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In Krisenzeiten ist ein generationenübergreifendes Miteinander besonders wichtig Eher Chance als Manko

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Euro-, Weltfinanz-, Migrations- und Coronakrise, momentan der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Herausforderungen durch den Aufstieg autoritärer und rechtspopulistischer Kräfte, die Demokratien und supranationale Institutionen wie die EU von innen heraus bedrohen und aushöhlen. Dazu die über all dem schwebende Klimakrise und die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg, die längst auch in wohlhabenderen Staaten verbreitet ist. Wie gehen die Jüngeren mit dieser Konstellation um? Und wie steht es vor diesem Hintergrund um die Kommunikation und die Solidartität zwischen den Generationen heute?

Das Déjà-vu

Haben wir nicht schon vielfach Generationen zu »Krisengenerationen« erklärt, generationelle Gräben befürchtet, womöglich gar beschworen und uns schlussendlich darüber gewundert, wie die Dinge dann doch geräuscharm weitergingen oder generationelle Einstellungen positiver ausfielen, als gedacht?

Man darf nicht drumherum schreiben, eines ist klar: Die Klimakrise stellt – und das wohlgemerkt nicht erst seit wenigen Jahren – weitaus existenziellere Fragen, und ist daher mit früheren Krisen vermutlich kaum vergleichbar. Könnte es also sein, dass diese Krise als jene in die Geschichtsbücher eingehen wird, die die Generationen entzweite?

Nicht selten war in den letzten Monaten zu lesen, dass ältere Generationen, allen voran die sogenannten »Boomer«-Generationen nicht hinreichend bereit seien ihre Privilegien und Lebensweisen zu hinterfragen, was zulasten der eigenen Kinder und künftiger Generationen gehe. Aber wie war es bei den Eltern der Boomer? Haben diese vorausschauend, generationenübergreifend, in die Zukunft denkend gelebt und gehandelt? Wurde Resilienz als politisches Programm formuliert?

Wurden nicht mindestens die jüngeren Boomer-Generationen in den späten 70er Jahren im Kontext internationaler Krisen und Kriege, des endenden Fortschrittglaubens, durch Ölpreisschocks und hohe Inflationsraten schon zu Krisengenerationen ausgerufen? Und steht hier wie dort nicht auch eine »Henne-Ei-Problematik« im Raum? Was ist zuerst? Das Gefühl, Teil einer Krisengeneration zu sein oder die entsprechende Zuschreibung? Und macht das einen Unterschied?

Pragmatismus und konzentrierte Lösungssuche

Brauchen wir perspektivisch im Bonner Haus der Geschichte mal eine Ausstellung zum Thema »Generation und Krise«? Diesen Impuls dürfen sich an dieser Stelle gerne andere zu eigen machen. Mindestens aber brauchen wir an dieser Stelle eine differenzierte Betrachtung all der Krisenhaftigkeit und der unterschiedlichen Einstellungen der Generationen zu diesen Krisen und zueinander.

Die Politikwissenschaft setzt hier auf Empirie. In zahlreichen Studien, qualitativ wie quantitativ, widmet sie sich den Werten und (politischen) Einstellungen der Menschen. Eine Betrachtung all dieser Studien würde den Umfang dieses Textes sprengen. An dieser Stelle seien daher nur einige der zentralen Befunde jüngerer Erhebungen genannt.

»Krisenerwachsen« nennt die Friedrich-Ebert-Stiftung die 16–30-jährigen Wähle­rinnen und Wähler in ihrer jüngst veröffentlichten Jungwähler:innenstudie. Sie verdeutlicht, dass die Krisen der letzten Jahre die Generation stark geprägt haben. Sie begegnet diesen mit Pragmatismus und konzentrierter Lösungssuche. Postmaterielle Werte wie Gleichberechtigung und Klimaschutz spielen für sie eine große Rolle.

Nicht minder wichtig sind der Generation jedoch finanzielle und soziale Sicherheiten. Von der Politik wünschen sie sich nicht etwa vor allem Fortschritte bei »jugendpolitischen Themen« wie Bildung und Digitalisierung, sondern vor allem Antworten auf die »großen Fragen der Zeit«: bezahlbarer Wohnraum, Rente, soziale Sicherung im Alter.

Hierbei überwiegt die Ansicht, dass Politik (nicht nur) in diesen Bereichen in erster Linie Politik für ältere Menschen mache. 77 Prozent der Teilnehmenden vertreten die Auffassung, dass die Politik die Sorgen junger Menschen nicht ernst nehme. In der Gesellschaft sehen sie eine zunehmende Spaltung von Arm und Reich und sorgen sich in diesem Zusammenhang häufig auch um die eigene Existenz. Das Vertrauen in die staatliche Absicherung ist bei nahezu allen Teilnehmenden der Studie bildungsübergreifend gefährdet.

Einstellungen zur Demokratie

Schon vielfach wurde der Nachweis erbracht, dass der sozioökonomische Status, darunter auch das Bildungsniveau, Einfluss auf die Demokratiezufriedenheit hat. Dies ist auch bei jungen Erwachsenen in Deutschland beobachtbar. Formal hoch Gebildete sind deutlich häufiger zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie als mittel oder niedrig Gebildete. Ebenso beeinflusst erwartungskonform die Wahrnehmung der allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse die Einstellungen junger Menschen zur Demokratie: Wer mit Zuversicht auf die aktuelle Lage im Land blickt, ist zufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie (80 Prozent) als diejenigen, die die Verhältnisse in Deutschland als beunruhigend empfinden (43 Prozent).

»Der Optimismus junger Menschen in Europa schwindet.«

Über den Tellerrand blickt die »Jugendstudie 2023« der TUI-Stiftung. Zum siebten Mal, dazu im europäischen Vergleich, nimmt sie die 16–26-Jährigen in den Blick. Die deutsche Teilstudie vergleicht zudem mit der Gesamtbevölkerung. Ihre Befunde? Der Optimismus junger Menschen in Europa schwindet. Nicht eine konkrete Krise bedingt diese Entwicklung, vielmehr trübt sich das Lebensgefühl der jungen Menschen kontinuierlich ein. 52 Prozent glauben, dass es ihnen schlechter gehen wird, als der eigenen Elterngeneration. Die Situation stellt sich dabei im europäischen Vergleich sehr unterschiedlich dar. »Die Jugend« gibt es in Deutschland ebenso wenig, wie innerhalb Europas.

Politikwissenschaftler Thorsten Faas, der die Studie begleitet hat, fasst zusammen: »Ja, das Vertrauen junger Menschen ist niedrig, auch ihr Vertretenheitsgefühl. Aber zugleich sind ihre Erwartungen an den Staat und politische Akteur:innen auch größer und vor allem vielschichtiger geworden. Man könnte sagen: Sie machen es der Politik auch nicht gerade leicht. Wenn man sie nach verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen fragt, etwa Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen, jungen Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color, so werden durchweg Forderungen laut, die Interessen dieser Gruppen stärker als bisher in der Politik zu berücksichtigen. In der deutschen Teilstudie zeigt sich zudem, dass sich gerade der Blick junger Menschen auf solche Gruppen deutlich vom Rest der Bevölkerung unterscheidet. Von jungen Menschen kommen hier offenkundig viel umfassendere, lautere Forderungen an die Politik, als diese bisher gewohnt war aufzufangen – und auch das führt zu Stress im System.«

Mit jungen Menschen allein ist bei Bundestagswahlen für die Parteien aber kein Staat zu machen. Sie sind nicht nur zahlenmäßig den älteren unterlegen, sondern gehen zudem unregelmäßiger zur Wahl. Wer in Deutschland Wahlen gewinnen will oder zumindest auf ein sehr gutes Abschneiden setzt, braucht die Rentnerinnen und Rentner auf seiner Seite. Sie gehen verlässlich zur Wahl und stellen zahlenmäßig die größte Gruppe. Ein Effekt in beide Richtungen: Einerseits fühlen sich junge Menschen von den Parteien programmatisch nicht angesprochen, andererseits sind sie als Wählerinnen und Wähler für Parteien weniger »interessant«, auch wenn diese den Anspruch verfolgen, »alle da draußen« erreichen zu wollen.

Minderheitenschutz für junge Menschen.

Der Soziologe Aladin Al-Mafalaani forderte jüngst, es brauche künftig womöglich eine Art Minderheitenschutz für junge Menschen. Da diese zahlenmäßig den älteren so drastisch unterlegen seien, müsse es Regelungen geben, um deren Bedürfnisse und Perspektiven politisch hinreichend zu berücksichtigen. Er führte aus, dies geschehe derzeit jedoch vornehmlich durch die Entwicklung von Rechtsansprüchen, etwa durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz. Doch jeder formulierte Rechtsanspruch müsse erst einmal durchsetzbar und umsetzbar sein.

Ein Punkt, bei dem es in Deutschland – man blicke nur einmal auf das Recht auf Betreuung für Kinder unter drei Jahren – gewaltig hapere. Die alleinige Lösung scheint dieser Weg demnach auch nicht zu sein. Und steht es wirklich so schlecht um die wechselseitige Solidarität aktueller Generationen, dass wir in Rechtsansprüchen denken müssen?

Die Boomer sind an allem schuld

Generationenkonflikte sind kein neues Phänomen. Und doch liegt in der dauerhaften und zumindest angesichts der Klimakrise sich verschärfenden Krisenhaftigkeit ein besonderer Sprengstoff, der geeignet ist, diese zu verschärfen. Während in der Wirtschaftswundergeneration der nach 1930 und vor 1950 Geborenen viele früh Karriere machten, viel Vermögen bildeten und hohe Einkommenssteigerungen erlebten, waren beginnend mit der Generation der Babyboomer nahezu alle Generationen damit konfrontiert wirtschaftliche Enttäuschungen zu verarbeiten und Krisenerfahrungen zu machen.

Schon immer haben dabei aufgeschobene Reformen jüngere Generationen belastet, ihnen größere Anpassungsleistungen abverlangt. Womöglich ist genau dies künftig nicht mehr ohne Weiteres möglich. Sich Anpassen an die Bedingungen der Klimakrise? Ohne große Einschränkungen und herbe Verluste kaum möglich.

Dennoch kann man fragen, ob wir es tatsächlich mit Generationenkonflikten zu tun haben. Denn Jung und Alt eint der sorgenvolle Blick auf die aktuellen Themen, auch wenn die Älteren naturgemäß »krisenfester« sind und sich ohne die vom Jugendforscher Benno Hafeneger als »zukunftsbezogene Aufgeregtheit« bezeichnete Art bereits auf Verschlechterungen einstellen.

»Ältere Menschen haben Verständnis für die Themen und Sorgen der Jungen.«

Der Blick in die Zukunft ist der Blick in eine gemeinsame Richtung. Auch wenn Protestformen und Aktionen abgelehnt werden, haben ältere Menschen Verständnis für die Themen und Sorgen der jungen Menschen. Zur Wahrheit gehört auch: Der Ton ist schärfer geworden. Umso mehr ist unabdingbar, dass wir über Generationen hinweg debattenfähig bleiben. Ideologie oder pauschale Generationenvorurteile dürfen angesichts der großen und komplexen Herausforderungen nicht dominieren.

Die Ausgangslage ist dafür nicht die schlechteste: Während Jüngere die Erfahrungen der Älteren brauchen, sind diese auf neue, etwa technologische und digitale Kompetenzen der Jungen angewiesen. Man braucht einander gegenseitig. Dieses Verständnis muss Politik fördern. Sie muss anerkennen, dass die drängenden Themen nicht generationenspezifisch sind, sondern vielmehr generationenübergreifend.

Sie muss generationenübergreifende Debatten und Innovationen fördern. Das muss sich in politischen Programmen und Angeboten widerspiegeln. Dass junge Menschen dabei naturgemäß ungeduldiger voranschreiten wollen, sollte mehr als Chance, denn als Manko gesehen werden. Der demografische Wandel spielt jungen Menschen dabei nicht einfach in die Hände, sondern löst Fragen nach der eigenen Absicherung im Alter aus. Diese Sorgen müssen ernstgenommen werden. Junge Menschen dürfen von der Politik nicht länger mehrheitlich mit »jugendlichen Themen« verknüpft werden. Hier kann Politik zeigen, dass sie mit den Ansprüchen junger Menschen umgehen kann.

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