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Editorial

Olaf Scholz steht zum einen für das wichtigste Ziel einer gerechteren Steuerstruktur, die zugleich den Haushalt für die einmalig großen Herausforderungen nach den andauernden Corona-Monaten und der verheerenden Flutkatastrophe fitmachen kann. Er steht zudem für ein höheres Tempo und die konsequentere Durchführung einer wirkungsvollen Klimaschutzpolitik und ihre angemessene soziale Einbettung. Für eine Koalition, die das möglich macht, muss die Sozialdemokratie ihren Stimmenanteil den Popularitätswerten ihres Kandidaten aber zunächst weiter annähern. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Erfahrungen der Corona-Zeit, die klimabedingte Flutkatastrophe im Westen der Republik und die überzeugende Rolle sozialdemokratischer Politikerinnen und Politiker in beiden Ausnahmesituationen könnten dabei hilfreich sein.

Im Übrigen: Vor genau 100 Jahren wurde das historisch interessante, aber schnell vergessene Görlitzer Programm der SPD verabschiedet. Es löste das berühmte Erfurter Programm von 1891 ab, das einen orthodox marxistischen Theorieteil mit einem reformerischen Praxisteil eher konterkarierte als innerlich verband. Diese, konsequentes Handeln behindernde Schwäche wollte das Görlitzer Programm überwinden, ohne sich freilich von der marxistischen Kapitalismuskritik oder gar den Grundwerten des demokratischen Sozialismus zu verabschieden. Es ging vielmehr um eine scharfe, aber realistische Sozialanalyse mit Orientierungskraft für eine Reformpolitik, die schrittweise die »Herrschaft des im freien Volksstaat organisierten Volkswillens über die Wirtschaft« an die Stelle des Kapitalismus treten lässt. Die SPD wollte zu diesem Zweck »die Partei des arbeitenden Volkes in Stadt und Land« sein und erklärte in der Konsequenz offen ihre Bereitschaft zur »Koalition mit denjenigen bürgerlichen Parteien, die die demokratische Republik und soziale Grundforderungen unterstützen«. Dieser Vorgriff auf das Godesberger Programm von 1959 wurde zwar schon 1925, nach der Wiedervereinigung mit der USPD, durch das Heidelberger Programm ersetzt, aber seine wichtigsten Impulse hatten Bestand.

Unter dem Editorial des Oktoberhefts wird der Name Richard Meng stehen, dann Chefredakteur dieser Zeitschrift. Vorgestellt und begrüßt wurde er von uns bereits in der letzten Ausgabe. Ich selbst verabschiede mich hiermit von allen unseren Leserinnen und Lesern mit großem Dank für ihre Zuwendung.

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