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Editorial

Die Große Koalition ist in kurzer Zeit in schwerstes Fahrwasser geraten und drohte schon mehr als einmal zu kentern. Die selbstversessenen Aktionen des Bundesinnenministers boten jedes Mal den Anlass, aber tiefer liegende Gründe haben dabei ihr eigenes Gewicht. Die beteiligten Parteien scheinen ihre jeweilige Rolle in dem prekären Bündnis nicht recht zu finden. Horst Seehofer lässt sich offenbar aus Prinzip nicht einbinden und die Sozialdemokratie tastet zu zaghaft nach der für sie bekömmlichen Balance zwischen loyaler Umsetzung der gemeinsamen Regierungsvorhaben und offensiver Bekundung ihrer darüber hinausweisenden eigenen Ziele. Der Vorstoß des Finanzministers zur langfristigen Sicherung des im internationalen Vergleich ja ohnehin bescheidenen Rentenniveaus im Lande war da ein Lichtblick. Nur so kann der für die Sozialdemokratie überlebenswichtige Spagat zwischen Regierungsleistung und Schärfung des eigenen Parteiprofils gelingen.

»Identitätspolitik« gilt vielen Deutern der Krise der demokratischen Linken in den USA und Europa als deren Hauptursache. Die Sozialdemokratie habe sich zu sehr auf den Kampf um die Anerkennung der Rechte von zumeist kulturell definierten Identitätsgruppen konzentriert – etwa homosexuelle, ethnische und andere Minderheiten – und dabei die sozialen Interessen derjenigen aus den Augen verloren, die ihr ehedem die großen Wahlerfolge verschafften. Das wirft die Frage auf, ob zwischen diesen beiden Zielrichtungen des Engagements wirklich ein Gegensatz besteht oder ob die Zukunft nicht vielmehr gerade in ihrer überzeugenden Vermittlung liegt.

Gleichzeitig fesselt eine entgegengesetzte Spielart von »Identitätspolitik« die öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um das von der entschieden rechten »Identitären Bewegung« in ganz Europa verfochtene Projekt der radikalen Trennung der ethnischen Kollektive, also um eine unverbrämt völkische Politik. Die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe analysieren die Grundlagen der beiden konträren Varianten von Identitätspolitik und arbeiten vor allem deren höchst verschiedenen Bezug zur Demokratie und zu den Grundrechten heraus. Beide erweisen sich dabei in je eigener Weise als Schlüssel zum Verständnis des aktuellen politischen Geschehens und zur Beantwortung elementarer Herausforderungen sowohl der demokratischen Linken wie der Demokratie insgesamt. Die klare Unterscheidung ihres Wesenskerns und das Verständnis der Wechselwirkung zwischen ihnen ist die Grundlage der produktiven politischen Debatte, zu der diese Zeitschrift beitragen möchte.

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