Menü

Über eine nötige Reform der SPD auf Orts-, Kreis- und Bezirksebene Ein Blick nach »unten«

Die SPD hat in den letzten Jahren Vertrauen, Mitglieder, Wählerinnen und Wähler und damit politische Gestaltungsmöglichkeiten verloren. Die Ergebnisse der letzten Wahlen auf Bundes- und Landesebene wurden nicht im Sinne einer lernenden Organisation aufgearbeitet. Der eingeleitete Erneuerungsprozess muss im Unterschied zu früheren Ankündigungen für die Mitglieder sichtbar, erlebbar und als Unterstützung an der Basis erfahrbar sein.

Die politische Kultur in Deutschland und vielen europäischen Ländern war und ist stark von einem Mitbestimmungs- und Beteiligungswillen geprägt. Beispiele sind die breiten Bewegungen gegen geplante Freihandelsabkommen wie TTIP, das sehr breite und nachhaltige Engagement – weitgehend abseits der Parteien – zur Unterstützung von Flüchtlingen und nicht zuletzt die breite Debatte in der SPD zur Großen Koalition. Die Menschen sind weniger politikverdrossen, sondern enttäuscht von Politikern – auch viele SPD-Mitglieder. Peter Brandt schreibt in der IPG zu Recht, Spötter sprächen von den unzufriedenen Sozialdemokraten als der größten SPD-Arbeitsgemeinschaft. Ein Ausweg für die SPD sei schwer zu erkennen, zumal die angekündigte »Erneuerung« hauptsächlich auf ein »moderneres« Erscheinungsbild, verstärkte digitale Präsentation und Diskussion hinauszulaufen scheine.

Wenn der vom Parteivorstand in Auftrag gegebene Bericht »Aus Fehlern lernen. Eine Analyse der Bundestagswahl 2017« in einem Kapitel von der schleichenden Entkoppelung von Führung und Mittelbau spricht und ein gefährliches Auseinanderleben feststellt, so kann ergänzt werden: An der Basis ist ebenfalls eine Entkoppelung zwischen dem Mittelbau und den Mitgliedern festzustellen. Erhebliche Probleme haben sich über Jahrzehnte aufgebaut – nicht nur im Willy-Brandt-Haus. Wenn 2017 von den 153 Bundestagsabgeordneten nur 59 direkt gewählt wurden und 94 über die Landesliste in den Bundestag einzogen, ist es auch ein Indiz, dass immer weniger Kandidaten die direkte Zustimmung der Bürger/innen unten, in ihrem Wahlkreis finden. In diesen Zeiten der Wahlniederlagen und Krisen reicht nicht ein kritischer Blick auf das Willy-Brandt-Haus. Auf alle Organisationsebenen der Partei muss geschaut werden – bis zu den Ortsvereinen. Auch hier muss sich beweisen, dass die SPD eine lernende Organisation sein kann.

Zu geringe Beachtung fanden bisher die Entwicklungen »unten« – wo die Partei programmatisch und personell auszutrocknen droht und zunehmend zur Beförderung der Karriereziele Einzelner und ihrer Netzwerke instrumentalisiert wird. Es genüge nicht, die allgemeinen Strukturen herauszuarbeiten wie Erwin K. und Ute Scheuch schon 1992 in Cliquen, Klüngel und Karrieren schreiben, da schüttele man in der »politischen Klasse« nur die Schultern und klüngele weiter. Man müsse Name, Ort und Zeit nennen, um vielleicht Änderungen zu bewirken.

Diese Netzwerke haben mit den Entwicklungen »unten« ursächlich zu tun – weil ihre Akteure sich weitgehend von den Mitgliedern »emanzipiert«, in Klüngelzirkeln zur Sicherung eigener Karriereziele organisiert haben. Diese sichern Mandate und Funktionen. Die Hauptakteure bringen ihre jeweilige Organisationsebene »auf Linie« (des Netzwerkes), machen sich dadurch »verdient«, gelten als »gesetzt«. Für »einfache« Mitglieder sind es intransparente und kaum beeinflussbare Entscheidungsprozesse. Deshalb ist ein ergänzender Blick notwendig, um einen Erneuerungsprozess auch mit den Mitgliedern zu starten. Ein Blick »auf unten« ist wichtig, damit Charakter und Perspektive als Mitgliederpartei nicht völlig aus dem Blickfeld geraten.

Notizen aus der rheinischen Provinz

Die Mittelrheinregion um Köln ist ein ergiebiges Beobachtungs- und Erlebnisfeld. Die Lage der SPD hier ist seit Längerem ziemlich verfahren, die Berichterstattung der regionalen Medien macht deutlich: Die Mehrheitsfähigkeit der SPD in der Region ging verloren, zum Beispiel die letzten OB-Wahlen in den Städten Köln, Aachen und Bonn. Das rheinische Motto »Et hätt noch immer jood jejange!« gilt hier nicht mehr.

Die Probleme haben sich über viele Jahre aufgebaut: Da waren die großen Kölner Affären ab Ende der 90er Jahre: Müllskandal, Spendenskandal, Strafprozesse und Verurteilungen – mit negativen Auswirkungen für die SPD bei der folgenden Kommunalwahl 1999 in der gesamten Region. 1999 unterlag ein SPD-Bürgermeister in der Region einem CDU-Bewerber wie auch bei der folgenden Landtagswahl 2000. Aber er gehörte »dazu«: Die regionalen Medien berichteten, dass für ihn eine neue Stabsstelle »Sonderaufgaben der Geschäftsführung« der Flughafengesellschaft Köln/Bonn geschaffen wurde. Damit die Sache »glatt« lief, wurde auch für einen CDU-Kollegen dort eine Stabsstelle geschaffen. Denn Erwin K. und Ute Scheuch hatten zu früheren Kölner Fällen zu Recht festgestellt: »Vorteilsnahme ist risikohaft, wenn der politische Gegner daran nicht teilnimmt.«

Die aktuellen Geschehnisse um den neu zu schaffenden Posten des Geschäftsführers der Kölner Stadtwerke – hier war ein Mitglied der Kölner SPD-Spitze vorgesehen – haben allein durch das, was in den Medien berichtet wurde, bereits das Potenzial, für ein Déjà-vu zu sorgen.

Der im Dezember 2017 verstorbene Thomas Leif sah schon vor zehn Jahren ein zentrales strukturelles Problem der Parteien (NG|FH 12/2009): »Die Parteispitzen haben sich in einer Wagenburgmentalität eingerichtet. Der Grund: Kleine Gruppen der politisch Mächtigen in den Parteien können ohne spürbare Nachteile weitermachen wie bisher. (…) Es wächst eine graue, sinnentleerte Funktionärskultur heran, angetrieben von hektischer, tagesgetriebener Symbolpolitik und der Orientierung auf die politische Agenda der Medien.«

Es haben sich Parallelwelten in der SPD der Region etabliert: Einerseits in den Ortsvereinen ein abnehmendes, aber immer noch erstaunlich großes Engagement für die Bürger/innen und die SPD. Andererseits agieren auf Großstadt-, Kreis- und Bezirksebene die alten Seilschaften weiter und verteilen die deutlich geringere Zahl von Mandaten in den Parlamenten unter sich. Das Führungspersonal jeder Organisationsebene findet Anerkennung der Klüngelzirkel und empfiehlt sich für »höhere« Aufgaben, wenn es den eigenen Laden »im Griff« hat und seine Delegierten »auf Linie« hält.

Zur Auswahl von Kandidaten für den Bundestag in der Region: 2016 rückte eine Kandidatin in den Bundestag nach. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 hielt sie lange, sehr lange offen, ob sie nochmal antritt. Der Kreisvorstand schob eine andere Kandidatin auf die Bühne. Als sich die MdB doch für eine weitere Kandidatur bereit erklärte, zog die zweite Bewerberin ihre Bewerbung sofort zurück, wurde wieder von der Bühne geholt. Den Delegierten der Wahlkreiskonferenz sollte wohl die Qual einer Wahl erspart bleiben – eine Farce! Die Delegierten votierten gewohnt einmütig für die eine: geschlossen und »nach vorne blickend« – auf 18 %, nach Umfragen.

Zur Wahlkreisarbeit eines Bundestagsabgeordneten der Region: Nach dem Motto »nach der Wahl ist vor der Wahl« steht die regionale Absicherung des Mandats mit dem Ziel, auch beim nächsten Mal wieder »gesetzt« zu sein, im Vordergrund. Folglich hat der Abgeordnete eine Vielzahl von Parteifunktionen, ist Mitglied des Kreistages und stellvertretender Landrat. Von seinen vier Mitarbeitern in der Region stehen zwei Ortsvereinsvorsitzende und der Kreisvorsitzende der Jusos auf seiner Gehaltsliste. Ein Eindruck könnte entstehen, es handele sich um eine Art Frühwarnsystem und Eingreifgruppe vor Ort.

Ein Blick auf »unten« offenbart wichtige Strukturdefizite – auch Demokratiedefizite. Diese verkrusteten Strukturen und Seilschaften zur Förderung der Karriereziele der Netzwerkteilnehmer muss durchbrochen werden – durch eine Öffnung der SPD nach innen.

Um den enttäuschten Mitgliedern als letzte Hoffnung nicht nur eine linke Sammlungsbewegung zu lassen, müssen die Verantwortlichen von der Orts- bis zur Bundesebene Reformen auf den Weg bringen, die die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitglieder substanziell verbessern. Es reicht nicht, Mitglieder mit Debattencamps und Arbeitskreisen zu »beschäftigen« – aber politische und vor allem personalpolitische Entscheidungen weiterhin in kleinen Klüngelzirkeln zu treffen. Ein wichtiger Schritt: Die Zahl der Mandatsträger unter den Delegierten der Bezirks-, Landes- und Bundesparteitage muss deutlich reduziert werden. Und: Die Mitglieder müssen aufstehen und sich nicht weiter als demokratische Kulisse auf Parteitagen missbrauchen lassen, quasi als Währung, die ihre führenden Netzwerker gegenüber anderen Netzwerksbetreibern einbringen können.

Ohne eine im Wortsinn bahnbrechende Öffnung nach innen, ohne die Überwindung der lähmenden innerparteilichen Klüngelzirkel erscheinen weitere Reformschritte wenig erfolgreich und die Diagnose von Thomas Leif bleibt aktuell: »Die Sklerose der Volksparteien gefährdet langsam, aber weitgehend unbemerkt die Demokratie und zehrt die Legitimationsreserven der Parteien im parlamentarischen System auf. Die massive Demokratieentfremdung und Distanz zu den Parteien wird von den Verantwortlichen erfolgreich verdrängt.«

Man möchte dem SPD-Führungspersonal aller Ebenen den Satz von Horst Ehmke zurufen: »Die Partei gehört Euch nicht!« – sondern immer noch rund 400.000 Mitgliedern.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben