht. Überall traten die Mängel in der Personalausstattung und in der Besoldung dieser besonders anspruchsvollen Dienstleistung an hilfebedürftigen Menschen zutage, über die unter Kundigen und Interessierten schon lange gestritten wird. Das Personal ist unter dem Diktat des Marktdenkens in Bereichen, wo andere Werte Vorrang haben sollten, zu knapp bemessen und die unprofitable, aber lebenswichtige Vorsorge erwies sich als arg vernachlässigt, obgleich offizielle Notfallpläne für Katastrophen dieser Art seit Langem vorliegen. Es war dann allzu oft das Personal der Alten- und Pflegeheime, besonders aber der Intensivstationen, das am Ende die Zeche durch Überbeanspruchung oder Mangelausstattung bei der Schutzkleidung zu zahlen hatte – und das bei ohnehin kaum angemessener Besoldung. Diese Menschen forderten daher völlig zu Recht »mehr Respekt« für sich und den Wert ihrer Arbeit ein, mit einem fast einhellig zustimmenden Echo in der Gesellschaft. Ein neuer Leitbegriff für die gesellschaftliche Wertschätzung der manuellen Arbeit und ihrer angemessenen Entlohnung ist auf den Plan getreten. Schnell hat sich gezeigt, dass die Erfahrungen aus dem Gesundheitswesen tatsächlich für viele Bereiche unserer Arbeitswelt und der Gesellschaft gelten. Wir haben begonnen, nun vieles mit neuen Augen zu sehen. Das zeigen die Beiträge unseres Schwerpunktes.

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